Ein furchtbares Jahrhundert

Polnische Reaktionen auf die Vertriebenen-Ausstellung von oliver hinz

Der polnische Protest gegen die Berliner Ausstellung »Erzwungene Wege« fiel noch heftiger aus als erwartet. Hinter der Präsentation, die eine Übersicht über Deportationen im Eu­ropa des 20. Jahrhunderts gibt, stehen der Bund der Vertriebenen und seine Präsidentin Erika Stein­bach. Das war Grund genug für Kazimierz Mar­cinkiewicz, bis Juli polnischer Premierminister und seither kommissarischer Bürgermeister von Warschau, seine Teilnahme an der Feier des 15. Jubiläums der Städte­partnerschaft zwischen Warschau und Berlin abzusagen. »Wir haben das Recht, ›Nein‹ zu sagen zu jenen, die über die Geschichte Lügen verbreiten wollen«, sagte der Politiker der konservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat immerhin mit einem Senats­beschluss mit dafür gesorgt, dass Steinbach weder für ihre derzeitige Ausstellung noch für ihr geplantes »Zentrum gegen Vertreibungen« ein landeseigenes Gebäude bekam. Auch die Mehrheit der Deutschen lehnt eine solche Gedenkstätte ab: Nach einer Umfrage vom Mai 2004 waren 70 Prozent der Berliner dagegen, bundesweit waren es 56 Prozent.

Steinbachs Ausstellung zeigt Beispiele von Vertreibung – vom Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich 1915 und 1916 über die Deportation der Polen durch Nazi-Deutschland bis zu den »ethnischen Säuberungen« in Bosnien-Herzegowina in den neunziger Jahren. In diese Reihe wird auch die »Vertreibung« der Deutschen gestellt, der große Unterschied, nämlich die Schuld der Deutschen am Zweiten Weltkrieg, steht dabei jedoch nicht im Vorder­grund.

Noch mehr entzündet sich der polnische und der gemäßigtere tschechische Ärger zu Recht an der Person Steinbach. Als CDU- Abgeordnete stimmte sie 1990 als eine der wenigen im Bundestag sogar gegen die Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze. 1997 lehnte sie die deutsch-tschechische Aussöhnungserklärung ab und verunglimpfte sie als »Schlussstricherklärung«. Nur unter »Vorbehalt« trug die Vertriebenenpräsidentin im Jahr 2003 den EU-Beitritt von Polen, Tsche­chien, der Slowakei und Slowenien mit – wegen dort angeblich bis heute geltender »Vertreibungs- und Entrechtungsgesetze«, wie sie im Bundestag erklärte.

Außerdem gilt Steinbach in Polen nicht als Vertriebene. Denn sie ist 1943 als Kind eines aus Hessen stammenden Wehrmachtssoldaten und einer Bremerin in Rumia (Rahmel) bei Gdynia (Gdingen) zur Welt gekommen. Die Kleinstadt gehörte seit 1920 nicht mehr zu Deutschland, sondern zu Polen. Trotzdem gibt sie »Westpreußen« als ihr Geburtsland an.

Ihre Geschichtspolitik stellt das Schicksal der deutschen »Vertriebenen« mit dem der Juden auf eine Stufe. Anfangs plante das CDU-Bundesvorstandsmitglied das Vertriebenenzentrum »in geschichtlicher und räumlicher Nähe« zum Berliner Holocaust-Mahnmal zu errichten. Damals im Mai 2000 sagte sie: »Im Grunde genommen ergänzen sich die Themen Juden und Vertriebene miteinander. Dieser entmenschte Rassenwahn hier wie dort, der soll auch Thema in unserem Zentrum sein.«

Zwar hat die Vertriebenenpräsidentin sich längst mit der Oder-Neiße- Grenze abgefunden, aber zur vorbehaltlosen Zusammenarbeit mit Polen und Tschechen ist sie nicht bereit. Seit langem versucht sie nicht einmal mehr, wenigs­tens einen polnischen Wissenschaftler an ihrem Projekt zu beteiligen. Den Widerstand gegen das »Zentrum gegen Vertreibungen« könnte die Initiatorin vermutlich nur brechen, wenn sie das Projekt aus ihren Händen geben würde.