Konsens ist Nonsens

Die muslimischen Dachverbände kritisieren die Zusammensetzung der Deutschen Islam Konferenz, weil der Einfluss säkularer Einzelpersonen zu groß sei. von jesko bender

Auch Abgrenzung ist eine Form des Dialogs. Sie kann für alle Beteiligten nur befriedigend inszeniert werden, wenn ein langer Prozess der Kommunikation stattgefunden hat über eben jene Dinge, die einen voneinander trennen. Deutlich wird dies bei der Deutschen Islam Konferenz (DIK), die an diesem Mittwoch auf Einladung des Bundesinnenministeriums eröffnet wird. Bereits im Vorfeld der Konferenz ist offensichtlich geworden, dass sich die vom Bundesinnenministerium gewünschte Verständigung nicht ganz so einfach einstellen wird. Während die Veranstalter relativ klare Vorstellungen über die Agenda der Konferenz haben, üben die eingeladenen islamischen Verbände immer deutlichere Kritik an der Veranstaltung.

Das erklärte Ziel der DIK besteht in einer Art Gesellschaftsvertrag zwischen nicht-muslimischer Mehrheitsgesellschaft und Muslimen; dieser soll zentrale Eckpunkte für deren Zusammenleben klären. Betrachtet man das Konzeptpapier des Innenministeriums für die DIK, dann zeigt sich, dass zu diesen Eckpunkten nahezu das gesamte Repertoire derjenigen Themen gehört, welche die Konflikte zwischen Islam und westlicher Gesellschaft offensichtlich umreißen: Die Arbeitsgruppen der Konferenz sollen sich zwei bis drei Jahre lang mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau auseinandersetzen, mit Prozessen der politischen Willensbildung, der Frage nach jugendlicher Selbstbestimmung, Säkularisierung und demokratischer Kultur, Sicherheit und Islamismus ebenso wie mit dem koedukativen Sportunterricht, der Sexualerziehung und dem Verhältnis zwischen Wirtschaft und Medien. »Als Ergebnis des Gesprächsprozesses wird ein breit angelegter Konsens über die Einhaltung gesellschafts- und religionspolitischer Grundsätze angestrebt«, heißt es in dem Papier. Dabei stehe »insbesondere die Bewahrung und die verbindliche Beachtung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Vordergrund«.

Während also auf Seiten des Bundesinnenministeriums recht klare Vorstellungen herrschen, wie und an welchen Themen die DIK arbeiten soll – wobei es wohl mehr als zweifelhaft sein dürfte, bei all den Grundsatzfragen zu einem Konsens zu gelangen –, sind die islamischen Verbände noch nicht einmal an dem Punkt angelangt, sich zu den anvisierten Themen zu äußern. Ihre Kritik ist nämlich eine prinzipielle und setzt bereits an der Organisationsform der DIK an. In einer gemeinsamen Presseerklärung beklagten in der vergangenen Woche die vier größten islamischen Verbände in Deutschland – die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, der Verband der Islamischen Kulturzentren und der Zentralrat der Muslime in Deutschland –, dass die Konferenz keinesfalls repräsentativ für die 2 500 Moscheegemeinden in Deutschland zusammengesetzt sei.

Die Argumentation der unterzeichnenden Verbände ist kompliziert. Nach eigener Darstellung repräsentieren sie »gemeinsam die überwältigende Mehrheit der Moscheegemeinden in Deutschland«. Deshalb, so heißt es in der Presseerklärung weiter, seien sie »der geeignete Ansprechpartner, der das breite Spektrum des Islam und der Muslime abbildet«. Alle vier Verbände sind zu der Konferenz eingeladen, nicht einmal der von der größten islamistischen Gruppierung in Deutschland, der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, dominierte Islamrat, ist von der Konferenz ausgeschlossen.

Wo liegt also das Problem mit der Repräsentation? Auf Nachfrage der Jungle World erklärte der Pressesprecher des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Mounir Azzaoui, dass die Verbände ein Missverhältnis in der Einladungspraxis sehen. Neben den vier großen Verbänden seien nämlich zehn Einzelpersonen eingeladen, die nicht für sich beanspruchen könnten, die Mehrheit der Muslime in Deutschland zu repräsentieren. Es steht nach Ansicht der Verbände sozusagen vier zu zehn. »Das Verhältnis zwischen Verbänden und Einzelpersonen stimmt nicht«, sagt Azzaoui.

