Die Mullahs machen Theater

Unter Präsident Ahmadinejad haben die kulturpolitischen Restriktionen im Iran noch zugenommen. Dennoch soll es künftig eine künstlerisch-kreative Ausbildung geben. von arian fariborz

Wenn sich Theaterregisseure und Schauspie­ler im Iran an die ersten Jahre unter Kho­mei­ni erinnern, ist viel von der »bleiernen Zeit« die Rede – Jahre, in denen das vielfältige kulturelle Leben zum Stillstand kam. Theater und Kinos wurden geschlossen, als westlich-dekadent gebrandmarkte Theaterstücke von den Bühnen verbannt. Fortan beherrschten viele religiös-traditionelle Darbietungen des schii­tischen Islam das kulturelle Leben im Iran – wie etwa die ­Ashura-Rituale oder verschiedene Formen des Straßen­theaters.

Diese Entwicklung hinterließ auch ihre Spuren im Bereich der Ausbildung von Schauspielern und bilden­den Künstlern. So kritisiert Ghotbedin Sadeghi, Theaterregisseur und Dozent der Theaterwissenschaft an der Universität Teheran, dass nach der Revo­lution völlig unüberlegt und ausschließlich nach ideo­logischen Kriterien gehandelt worden sei. »Viele Erzieher im Bildungsbereich wurden einfach entlassen«, sagt Sadeghi, »damit wurden aber auch ihre fortschrittlichen Lehrmethoden aufgegeben, was wiede­rum bedeutete, dass sich das iranische Bildungssystem nicht mehr weiterentwickelte.«

Ein Stillstand, der in der Regierungszeit der Präsidenten Hashemi Rafsanjani und Mohammed Khatami anhielt. Kunsterziehung und Theaterbildung wurden auch noch Jahrzehnte nach der Islamischen Revolution von 1979 in den Dienst der herrschenden Staatsideologie gestellt oder in bestimmten Bereichen, wie etwa dem Kindertheater, völlig vernachlässigt. Dies wurde sogar von den Machthabern in Teheran zeitweise selbst eingeräumt. Der frühere stellvertretende Kulturminister unter Khatami, Morteza Kazemi, etwa erklärte vor Jahren, dass das iranische Theater international lange Zeit isoliert gewesen und kaum darüber informiert sei, wie das heutige Theater in der Welt funktioniere.

Und obwohl das Regime der Weltöffentlichkeit mit dem jährlichen internationalen Fajr-Theater- und Filmfestival das Bild einer lebendigen und vielfältigen Kunst- und Kulturwelt des Iran vermitteln möchte, fehlt dem Bildungssystem des Landes jegliche Form schulischer Kunsterziehung – bis auf die beiden Fächer Kalligraphie und Malerei, die an vorrevolutionäre Traditionen anknüpfen und kaum im Unterricht behandelt werden.

Bis heute hat sich an dieser Bildungsmisere im künst­lerisch-kreativen Bereich nichts geändert. Kein Wun­der, denn den islamistischen Tugendwächtern sind bislang kulturelle Darbietungen ein Dorn im Auge, die nicht ihrem religiösen Selbstverständnis entsprechen. Iranische Künstler sind deshalb ständig mit Zensur, Verboten und rigiden Kontrollen konfrontiert.

Unter Mahmoud Ahmadinejad haben diese kultur­politischen Restriktionen noch weiter zugenommen, angefangen beim Verbot westlicher Instrumentalmusik im staatlichen Hörfunk vom Dezember 2005 bis hin zur Ankündigung des Präsidenten anlässlich des letzten Fajr-Festivals, dass das iranische Bühnen­spiel künftig in erster Linie religiöses Wissen vermitteln solle.

