Volk und Bier

Unter den großen Trinkerfilmen ein kleiner: »Das Bierfest« fasziniert mit lauter bizarren Details. von jürgen kiontke

Ich frage mich, wieso ich mich selbst in einen Film namens »Bierfest« geschickt habe – vielleicht wollte ich sehen, wie Warner, einer der führenden US-Filmverleiher, eine Komödie übers deutsche Bier auf die Leinwand bringt. Wie sehen die Bayern aus, wie werden deutsche Saufrituale dargestellt etc.

Richtig konzentrieren kann ich mich auf das Thema zu Beginn dieses Textes noch nicht, habe ich doch das derzeitige große Bedeutungskino im Kopf: »Road to Guantanamo« von Michael Winterbottom kümmert sich um die Auswirkungen des US-Irak-Feldzuges; »Der Kick« von Andres Veiel passt zum NPD-Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern; Laurent Cantet, der neue Regie-Star des sozialen Kinos, wagt sich mit »In den Süden« an das Tabuthema Sextourismus in der Diktatur; Naomi Klein, die Anti-Globalisiererin, schickt »The Take – Die Übernahme« in die Schlacht, den Film über argentinische Enteignung, um nur einige Titel zu nennen. – Jetzt, wo diese Filme genannt sind, geht’s schon besser.

Denn im Unterschied zu dieser Art Kino greift »Das Bierfest« überhaupt nichts Brisantes auf, es ist eine reine Saufkomödie. Trash-Kino, bei dem die genderzentrierte Rollenanalyse, die die Filmkritik heute ja ausmacht, nicht greifen dürfte. Es gibt nur Klischees. Gags bestehen in Anspielungen auf polymorphe Sexualpraktiken als da wären Blasen, Lecken, anales Einführen von Tischtennisschlägern (nicht die Seite mit dem Griff, die andere) und weiteren Dingen, die die meisten aus den Betreff-Zeilen von Spam-Mails kennen, wenn sie keinen Filter gesetzt haben.

Gelacht wird, wenn einer schneller trinkt oder weiter pisst als der andere. Deutsche trainieren das hektoliterweise Biertrinken, indem sie Ziegenpisse schlürfen. Das amerikanische Trainingscamp heißt »Schnitzengiggle«. Eine Figur heißt Mr. Schniedelwichsen. Die Wolfhausens gemahnen in ihren Lederhosen an Hitlerbuben (die Jüngeren) oder SA-Kameraden (die Älteren) – wenigstens so lange, bis einem einfällt, dass die Spieler des FC Bayern auch so rumlaufen, wenn sie wie jedes Jahr die Meisterschaft gewonnen haben.

Bevor ich weitermache, hier mal eine kurze Inhaltsangabe: Die Brüder Todd (Erik Stolhanske) und Jan Wolfhouse (Paul Soter) reisen aus dem fernen Colorado nach Deutschland, um die Asche ihres verstorbenen Großvaters (immerhin: Donald Sutherland!) auf dem Oktoberfest zu verstreuen.

Als wäre es dort nicht schon schlimm genug, landen sie im Oktoberfest-Keller mitten im internationalen Wettkampf: dem Bierfest. Dort werden sie von ihren deutschen Cousins (u. a. Ralf Moeller) und Onkel Baron von Wolfhausen (Jürgen Prochnow) nicht gerade herzlich begrüßt: Der Halbbruder des Barons, Opa Sutherland, hat vor Urzeiten die weltbeste Bierrezeptur mitgehen lassen. Seitdem brauen die Wolfhausens nur noch das viertbeste Bier – nach Eigenaussage liegen u. a. Beck’s und Radeberger vorn, naja.

Von der Verwandtschaft werden die zwei beim Oktoberfest unter den Tisch gesoffen – und Oma wird als Ex-Hure beschimpft und beleidigt. Die beiden beschließen, im nächsten Jahr wiederzukommen, austrainiert und in Mannschaftsstärke, um die Familienehre wiederherzustellen.

Frei nach den Gesetzen der Spielberg- oder Emmerich-Family-Value-Blockbuster besteht das Team – neben den beiden Deutschland-Exilierten – aus einem Juden (Steve Lemme), einem Inder (Jay Chandrasekhar) und einem Moslem (Kevin Heffernan). Ganz wie in jedem anderen Buddy-Movie auch werden die Kollegen bei mehr oder weniger erniedrigenden Jobs abgeholt: Im Fall des Inders Barry ist es der Straßenstrich, beim Juden Finkelstein ist es ein biologisches Labor, wo er Fröschen ihr Sperma abmelkt, und beim Moslem ist es die Familie.

