Jeder kocht sein Süppchen

In Bosnien-Herzegowina wird im Wahlkampf die staatliche Einheit zur Debatte gestellt. Bosnische Serben und Muslime streiten über den Fortbestand der Republik Srpska. von boris kanzleiter, belgrad

Wenn am kommenden Sonntag die 2,7 Millionen Wahlberechtigten in Bosnien-Herzegowina zur Stimmabgabe aufgerufen sind, ist das wichtigste Ergebnis der bevorstehenden Wahlen zum Staatspräsidium und den Parlamentskammern bereits bekannt. Elf Jahre nach Ende des Bürgerkriegs existiert in dem Land alles andere als ein konsolidierter Staat. Im Gegenteil: Die politischen Eliten kochen in diesem Wahlkampf die nationalistischen Emotionen so hoch wie selten zuvor. Zur Debatte steht nichts weniger als der Bestand der staatlichen Einheit.

Angeheizt wurde die politische Debatte in erster Linie von dem Premierminister des serbischen Teils Bosniens (Republika Srpska), Milorad Dodik. Der eigentlich als gemäßigt geltende Sozialdemokrat wiederholte im Wahlkampf immer wieder, die bosnischen Serben könnten von ihrem »Selbstbestimmungsrecht« Gebrauch machen und ein Referendum über die Unabhängigkeit »ihrer« Republika Srpska organisieren. Diese Äußerungen stoßen bei den muslimischen Politikern in Sarajevo auf scharfe Kritik. Das muslimische Mitglied im Staatspräsidium, Sulejman Tihic, rief Dodik und seine Anhänger auf, sie sollten eben aus Bosnien verschwinden, falls es ihnen nicht gefalle. Ein Referendum über die territoriale Abspaltung der Republik Srpska komme aber keinenfalls in Frage.

Auch der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien, Christian Schwarz-Schilling, griff Dodik scharf an. Falls er nicht aufhöre, über das Referendum zu sprechen, drohte der frühere deutsche CDU-Politiker Dodik mit der Amtsenthebung. Dieses Recht steht dem Hohen Repräsentanten zu. Er verkörpert nach den Friedensverträgen von Dayton 1995 eine Art letzte Instanz in der bosnischen Politik.

Auch wenn es Dodik war, der mit der Referendumsdrohung die Emotionen angeheizt hat, trägt er nicht allein Schuld an der derzeitigen Schlammschlacht, die bereits zu einzelnen Gewalttaten geführt hat. Mitte August explodierte eine Bombe am Grabmal von Alija Izetbegovic, dem politischen Führer der bosnischen Muslime im Krieg. Tatsächlich liegt das Problem wesentlich tiefer. Bosnien-Herzegowinas Ökonomie liegt am Boden, Korruption und organisierte Kriminalität grassieren. Die Durchschnittslöhne liegen bei unter 300 Euro im Monat. Verbesserung ist nicht in Sicht. Den Politikern bleibt daher kaum etwas anderes übrig, als über die emotionalisierende nationale Frage zu streiten, wollen sie Wahlen gewinnen. Und dabei stehen die muslimischen Nationalisten von der Partei Izetbegovics ihren serbischen Kollegen in nichts nach. Seit Monaten betreiben sie eine Kampagne zur Abschaffung der Republika Srpksa. Tihic bezeichnet sie als einen »auf Genozid gegründeten« Staat im Staat, der keine moralische Existenzgrundlage habe. Seinerseits übt er aber den Schulterschluss mit Kriegskommandanten der Muslime, die schwerer Kriegsverbrechen an Serben beschuldigt werden.

Brisant wird die Auseinandersetzung zwischen muslimischen und serbischen Nationalisten in Bosnien vor allem im Kontext der politischen Entwicklungen im benachbarten Serbien und dem Kosovo. Dodik beschuldigt den Westen, »doppelte Standards« anzulegen. Falls Kosovo unabhängig werden könne, müsse auch den Serben in Bosnien das Recht auf ein Referendum erteilt werden. Diese Argumentation wird auch in Belgrad gerne aufgegriffen. Dort wird die Abspaltung der Republika Srpska aus Bosnien-Herzegowina als Druckmittel im Verhandlungspoker um den Status des Kosovo benutzt. Sollte sich der UN-Sicherheitsrat in den nächsten Monaten auf eine Unabhängigkeit Kosovos einigen, könnte die Stabilität Bosniens ernsthaft in Gefahr kommen.