Die Sismi-Hotline

Während die Ermittlungen im italienischen Abhörskandal sich auf die Rolle des Militärgeheimdienstes konzentrieren, wird die Telecom Italia für Romano Prodi selbst zum Problem. von catrin dingler, rom

Alles begann am 11. September. Der Aufsichts­rat des Telefonkonzerns Telecom Italia wählte jenes denkwürdige Datum, um eine »strategische Neuordnung« des seit 1997 zur Aktiengesellschaft privatisierten Unternehmens anzukündigen. Ministerpräsident Romano Prodi reagierte pikiert auf die Nachricht. Der Präsident der Telecom, Marco Tronchetti Provera, habe ihn nicht unterrichtet, dabei hätte die Regierung »ein Recht« darauf gehabt, über die Pläne des größten italienischen Unternehmens vorab informiert zu werden. Prodis Behauptung, von den Umstrukturierungsplänen nichts gewusst zu haben, wurde jedoch schon vier Tage später durch die Veröffentlichung eines Schreibens seines Wirtschaftsberaters in Frage gestellt. Angelo Rovati hatte auf Papieren, die der Briefkopf des Ministerpräsidenten zierte, Provera einen »Plan« zukommen lassen, wie ein eventueller Verkauf der Mobilfunktochter von Telecom an ausländische Anbieter zu verhindern wäre. Rovati versicherte, für das Schreiben allein verantwortlich zu sein, und trat von seinem Amt zurück. Auch Provera legte überraschend sein Präsidentenamt nieder, behält aber über Pirelli als Haupteigner weiterhin die Kontrolle über den Telefonkonzern. Vertreter der Wirtschaft und der Opposition warfen Prodi »staatlichen Dirigismus« vor.

Mitten in diese Aufregung platzte die Aufdeckung eines illegalen Abhörrings durch die Mailänder Staatsanwaltschaft. Im Zentrum der Anklage stehen die Sicherheitschefs von Telecom und Pirelli, Giuliano Tavaroli und Pierguido Iezzo, sowie der Leiter einer Privatdetektei, Emanuele Cipriani. Letztgenannter wird beschuldigt, Polizisten und Beamte für die Beschaffung von Informationen, die an die Telecom weitergeleitet wurden, bestochen zu haben. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte massenhaft illegale Dossiers. Beschattet und abgehört wurden Politiker, Geschäftskonkurrenten, Journalisten, Prominente aus dem Showbusiness, Fußballer und ihre Trainer. Vor allem aber wurden unter den Decknamen »Filter« und »Scanning« systematisch Daten gesammelt von Tausenden von Angestellten oder Bewerbern um eine Anstellung bei Telecom. Eine Datensammlung ähnlichen Ausmaßes wurde zuletzt 1971 bei Fiat entdeckt, als das Unternehmen die »politische Orientierung« der Arbeiter ausspionieren ließ. Die Gewerkschaften haben bereits beschlossen, als Nebenkläger im anstehenden Prozess aufzutreten.

Auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz wies der zurückgetretene Präsident Tronchetti Provera jede Verantwortung für die illegalen Machenschaften seiner Mitarbeiter zurück. Doch selbst wenn es sich tatsächlich um eine Gruppe »untreuer« Angestellter oder – wie es Innenminister Giuliano Amato ausdrückte – einzelner »umgelenkter« Beamter handeln sollte, bleibt die Frage offen, von wem und mit welcher Absicht die jetzt Festgenommenen »umgelenkt« wurden.

Ungewohnt einig sind sich Regierung und Opposition, wie gegen diesen »Angriff auf die Demokratie« vorgegangen werden soll. Es müsse, so Ministerpräsident Prodi, verhindert werden, dass eine »Welle von Erpressungen« das Land bedrohe. In dem in aller Eile verabschiedeten Regierungsdekret geht es vor allem darum, die Publikation illegaler Abhörprotokolle zu verhindern.

