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Streit um die Laufzeit von Biblis A von jochen stay

In der Tagesschau vom 26. September hieß es: »Der Energiekonzern RWE hat beantragt, die Laufzeit für den ältesten deutschen Atomreaktor Biblis A zu verlängern. Statt bis 2008, wie ehemals im Atomkonsens unter Rot-Grün festgelegt, will RWE das Kraftwerk bis 2011 am Netz lassen. Im Tausch dafür soll das Kraft­werk in Mülheim-Kärlich früher schließen.«

Mülheim-Kärlich? Das Atomkraftwerk in der Nähe von Koblenz musste im Jahr 1988 nach nur 13 Monaten Betrieb stillgelegt werden, da es auf einer Erdbebenspalte errichtet worden war. Der immens teure Abbau ist bis heute nicht abgeschlossen. Und dieser Atommeiler soll nun also früher schließen, damit der Gammelreaktor Biblis A weiterstrahlen kann? Das klingt unlogisch, ist aber die Logik des von Gerhard Schröder und Jürgen Trittin im Jahr 2000 ausgehandelten Atomkonsenses.

Nach Abschluss der Verhandlungen mit den Stromkonzernen wurde damals viel vom Atomausstieg geredet, aber wenig vom Kleingedruckten in den Verträgen. Darin wurden keine Laufzeiten für die Reaktoren festgelegt, sondern »Reststrommengen«, die zwischen den einzelnen AKW hin- und hergeschoben werden können, so wie es der Industrie am besten passt. Und da RWE laut über die Fehlinvestition in Mülheim-Kärlich jammerte, bekam auch dieser quasi virtuelle Reaktor noch einen großen Batzen an der Produktion von Atomstrom zugebilligt, der nun auf andere Kraftwerke übertragen werden kann. Mülheim-Kärlich soll sozusagen in Biblis weiterlaufen.

Die anderen großen Stromkonzerne planen Ähnliches: EnBW will das Atomkraftwerk Ne­ckarwestheim I nicht wie vorgesehen 2008 abschalten. Eon und Vattenfall möchten den wegen seines ungenügenden Notkühlsystems in die Schlagzeilen geratenen Reaktor in Bruns­büttel an der Unterelbe über das Jahr 2009 hinaus laufen lassen. Und RWE beabsichtigt, in Biblis auch Block B am Netz zu halten.

Insgesamt geht es also um die vier ältesten und anfälligsten Atomkraftwerke, deren Stilllegung vor der nächsten Bundestagswahl ausgemachte Sache zu sein schien. Spätestens mit dem Antrag von RWE haben sich die Atomstromer geoutet: Kein einziger Reaktor soll vom Netz. Der seit sieben Jahren angekündigte, aber bisher nicht vollzogene Atomausstieg soll gar nicht stattfinden.

Umweltminister Sigmar Gabriel hat allerdings angedeutet, dass er den Antrag ablehnen werde. Schließlich will es sich der nach Höherem strebende Sozialdemokrat nicht nehmen lassen, vor der nächsten Wahl persönlich ein AKW stillgelegt zu haben. Selbst die atomfreundliche CDU gibt dem Ansinnen von RWE wenige Chancen. »Wir werden von Unionsseite nicht versuchen, das durch Druck zu befördern«, erklärte deren Umweltpolitikerin Katharina Reiche.

Ist Deutschland also doch weiter auf Ausstiegskurs? Es sieht nicht danach aus. Denn die geplanten Übertragungen der Laufzeiten für Biblis B und Brunsbüttel sind nach dem Atomgesetz auch ohne Ministererlaubnis mög­lich. Selbst wenn sich Gabriel im Fall Biblis A durchsetzt, wären neun Jahre nach dem Atom­konsens noch 16 der ehemals 19 Reaktoren am Netz.

Die Umweltbewegung hat erkannt, dass deshalb nur direkter Druck auf die Konzerne helfen kann. Unter dem Motto »Atomausstieg selber machen« rufen neun Umweltverbände und Verbraucherschutzorganisationen zum Boykott der vier großen Energieunternehmen auf. Die Anti-Atom-Initiativen planen für den 4. November Demonstrationen in Biblis und Brunsbüttel. Und eine Woche danach geht der Protest beim nächsten Castor-Transport nach Gorleben weiter.