Für keinen Trick zu schade

Der französische Innenminister ließ das größte besetzte Gebäude Frankreichs räumen. Er nutzt alle Möglichkeiten, um so viele Migranten wie möglich abzuschieben. von bernhard schmid, paris

Um neun Uhr früh wurde am Donnerstag der vergangenen Woche in der Pariser Vorstadt Cachan das größte besetzte Gebäude Frank­reichs geräumt. Auf dem Gelände des ehemaligen Studentenwohnheims waren 600 Bereitschaftspolizisten und 200 Beamte der Sicherheits- und Verkehrspolizei im Einsatz. Bei den Bewohnern handelte es sich meist um Einwandererfamilien schwarzafrikanischer, in geringerer Zahl auch um Alleinstehende maghrebinischer Herkunft. Zu ihnen hatten sich noch Menschen aus dem östlichen Europa gesellt. Das Haus wurde seit dem Jahr 2003 von mehreren hundert Menschen bewohnt.

Ein Teil der Bewohner waren sans papiers, als »illegal« geltende in Frankreich lebende Migranten. Aber nicht alle. Denn viele unter den Betroffenen haben zwar Aufenthaltstitel und auch eine Arbeit, können aber trotzdem auf dem so genannten freien Wohnungsmarkt mit seinen immer höhe­ren Anforderungen – Einkommen, Bürgen, Garantien – keine Bleibe finden.

Das im Jahr 1961 errichtete Gebäude stand leer, aber sein Eigentümer – das regionale Studentenwerk – wollte es abreißen lassen. Nicht um bessere Studentenwohnungen oder auch Wohnraum für an­dere Leute zu errichten, sondern um einen Parkplatz zu bauen. In den vergangenen zwei Jahren hatten Verhandlungen mit den Besetzern stattgefunden, denen angeblich Wohnungen angeboten werden sollten, wenn sie in eine Räumung des Gebäudes in kleinen Gruppen einwilligten. Rund 40 sans papiers hatten aber als einziges »Angebot« eine Ausreisever­fügung in ihren Briefkästen liegen. Daraufhin hatten die 700 bis 1 000 Bewohner sich zusammengeschlos­sen und angekündigt, nur eine gemeinsame Lösung für alle Betroffenen und ohne Abschiebungen zu akzeptieren.

Bereits um sechs Uhr morgens kamen Dutzende französische Unterstützer vor das Gebäude, um eine befürchtete Räumung, über die bereits Gerüchte zirkulierten, zu verhindern. Doch die Polizei konnte sie überlisten: Nach dreistündigem Warten waren die Unterstützer davon überzeugt, dass an diesem Tage kein Polizeieinsatz mehr erfolge, denn Räumungen – große zumal – beginnen gewöhnlich im Morgengrauen. Um neun Uhr war die Polizei dann aber plötzlich doch da und umstellte das Gelände. Zu dem Zeitpunkt waren auch zahlreiche Bewohner nicht in dem fünfstöckigen Gebäude, da sie zur Arbeit gegangen waren.

508 Personen wurden aufgegriffen, und denjenigen, die sich »legal« in Frankreich aufhalten, wurde eine Übergangswohnung angeboten. Aber nur 200 Menschen akzeptierten das so genannte Angebot, einige zogen ihre Annahme später zurück. Die ande­ren begannen, am Donnerstag Abend unweit des geräumten Geländes zu campieren, und forderten eine gemeinsame Lösung. 49 Menschen wurden wegen »illegalen« Aufenthalts festgenommen, einige von ihnen konnten aber nachweisen, dass sie sich gar nicht ungesetzlich in Frankreich aufhielten. Die übrigen wurden in Abschiebehaft genommen.