Doch die entscheidenden Bestimmungen der Gesetzesvorlage gehen sehr viel weiter: Dokumente, die aus illegal gesammelten Daten zusammengestellt wurden oder auch nur illegal gesammeltes Material enthalten, sollen vernichtet werden. Aus dem Inhalt des Mate­rials soll kein Straftatbestand abgeleitet werden können, das Material soll in Ermittlungs- oder Prozessverfahren nicht verwandt werden dürfen. Kritik übte nicht nur der italienische Journalistenverband. Die Vereinigung der Staatsanwälte wies darauf hin, dass durch die neue Regelung wichtiges Beweis­material verloren gehen könnte.

Das könnte möglicherweise der Fall sein, was einen brisanten Passus im Erlass der Mailänder Staatsanwaltschaft gegen die Hauptangeklagten des Spitzelrings betrifft. Dort ist von »gefährlichen Verbindungen« zwischen ihnen und dem Geheimdienst zu lesen. Marco Mancini, bis zum Frühjahr stellvertretender Abteilungsleiter des Militärgeheimdienstes Sismi in Mailand, gilt als enger Freund von Cipriani und alter Bekannter von Tavaroli. Beide haben vor mehr als 20 Jahren in einer Einheit der Carabinieri zur Bekämpfung des italienischen Terrorismus zusammengearbeitet. Mitarbeiter der Privatdetektei, die nach der Verhaftung ihres Chefs vernommen wurden, haben die Weitergabe von Informationen an einen »Marco« bestätigt, dessen Beschreibung auf Mancini schließen lässt. Damit wirft der Skandal um die illegalen Abhörmaßnahmen auch ein neues Licht auf die Entführung des Mailänder Imams Abu Omar.

Er war Anfang Februar 2003 im Namen der internationalen Terrorismusbekämpfung von Agenten der CIA entführt und nach Ägypten in ein Foltergefängnis verschleppt worden. Die damalige Regierung von Silvio Berlusconi beteuerte, von der Aktion nichts gewusst zu haben. Doch die Staatsanwaltschaft konnte bereits im Sommer dieses Jahres die Beteiligung italienischer Geheimdienstler nachweisen. Mancini war demnach bei der Entführung anwesend. Nach seiner kurzfristigen Festnahme beschuldigte er den Direktor des Sismi, Nicolò Pollari, von der gemeinsamen Aktion mit den amerikanischen Kollegen gewusst zu haben. Daraufhin wurde ein parlamentarischer Kontrollausschuss eingerich­tet, der parallel zum Ermittlungsverfahren der Staats­anwaltschaft die Verantwortlichkeit des Sismi klären soll. Pollari beteuerte zunächst, von nichts gewusst zu haben, kam dann aber aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse in Bedrängnis und verweigert seitdem jede Aussage mit dem Hinweis, der Vorfall sei ein »Staatsgeheimnis«.

Nach der Aushebung des Abhörrings droht der Vorfall jedoch zur »Staats­affäre« zu werden. Erste Aussagen eines ehemaligen Mitarbeiters des Sicherheitsdienstes der Telecom bestätigen, dass Mancini von der Telecom Telefonnummern verdächtiger Islamisten bekommen und diese an die Amerikaner weitergereicht hat.

Die Opposition redet sich derweil auf den »unheilvollen« 11. September heraus: Die Regierung Berlusconi habe immer im Interesse Italiens gehandelt, insbesondere wenn es um die Sicherheit des Landes gegangen sei. Prodi dagegen habe im Fall Tele­com das Land belogen und privatwirtschaftliche Entscheidungen unzulässig zu beeinflussen versucht. Bei einer ersten hitzigen Aussprache im Parlament am Donnerstag voriger Woche wurde Prodi sogar aufgefordert zurückzutreten. Die Mitte-Links-Koalition weist die Vorwürfe gegen ihren Präsidenten zwar zurück, reagiert bisher aber auffallend zurückhaltend auf die Versuche der Opposition, mit einem vermeintlichen Skandal Prodi-Provera vom eigentlichen Skandal Telecom-Sismi abzulenken.