Never change a losing team

Das schwache Wahlergebnis der Linkspartei in Berlin erleichtert der SPD die Koalitionsverhandlungen mit ihr. von markus ströhlein

Die SPD ist eine stark gescholtene Partei. Unsozial sei sie, sagen viele. Sie setze sich nicht mehr für die Schwachen ein. Sie kümmere sich nicht um die Verlierer. Das mag auf der Bundesebene für die Partei stimmen. Die Berliner SPD muss sich diese Anschuldigungen jedoch keinesfalls gefallen lassen. Denn ab Mitte dieser Woche führt sie Koalitionsverhandlungen mit der Linkspartei. Und die ist in der Tat schwach. Bei den Wahlen hat sie mehr als neun Prozent verloren; in ihren eins­tigen Hochburgen im Osten der Stadt ­haben sich die Wähler von ihr abgewandt. Nur die SPD, so sieht es derzeit aus, bleibt ihr treu.

Dabei sah es zunächst so aus, als müsse die Links­partei ihren Platz in der Regierung an die Grünen abtreten, die bei den Wahlen vier Prozent dazugewannen. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg waren es sogar acht Prozent. Im Rausch des Sieges sah sich die Partei zwischenzeitlich bereits in der Regierung. Sie forderte drei der acht Senatorenposten, wurde von der SPD aber noch vor den ersten Sondierungsgesprächen sanft daran erinnert, dass sie bei den Wahlen trotz allen Erfolgs doch nur die viertstärkste Kraft geworden war.

Um einiges zahmer gaben sich die Grünen dann auch in den Gesprächen. Die direkt gewählten parlamentarischen Neulinge, die sich mit allzu unverfrorenen Forderungen an die SPD hervorgetan hatten, wurden intern gemaßregelt. Statt fünf Unterhändlern waren der SPD nur drei recht, also gab man nach. Auch von der Idee der Gemeinschaftsschule, welche die Grünen noch im Wahlkampf befürwortet hatten, verabschiedeten sie sich recht schnell. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) war und ist von dem Modell eben nicht sonderlich begeistert.

Kurzum: Die Grünen gaben ihr Bestes, um sich nur irgendwie in die Regierung zu betteln. Auffällig oft verwendete die Spitzenkandidatin der Grünen, Franziska Eichstädt-Bohlig, in der Öffentlichkeit das Wort »Disziplin«. Der Fraktionsvorsitzende und Unterhändler Volker Ratzmann mahnte den »klaren Wählerauftrag für Rot-Grün« an und betonte vor der zweiten Sondierungsrunde das »sehr gute Gefühl«. Über die Linkspartei sagte er: »Sie muss sich erst sortieren und befasst sich hauptsächlich mit internen Problemen. Jetzt ist es aber wichtig, die Probleme Berlins zu lösen.«

Der Versuch, die Konkurrenz schlecht zu machen, hat nichts genützt. Die Enttäuschung ist nicht nur bei den Berliner Grünen groß. Renate Künast, die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, sprach von einem »traurigen Tag für Berlin«. Rot-Grün hätte nach den guten alten Zeiten geklungen. Und in der Hauptstadt mitzuregieren, wäre womöglich ein ers­ter Schritt gewesen, an die frühere Stärke anzuknüpfen. Nun bleibt den Grünen nur noch die Hoffnung, dass die Koali­tions­verhandlungen zwischen SPD und Linkspartei scheitern könnten.

Unter Umständen waren Ratzmanns Feststellungen zur Linkspartei für die SPD ausschlaggebend, sich eher für als gegen die alte Koalitionspartnerin zu ent­scheiden. Richtig, die Linkspartei muss sich »sortieren« und mit ihren Problemen befassen. Aber kann sich Klaus Wo­wereit einen besseren Gesprächspartner wünschen?