Seit vier Wochen macht Innenminister Nicolas Sarkozy seinen Untergebenen Druck, um eine höhere Abschiebezahl im laufenden Jahr zu erreichen. Im ersten Halbjahr seien »nur« 10 000 Menschen aus Frankreich abgeschoben werden, aber bis Ende Dezember müssten es 25 000 werden. Dies forderte Sar­kozy Ende Juli von den Präfekten, ihnen un­terstehen in den Départements die Polizei- und Ausländerbehörden. Denen, die die Soll­ziffern in ihrem Bezirk nicht erreichten, droh­te er persönliche Konsequenzen an. Denn es stehe viel auf dem Spiel: Würde der Plan nicht erfüllt, drohe ein »echtes Demokratieproblem«. Was bedeutet, er befürchtet, dass die Anhänger der extremen Rechten in diesem Fall bei der Wahl im kommenden April nicht für ihn stimmen könnten.

Besonders im Visier der Behörde sind der­zeit Roma aus Rumänien und Bulgarien. Am Donnerstag fand eine Kollektivabschiebung nach Bukarest statt, am 29. August soll ein weiterer Sonderflug nach Sofia folgen. Theo­retisch sind solche Sonderflüge seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, der im Jahr 1999 eine Kollektivabschiebung von Roma aus Belgien in die Slowakei sanktionierte, verboten. So steht es auch in Artikel 4 eines Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Sarkozy geht es aber vor allem um den kurzfristigen politischen Effekt – auch wenn bestimmte Praktiken im Nachhinein von den Gerichten verhindert oder verurteilt werden sollten.

Wenn es um Familien mit schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen geht, sind Massenabschiebungen dagegen nicht populär. Ihnen hatte Sarkozy eine eventuelle Legalisierung nach Einzelfallprüfung, anhand von Kriterien wie »Integration« und Sprachkenntnissen der Familie, in Aussicht gestellt. Im Juli erklärte der Minister, er rechne damit, dass 20 000 Anträge gestellt und dass am Ende 6 000 Aufenthaltsgenehmigungen erteilt würden. Nun hat sich aber herausgestellt, dass es über 25 000 Legalisierungsanträge geworden sind. Doch Sarkozy bleibt trotzdem bei seinen Zahlen, was die Erteilung von Aufenthaltstiteln betrifft. Auch nach dem Ende der Antragsfrist sprach er von 5 000 bis 6 000 zu erwartenden Aufenthaltsgenehmigungen.

Zumindest in einem Falle wurde die Hoffnung auf eine Aufenthaltserlaubnis den Betroffenen zum Verhängnis. Am Freitag vor zwei Wochen begaben sich Oleksandr und Inna Kos­tyuba voller Hoffnung in die Präfektur der Pariser Vorstadt Corbeil-Essonnes. Sie waren in dem Glauben, nunmehr ihren Aufenthalt in Frankreich »legalisieren« zu können, da sie einen dreijährigen Sohn haben, der in Frankreich geboren wurde und den Kindergarten besucht. Die Dienstanweisung Sarkozys an die Präfekten sah ausdrücklich auch einen Kindergartenbesuch als mögliche Grundlage für eine Aufenthaltserlaubnis der Familie vor, sofern die anderen Kriterien erfüllt waren. Die Präfektur berief sich jedoch darauf, dass ein Kindergartenbesuch grundsätzlich nicht zähle.

Die Familie, die sich zu ihrem Vorladungstermin begab, wurde vor dem Schalter in Abschiebehaft genommen. Sie weigerte sich zunächst vehement, ins Flugzeug zu steigen: Oleksandr Kostyuba war vor vier Jahren aus der Ukraine geflohen, weil er große Probleme mit den damals Regierenden hatte, die inzwischen wieder an der Macht sind. Aber den Eltern wurde damit gedroht, dass ihnen das Kleinkind weggenommen und in ein Heim gesteckt würde. So wurden sie mürbe gemacht und stiegen doch widerstandslos ins Flugzeug nach Kiew.

Solidaritätsvereinigungen und die radikale Linke sprachen umgehend in Pressemitteilungen von einer »Falle« und einem Skandal. Das Innenministerium berief sich hingegen darauf, der Vater des Kindes spreche kein Französisch, woraufhin eine Journalistin von AFP erklärte, er habe auf ihre Fragen aber auf Französisch geantwortet.