50 Jahre nach der Revolution

Proteste in Ungarn von karl pfeifer

Am 23. Oktober wird Ungarn den 50. Jahrestag der Revolution feiern, die mit einer friedlichen Demonstration von Intellektuellen und Studenten begann, die glaubten, das realsozialistische System sei reformierbar. Während dieser Zeit, als die alte Ordnung aufgelöst und die neue noch nicht etabliert war, kam es tatsächlich auch zu antijüdischen Ausschreitungen. Jahrzehnte lang wurde in Ungarn darauf nicht eingegangen und nur von der »Konterrevolution« gesprochen.

Während der siebziger Jahre gestatteten die Kommunisten dann dem notorischen Geschichtsfälscher David Irving nicht nur mehrmals die Einreise, sondern auch Einblick in das Archiv des Innenministeriums, das den allermeisten ungarischen Historikern verschlossen war. David Irving revanchierte sich im Jahr 1981 mit einem 600 Seiten umfassenden Buch über den »gegen die jüdischen Kommunisten gerichteten Aufstand«.

Im Herbst 2003 hielt Irving in Ungarn eine Rede, in der er wahrheitswidrig behauptete, die Aufständischen hätten während der ersten zwei Tage der Revolution ein antisemitisches Pogrom durchgeführt. Seine Rede wurde vom rechtsextremen Fernsehprogramm »Nacht­asyl« am 26. Oktober 2003 ausgestrahlt. Die Tatsache, dass das staatliche ungarische Fernsehen (MTV) die Geschichtsverdrehung eines Holocaustleugners propagierte, empfanden viele Ungarn als eine Verletzung der nationalen Ehre, und auch deswegen wurde das Programm »Nachtasyl« eingestellt, was zu pöbelhaften Demonstrationen von Rechtsex­tremisten vor dem Gebäude von MTV führte.

Im April 2006 siegte die linke Koalition bei den Parlamentswahlen, und Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány konnte weiterregieren. Doch die rechte Opposition Fidesz wollte diesen Sieg nicht anerkennen und rief ihre Anhänger zu Demonstrationen auf. Nachdem im September eine Rede von Gyurcsány vor 120 Funktionären, in der er zugab, die Wahlen mit Lügen gewonnen zu haben, den Medien zugespielt worden war, kam es wieder einmal zu schweren Ausschreitungen vor und im Gebäude von MTV. Neonazis und antisemitische Fußballfans – die bereits Jahre vor der Wende im Stadion des Innenministeriums »Dreckige Juden! Das seid ihr« und »Gaskammer!« skandierten – wofür man ausgerechnet diesem Pöbel im Jahr 1988 den Preis des »sportlichsten Publikums« verlieh – konnten wieder einmal den Ton angeben. Die Regierung und die Polizei rechneten zwar mit Demonstrationen, doch auf Plünderungen und Brandstiftungen waren sie nicht vorbereitet.

Die Sozialisten haben schon vor diesem Vorfall den Vorsitzenden der Opposition mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass der Ort der politischen Auseinandersetzung nicht die Straße sei. Die Fidesz ist für diese Ausschreitungen mitverantwortlich, weil sie noch nach der Randale ihre Anhänger zu einer Massendemonstration am vorletzten Wochenende aufrief, die sie dann absagen musste. Doch die Rechten forderten weiter dazu auf, die »Regierung legal zu stürzen«, was den konservativen Präsidenten László Solyom, der auch Verfassungsjurist ist, so verärgerte, dass er sie darauf aufmerksam machte, dass in Ungarn auch der Präsident der Republik die Regierung nicht einfach absetzen kann.