Die Verantwortlichen der Linkspartei versuchten, Haltung zu bewahren. Kritik an der Führung und vereinzelte Rücktrittsforderungen nannte der Landesvorsitzende, Klaus Lederer, eine »schwam­mi­ge Besserwisserei«. Mit dem Blick auf die ersten Son­dierungsgesprä­che bemühte sich der Spitzen­kandidat der Partei, Ha­rald Wolf, um ein selbstbewusstes Auftreten. Man werde in den Gesprächen keinesfalls Zugeständnisse machen, »die unsere Linie nicht mehr erkennen lassen«, sagte er. Anscheinend hatte man sich da­rauf geeinigt, die Frage nach der Schuld am Wahldesaster nicht in der Öffentlich­keit auszutragen. Nur Hans Modrow, der Ehrenvorsitzende der Linkspartei, meldete in der Presse Zweifel daran an, die Koalition fortzusetzen. Die Partei verprelle ihre Wähler und die Basis. Darüber hinaus gefährde man die Fusion mit der Wasg, wenn man sich erneut an der Regierung beteilige. Modrow darf so etwas sagen. Ihm hört nämlich ohnehin niemand zu.

Die Führung der Berliner Linkspartei hatte derweil schon ganz anderes im Sinn. Wer glaubte, ihr Apparat sei träge, konnte sich in der vergangenen Woche eines Besseren belehren lassen. In kürzester Zeit setzte sie einen Sonderparteitag an. Auf ihm sollte entschieden werden, ob die Partei sich überhaupt in die Koalitionsverhandlungen für die Fortsetzung der rot-roten Regierung begeben solle. Der Druck der SPD gab den rührigen Genossen sicherlich noch mehr Ansporn.

Um den Teilnehmern des Sonderparteitags gut zuzureden, hatte man Gregor Gysi, den Vorsitzenden der Linksfrak­tion im Bundestag, eingeladen. Sich an der Regierung in Berlin zu beteiligen, sei kein Fehler gewesen, sagte er. Die Partei werde in Deutschland nun stärker akzeptiert, man habe die »Ängste« vor ihr abgebaut. Dass die hohen Verluste bei den Wahlen ein Ergebnis der Regierungs­beteiligung gewesen seien, erwähnten andere Redner. Wem die Parteimitglieder glaubten, stellte sich in der Abstimmung heraus. 94 der 119 Delegierten sprachen sich für Koalitionsverhandlungen mit der SPD aus. Gysi dürfte das gefreut haben. Denn die Führung der Links­fraktion fühlt sich bekanntlich auf längere Sicht auch auf der Bundesebene zu Höherem berufen. Da gilt es, dieje­nigen, die eine Fundamentalopposition fordern, im Zaum zu halten und zu besänftigen.

Dann steht im Jahr 2007 noch die Fusion mit der Wasg an. Ein Glück für die Linkspartei, dass die Berliner Wahlen für die Wasg, die ja in Gegnerschaft zu ihr angetreten war, noch schlechter ausgegangen sind. Während in der Presse wenigstens ausführlich über die Verluste der Linkspartei und ihre Folgen berichtet wird, interessiert sich für die Berliner Wasg kaum jemand mehr so richtig. Sie hat es ja nicht einmal ins Abgeordnetenhaus geschafft. Die Wahlen dürften die Fusion weniger gefährden, als Hans Modrow annimmt.

Für die SPD ist die missliche Lage der Linkspartei von Vorteil. Der Landesvorstand der Sozialdemokraten um ihren Vorsitzenden Michael Müller hat sich einstimmig für die Koalitionsverhandlungen mit dem bewährten Partner aus­gesprochen. Nicht allein das »bestehende Vertrauensverhältnis« und die »Zuverlässigkeit«, von denen Klaus Wowereit sprach, dürften ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen sein. Es wird für den Regierenden Bürgermeister bequemer zu regieren sein, wenn er zum Beispiel das noch von Thomas Flierl (Linkspartei) besetzte Amt des Kultursenators einem anderen, umgänglicheren Kandidaten übergeben hat.

Im November könnte der Koalitionsvertrag nach den Aussagen von Vertretern beider Parteien schon unterschrieben werden. Im Dezember will Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) seine neue Finanzplanung bis zum Jahr 2010 vorle­gen, die natürlich eine weitere »Konsolidierung« des Haushalts vorsehen wird. Da braucht man die volle Unterstützung der Links­partei. Sie will sich vor allem für den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor einsetzen. Mit ihrer Hilfe können zukünftig vielleicht noch mehr Menschen für noch weniger Geld aus der gnädigen Hand des Staates arbeiten.