Obwohl sich am religiösen Leitbild für das kulturelle Selbstverständnis des Staats wenig geändert hat und weiterhin versucht wird, es mittels rigider Vorschriften durch­zusetzen, gibt es zumindest in bildungspolitischer und erzieherischer Hinsicht Mo­dernisierungstendenzen. Dabei erscheint es nur auf ersten Blick erstaunlich, dass aus­gerechnet das Bildungsministerium der Islamischen Republik an einer Reform des bisherigen Kunst- und Theaterunterrichts an Schulen und Universitäten arbeitet. Der Unterricht soll künftig nicht mehr ausschließlich ideologischen Kriterien folgen, sondern zeitgemäße und kreative Lehr- sowie Erziehungsmethoden beinhal­ten. Maß­geblich ist dieser Reformwillen auf den Druck und den Veränderungswillen großer Teile der iranischen Zivilgesellschaft zurückzuführen, die ungeachtet der konservativ-religiösen Rituale und Parolen des rückwärtsgewandten Klerus heute in fast allen gesellschaftlichen Bereichen, wie dem Bildungssektor, präsent ist und über begrenzte Ein­flussmöglichkeiten verfügt.

Ziel der Reform ist es, den bisherigen Kunstunter­richt aufzuwerten und neue Lehrmethoden sowie Lehrfächer, wie z. B. die Theaterpädagogik, einzuführen. Auch müssen Kunstlehrer und Dozenten künftig eine adäquate Berufsausbildung abschließen, bevor sie unterrichten dürfen. Berufsbegleitende Fortbildungen für Lehrer und Professoren sind ebenfalls vorgesehen. Ein Schritt in die richtige Richtung, meint Ghotbedin Sadeghi: »Wichtig ist, dass nachdem die Kunsterzieh­ung lange Zeit von religiösen Lehrkräften und Hizbollahis gestaltet wurde, der Unterricht wieder den Maßstäben der Kunst gerecht werden soll. Das ist eine sehr wichtige Entscheidung, auch wenn es lange dauerte, bis sich diese Einsicht endlich durchgesetzt hat.«

Das Bildungsministerium richtet sich mit der Konzeption und Neuauflage von Lehrplänen und Schulbüchern zum einen an Kinder und Heranwachsende, zum anderen werden speziel­le Unterrichtsmaterialien und didaktische Lehr­bücher entwickelt. Doch nicht nur in den Grund­schulen, sondern auch an den staatlichen Kunst­akademien und Universitäten werden im kommenden Semester Lehrpläne für künstlerische Disziplinen wie Film, Malerei und Theater ein­geführt. Diese sehen moderne Erziehungs- und Lehrmethoden vor. Da Studienanfänger bisher nur mangelhaft mit Bildender Kunst und Thea­ter vertraut sind, plant das Erziehungsministerium zudem voruniversitäre Bildungsprogramme.

Hadi Marsban, Theaterregisseur und Mitglied des Rates für Bildende Kunst beim Bildungs- und Erziehungsministerium, entwickelt seit drei Jahren im Auftrag des Bildungs­ministeriums die Gestaltung des neuen Kunst­unterrichts für den Bereich Malerei und Thea­ter an Schulen. Er ist optimistisch, dass durch die neuen Lehrpläne den Schulkindern die Chance gegeben wird, Bildende Kunst und Theaterschauspiel in all ihren Ausdrucksformen kennen zu lernen: »Das Erziehungs- und Bildungsministerium hatte für den Kunst- und Theaterunterricht an Schulen bisher nur so etwas wie eine Kunststunde vorgesehen, weshalb man von Kunstunterricht im eigentlichen Sinn nicht sprechen konnte«, berichtet Marsban. »Jetzt arbeiten die Forschungsabteilungen des Ministeriums daran, einen wirklich eigenständigen Kunstunterricht zu entwickeln, nachdem erkannt wurde, wie ineffizient die bisherige Praxis gewesen ist.«

So hat man von einem längst überholten Bildungsmodell im künstlerischen Bereich offenbar endlich Abschied genommen. Doch an der schwierigen beruflichen Situation vieler Künst­ler im Spannungsfeld von Verboten, Zensur und Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben dürfte sich wohl kaum etwas än­dern.