Diese vermeintlichen Fehler in der Organisierung der DIK nutzen die Verbände nun, um politischen Druck aufzubauen. Zwar wollen sie »als Zeichen unseres prinzipiellen Willens zur konstruktiven Mitarbeit« an der Auftaktveranstaltung der Konferenz teilnehmen. Sollten dort jedoch nicht grundlegende Änderungen in der Struktur der DIK vorgenommen werden, würden die Verbände »eine abschließende Bewertung vornehmen«, sich also aus der Konferenz zurückziehen, ergänzte Azzaoui.

Die heftige Kritik an der Konferenz gründet jedoch keinesfalls allein in Bedenken hinsichtlich ihrer demokratischen Struktur. Vielmehr scheinen vor allem die eingeladenen Einzelpersonen Anlass für die Empörung sein. Bei ihnen handelt es sich teilweise um säkular und liberal eingestellte Personen wie den Schriftsteller Feridun Zaimoglu, die Anwältin Seyran Ates und die Soziologin Necla Kelek. Während Zaimoglu in seiner Literatur migrantische Identitätspositionen jenseits von islamischer Tradition und deutscher Assimilierungsforderung entwirft, treten Kelek und Ates aus unterschiedlichen Per­spektiven für die Selbstbestimmung von muslimischen Frauen ein und kritisieren die gewalttätigen und patriarchalen Strukturen in vielen muslimischen Familien.

In der Beurteilung dieser Personen verbinden sich die Bedenken hinsichtlich der Repräsentativität der DIK mit politisch-religiösen Vorbehalten, also gerade jenen Bereichen, welche die Konferenz eigentlich diskutieren soll. Der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kizilkaya, wirft dem Bundes­innen­ministerium vor, durch die Einladung von Zaimoglu, Ates, Kelek und anderen die Position der Dachverbände gezielt schwächen zu wollen. »Der Staat kann nicht, um die eine Seite zu schwächen, sich seine ihm genehme Mehrheit aussuchen«, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Angesichts der Diskrepanz zwischen den Erwartungen des Bundesinnenministeriums und den Vorbehalten der muslimischen Ver­bände sollte von der Konferenz also nicht allzu viel erwartet werden.

Die säkularen TeilnehmerInnen der Konferenz könnten sich jedoch schnell von zwei Seiten umstellt finden. Auf der einen Seite die islamischen Verbände, die ihnen Unglauben, Individualismus und westliche Dekadenz vorwerfen, und auf der anderen Seite konservative Leitkultur- und sich tolerant gebende Multikulti-Romantiker, die sich vor dem Verlust aller Koordinaten zur Definition von dem, was deutsch, und dem, was sozusagen exotisch ist, fürchten. Die Sozialdemokratin Heide Simonis stellte das Ethnisierungsbedürfnis des deutschen Toleranzdiskurses exemplarisch zur Schau, als sie vor ein paar Jahren während einer Fernsehtalkshow Feridun Zaimoglu darauf festnageln wollte, trotz seiner deutschen Staats­bür­gerschaft sein türkisches »Erbe« nicht ablegen zu können. »So wie ich ein anderes Erbe mit mir rumschleppe, schleppen Sie das türkische mit sich rum. Tut mir leid, das ist so«, sagte sie.

Aus dem Bedürfnis heraus, ethnische und kulturelle Identitäten quasi zu institutionalisieren, könnten die 15 VertreterInnen des deutschen Staats in der Konferenz durchaus in einen Dialog mit den islamischen Verbänden kommen. Den säkularen und liberalen Standpunkten der eingeladenen Einzelpersonen wird dabei wohl kaum jemand zustimmen.

Dabei sind längst nicht alle in Deutschland lebenden Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund auch gläubige Muslime. Umfragen zufolge befolgt nur eine Minderheit die religiösen Pflichten und Gebote. Dass die säkularen Einzelpersonen also für diese große Gruppe eine Form der Repräsentation darstellen könnten, wird von den Verbänden offensichtlich ignoriert.