»Es ist ein Völkermord«

Ein Gespräch mit ahmed musa vom Verein Darfur-Hilfe über die Lage im Sudan und über die Risiken und Möglichkeiten eines Einsatzes internationaler Truppen.

Worin besteht die Haupttätigkeit Ihres Vereins?

Nach dem Ausbruch des Krieges kam es in Darfur zu einer humanitären Katastrophe. Sehr viele Menschen sind geflüchtet, darunter über 200 000 ins Nachbarland Tschad. Wir haben versucht, das zusammengebrochene Schulsystem für die Flüchtlingskinder zu reorganisieren, und zwar nur im Ost-Tschad. Im Sudan hat die Regierung die Kontrolle, da geht das nicht. Wir haben zusammen mit einigen Lehrern, die auch geflüchtet sind, das Schulsystem wieder errichtet, bis die Unicef unsere Schulen übernommen hat. Jetzt konzentrieren wir uns auf Flüchtlinge, die nicht in die Flüchtlingslager gegangen sind und derzeit verstreut in kleinen Dörfern leben.

Aber im Osten des Tschad?

Genau. Wir versuchen, auch für die Kinder dieser Menschen Schulunterricht anzubieten.

Waren Sie in jüngster Zeit im Sudan?

Ich kann nicht in den Sudan reisen, weil ich politisch verfolgt werde. Ich komme aus Darfur, lebe aber seit langem im Westen, ich kam zum Studieren hierher und bin inzwischen deutscher Staatsbürger. Weil ich hier meine Meinung über das sudanesische Regime gesagt habe, stehe ich auf der Liste der verfolgten Sudanesen.

Aber wir arbeiten mit zwei deutschen Wissenschaftlerinnen zusammen, die im Ost-Tschad forschen. Sie kaufen Schulmaterial im Sudan und versorgen die Kinder damit, die im Ost-Tschad unter den Bäumen lernen oder in Zelten. Wir besorgen Sitzmatten und Bücher, um den Schulunterricht aufrechtzuerhalten.

Ist Darfur ein »zweites Ruanda«, wie es derzeit häufig heißt?

Es ist ein schleichender Völkermord. In Ruanda geschah dies damals unter den Augen der Uno-Truppen. In Darfur ist es ähnlich. Die Weltöffentlichkeit redet zwar darüber, aber sie tut nichts. Was wir sehen, ist eine gezielte ethnische Säuberung.

Was müsste geschehen?

Jetzt müssten direkt Truppen nach Darfur geschickt werden. Die Afrikanische Union hat versagt, sie hat auf dem Kontinent noch nie ein Problem gelöst. Die sudanesische Regierung nimmt die Afrikanische Union nicht ernst, sie macht mit ihr, was sie will. Die Union ist eine Organisation von korrupten Politikern und Diktatoren, die keine Menschenrechte achten.

Sie sind für ein Eingreifen auch gegen den Willen der sudanesischen Regierung?

Das muss geschehen, wenn man wirklich Frieden schaffen will.

Der sudanesische Präsident Omar al-Bashir droht für den Fall, dass internationale Truppen ohne seine Zustimmung das Land betreten, mit einem »heiligen Krieg«. Besteht nicht die Gefahr, dass es zu einer Entwicklung wie im Irak kommt?

Objektiv betrachtet: nein. Der Unterschied zum Irak besteht darin, dass die USA dort ohne Erlaubnis der Weltgemeinschaft einmarschiert sind. Im Sudan gibt es schon jetzt Gruppen, die gegen die Zentralregierung kämpfen. Es ist ein Vorteil für die Weltgemeinschaft, wenn sie mit diesen Gruppen zusammen agiert.

Es gibt Vorwürfe gegen die Rebellen, dass sie auch an Massakern beteiligt gewesen seien.

Das ist reine Propaganda der Regierung. Niemand kämpft gegen seine eigenen Leute, für die man den Aufstand gemacht hat. Die Stärke der Rebellen ist, dass sie Sympathie in der Bevölkerung genießen. Andernfalls hätte die Regierung längst gesiegt.

Sind nicht auch die Rebellen untereinander zerstritten? Minni Minnawi von der Sudanese Liberation Army (SLA) hat erst im Mai einen Friedensvertrag mit der Regierung unterzeichnet, an den sich andere Rebellen nicht halten.

Minni konnte diese Rebellenarmee, die rund 10 000 Mann umfasst, nicht leiten. Er hat kein Konzept. In letzter Zeit sind viele seiner Kämpfer weggelaufen, deswegen konnte er nicht anders, als den Friedensvertrag zu unterschreiben. Er wollte die Niederlage vermeiden. Die Regierung sagt heute selbst: Wir haben einen Vertrag unterschrieben mit jemandem, der nichts hat. Minni verfügt derzeit über keine Truppen.

Was ist der Kern des Konflikts zwischen den Rebellen und der Zentralregierung?

Es geht um die ungerechte Verteilung der Ressourcen. Wir erleben einen Rassismus wie in Südafrika. Eine kleine Ethnie im Norden des Sudan, der arabisch geprägt ist, hat die Macht übernommen und unterdrückt die schwarzafrikanische Ethnie im Westen des Landes. Sie glauben, sie hätten das bessere Blut und seien das auserwählte Volk. Und die anderen sollen draußen bleiben.

Welche Rolle spielt die Religion in dem Kon­flikt?

Keine. Denn in Darfur sind alle Muslime. Jetzt wird behauptet, arabische Interessen seien bedroht, Israel, der Zionismus stecke dahinter, die Suche nach Gold usw. In einem Land, in dem 80 Prozent der Menschen Analphabeten sind, sind die meisten nicht in der Lage, die Probleme differenziert zu betrachten. Sie glauben, dass gezielt gegen den Sudan intrigiert werde.

Die Deutsche Welthungerhilfe hat davor gewarnt, dass in Darfur bereits im November eine Hungersnot ausbrechen könnte. Andererseits hört man davon, dass Mitarbeiter humanitärer Organisationen in Darfur ermordet werden. Wie kann die Hilfe dort hinkommen?

Der Regierung ist es gelungen, viele arabische Nomaden zu bewaffnen, sodass diese die ganze Region destabilisieren können. Es ist eine falsche Strategie, die Menschen mit humanitärer Hilfe von außen zu ernähren. Es muss erreicht werden, dass die Menschen in ihre Dörfer zurückkehren können, wieder Felder bewirtschaften und sich selbst versorgen können.

Viele Linke glauben, ein Einsatz internationaler Truppen im Sudan sei Imperialismus, es gehe nur um das Öl und um die Rohstoffe.

Wir leben in einer Welt, in der kein Land und kein Kontinent mehr irgendetwas alleine entscheiden kann. Wir sind so verflochten, dass ich es falsch finde zu sagen, das geht uns nichts an, da greifen wir nicht ein. Aber andererseits sind die afrikanischen Probleme auch von den westlichen Mächten verursacht worden. Man hat die Verantwortung, dort mitzuwirken, um Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen.

Kann die Situation in Darfur ganz Zentralafrika destabilisieren?

Ja. Weil die Rebellen nicht nur in der eigenen Bevölkerung, sondern auch in manchen Nachbarländern Sympathie genießen, etwa im Tschad oder in der Zentralfrikanischen Republik. In diesen Ländern versucht die sudanesische Regierung, Machthaber zu installieren, die der sudanesischen Regierung treu sind. Im Tschad unterstützt die sudanesische Regierung deshalb Oppositionsgruppen. Der Kon­flikt kann sich also ausdehnen.

interview: stefan wirner