»Mit dem Segen von Oma (Cloris Leachman) und der Unterstützung ihrer Pflegerin Cherry (Mo’nique) trainieren die Glorreichen Fünf gnadenlos Herz, Verstand und Leber, um schneller, schlauer und maßloser zu saufen als je zuvor.« (Warner-Pressetext) Die Darsteller der fünf Säufer arbeiten normalerweise als Comedians des Teams Broken Lizard; ihrer Aussage zufolge soll ihnen die Idee für »Das Bierfest« während der PR-Tour zu ihrem Film »Super Troopers« gekommen sein.

Offensichtlich waren nicht nur sie besoffen. Jürgen Prochnow, weltbekannter Charakterdarsteller, spielt einen gewichtigen Part, Sutherland hatte ich schon, und sogar für Country-Star Willie Nelson findet sich eine Rolle.

Brisant auch das Engagement des deutschen Mr. Universum Ralf Moeller als dauersaufendem Muskelmann: Steht er doch derzeit in der Pflicht des Bundesfamilienministeriums für die Kampagne »Starke Typen«, die Verbesserungen für Jugendliche aus sozialen Brennpunkten im Sinn hat. Moeller: »Es ist der Glaube an dich selbst, der dich stark macht fürs Leben, damit du was bewegen kannst!«

Als »starker Typ« will er den Jugendlichen durch Sport notwendige Schlüsselqualifikationen wie Fleiß, Disziplin, Ehrgeiz und Teamgeist vermitteln. Ob »Das Bierfest« Teil seines Engagements ist? Das Gremium der Freiwilligen Selbstkontrolle hat eine Altersfreigabe ab 16 Jahren bewilligt. Jedenfalls kommt Moellers Film-Engagement nicht wirklich überzeugend rüber als »Keine Macht den Drogen«-Kampagne. Eher schon als filmischer Realismus – beim Bier/Oktoberfest, sehr gut beobachtet, saufen sogar die Tiere Bier.

Ich muss aber leider auch sagen, dass »Das Bierfest« im Genre Alkoholfilm – man denke an geniale Vorlagen wie »Der Trinker« (Trinker: Harald Juhnke), »Leaving Las Vegas« (Trinker: Nicholas Cage), »Rückfälle« (Trinker: Günther Lamprecht) oder auch »Ballermann 6« (Tom Gerhardt) – nicht wirklich überzeugen kann, trotz manch guter Momente: Woher denn Jan sein blaues Auge habe, will die Großmutter wissen. »Ich bin gegen eine Mauer gelaufen«, gibt der Deutschlandreisende Auskunft, »die Berliner Mauer.« Ein nur zu glaubhafter Unfall im Deutschland in den Grenzen von 1989.

Schön auch die Szene, in denen die Wolfhausens den Wolfhouses Geld fürs Bierrezept bieten – ein Deal, aus dem nichts wird: Die beiden Amerikaner halten Euros für Spielgeld.

In Sachen Analogie zu Hitlerdeutschland hält sich »Das Bierfest« eher zurück, Baron von Wolfhausen kokettiert immerhin mit seiner Vergangenheit als U-Boot-Kapitän. Um Finkelstein ranken sich eine Menge netter Einfälle – einmal rennt er mit einer Kippa im Basketball-Design herum –, aber aus dem Spannungsverhältnis »Jude säuft deutschen U-Boot-Nazi unter den Tisch« wird wenig Kapital geschlagen.

Aber vielleicht zeigt sich die Klasse von »Das Bierfest« im Detail: Auf die Frage, warum denn die Deutschen so gut trinken können, liefert Oma einen sehr, sehr klugen Kommentar – und so ganz nebenbei könnte der auch zur Bildungsdebatte in Deutschland so stehen bleiben. Ja, vielleicht zu der ganzen Misere hier, zum Pisa-Test, der Shell-Jugendstudie, der Arbeitslosigkeit und warum es so viele Jugendliche gibt, die keinen Schulabschluss haben, den eingangs angesprochenen Themen undundund: »Von allerfrühester Kindheit an werden die Deutschen zum Biertrinken erzogen.«

»Das Bierfest«. R: Jay Chandrasekhar. Start: 28. September