Kann schon mal vorpommern

Landtagswahlen von stefan wirner

Wahlabende sind dialektische Abende. Die Freude ist nie uneingeschränkt. Amüsiert man sich über eine Niederlage der Grünen, gewinnt dafür die FDP. Kaum kann die CDU mal einpacken, triumphiert die SPD. Bekommt die Linkspartei endlich mal das, was sie verdient, nämlich eine kräftige Abfuhr, zieht die NPD in ein Parlament. Es können einfach nicht alle verlieren, das liegt an der Mathematik.

»Schwierig« fanden die Vertreter der Linkspartei das Ganze am Sonntagabend, das Ergebnis sei »nicht befriedigend«. Der glatt gebürstete Berliner PDS-Yuppie Stefan Liebich meinte, es seien »schwierige Jahre« gewesen, man habe »schwierige Entscheidungen« getroffen. Die Entscheidungen der bemitleidenswerten Partei aber waren für ihre Wählerinnen und Wähler noch »schwieriger« zu verkraften. Fast zehn Prozent in ganz Berlin verloren, rund 20 im Osten. Im Osten! Was ist da los? Haben die DDR-Nostalgiker aus Marzahn keine Lust mehr auf Technokraten? War ihnen Harald Wolf, der Bankenskandalangestellte, der früher Kommunist war, als Sanierer nicht sozialistisch genug? Gefiel ihnen seine »schwierige Aufräumarbeit« nicht? Mitleid mit der PDS? Ein bisschen Häme mag genügen.

Und die Wasg? Sie hatte sich einen Slogan von der NPD geborgt, nur gewirkt hat er nicht bei ihr. »Die Wut wächst«, meinte sie im Wahlkampf. Tat sie aber nicht, und die Entristen, Trotzkisten, SAVler und die von Amnesie befallenen Antifas, die sie unterstützten, müssen sich wieder umtun, weiter studieren, arbeiten gehen oder sonst was. Auch hier gilt: keine Träne.

Alles ist Oberfläche, Rechnung und Kalkül. Die grüne Claudia Roth, die Tofuwurst im Papageiengewand, glaubt zu wissen, wie neuro linguistic programming funktioniert. Zehnmal sagt sie am Wahlabend: »Die Wählerinnen und Wähler wollten Rot-Grün mit Betonung auf GRÜN!« Ihre Anhängerinnen und Anhänger jubeln wie besinnungslos. (Der Zuschauer kann immerhin wegzappen.)

Wenig dialektisch sind die Sprüche und unbeholfenen Ausflüchte: »Unser bestes Ergebnis seit …«, »Wir haben uns stabilisiert«, »Ich sage ganz deutlich«, »Wir hatten keinen Rückenwind.« Meister des Neusprechs ist der Berliner Kandidat Friedbert Pflüger (CDU). Er sagt nach der größten Niederlage seiner Partei: »Die CDU ist wieder da in Berlin.« Genügsamkeit ist auch eine Tugend.

Und die NPD? Woran liegt es, dass die Freunde Hitlers so stark sind in Mecklenburg-Vorpommern? Der Generalsekretär der CDU, Ronald Pofalla, sieht »fehlgeleitete Menschen« am Werk. Wolfgang Methling von der Linkspartei meint, es handele sich um »Protestwähler«. Harald Ringstorff (SPD), der Ministerpräsident, kombiniert, die Menschen hätten die Neonazis gewählt »aus Protest, weil vieles nicht schnell genug geht«. Das Wählen der NPD als Kritik an der Langsamkeit, darauf muss man erst mal kommen. Rassismus? Nie davon gehört. Kann es sein, dass viele Menschen in Ostdeutschland einfach Neonazis sind? Bis die Frage geklärt ist, heißt es: Wir sehen uns wieder bei der Wahl im national befreiten Thüringen!

51 Prozent der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern bekannten in einer Umfrage, die NPD »nennt Dinge beim Namen«. Während Methling und Wolf von »Gestaltungsspielräumen« träumen, die sie gerne weiter nutzen würden, spricht der Kandidat der NPD, Udo Pastörs, eine Sprache, die keine Zweifel aufkommen lässt: Er will »die rot-roten Leute desavouieren«. Wer etwas dagegen einzuwenden hat, bekommt Hausbesuch von den Kameraden. Ein Sprichwort von der Küste besagt: »Das kann schon mal vorpommern.« Auch die Dialektik des Wahlabends hat ihre Grenzen.