Die Hüter der Moral

Der Wahlkampf in den USA von william hiscott

Die Regeln für die 102 Pagen, die im Kongress arbeiten, sind streng. Sie müssen eine Uniform tragen, und die Sauberkeit ihrer Schlafräume, in denen sich die 16- und 17jährigen spätestens um zehn Uhr abends einzufinden haben, wird regelmäßig kontrolliert. Weniger streng ist die Kontrolle der Kongressabgeordneten, denen sie dienen. Jahrelang schrieb der Republikaner Mark Foley E-Mails, in denen er Pagen zu sexuellen Handlungen aufforderte.

Er sei Alkoholiker, als Kind selbst von einem Priester missbraucht worden und werde sich umgehend in Behandlung begeben, ließ der Ende September zurückgetretene Kongressabgeordnete wissen. Die Empörung hat das kaum gemildert. Foley war Vorsitzender im Ausschuss für vermisste und misshandelte Kinder, zudem mehren sich die Indizien dafür, dass die republikanische Führung im Kongress schon seit meh­reren Jahren von seinen Aktivitäten gewusst, aber nichts unternommen hat.

Umfragen zufolge brachte der Foley-Skandal einen herben Imageverlust für die Republi­ka­ner, die sich auch in diesem Wahlkampf als Hüter der Moral, Beschützer der Familie und als eine saubere Truppe für law & order präsentieren. Seit Anfang Oktober müssen die Abgeordneten sich in ihren Distrikten mit dem Skandal auseinandersetzen. Da es im Kongress ausschließlich Direktmandate gibt und sich niemand auf einen guten Listenplatz verlassen kann, ist das kollektive Aussitzen keine Option. Die Kandidaten agieren nun als Einzelkämpfer, und republikanische Querschüsse gegen die eigenen Kollegen dominieren die Schlagzeilen. Denn die wichtigste Basis der Republikaner, die wertkonservativen evangelischen Christen, könnte es am Wahltag vorziehen, in die Kirche statt ins Wahllokal zu gehen.

Um die Gunst der christlichen Rechten wieder zu gewinnen, behaupten nun viele Republi­ka­ner, unter ihnen einflussreiche Konservative wie der Journalist und ehemalige Präsidentschaftskandidat Patrick Buchanan und Newt Gingrich, der ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses, die »homosexuelle Agenda« sei verantwortlich für den Skandal. Angeblich habe eine »Homo-Mafia« unter den republikanischen Stabsmitarbeitern Foley gedeckt. Allerdings scheint das Gegenteil der Fall gewesen zu sein. Es waren die homosexuellen Mitarbeiter, die intern auf Foleys Aktivitäten aufmerksam gemacht hätten, betonen Mitglieder der Schwulenorganisation Log Cabin Republicans. Nur habe die »Hetero-Führung« auf ihre Warnungen nicht reagiert. Das sind allerdings unwichtige Details für die rechten Demagogen der Republikanischen Partei, die das eigentliche Problem in der zu großen Toleranz gegenüber der Homosexualität sehen.

Der Skandal hat auch einen Vorteil für die Republikaner. Die unpopulären Kriege im Irak und in Afghanistan werden nicht mehr zu Beginn der Nachrichten erwähnt. Der nordkoreanische Atomtest und die kompromisslose Haltung des iranischen Regimes könnte es den Republikanern zudem ermöglichen, mit ihrem Kernthema, dem Kampf gegen den Terror und die »Achse des Bösen«, Angst zu schüren und die Demokraten als ungeeignet für die Verteidigung der nationalen Sicherheit darzustellen.

Die Chancen auf einen republikanischen Sieg bei den Wahlen am 7. November sind zwar deutlich gesunken, und nicht wenige Analytiker prognostizieren eine demokratische Mehrheit im Kongress. Der kritische Journalist David Corn warnt allerdings, die Demokraten sollten noch keine neuen Gardinen für die Büros der Mehrheitsführer bestellen. Noch wartet man auf einen fulminanten Endspurt des berüchtigten Wahlkampfstrategen Karl Rove und den Einsatz der prall gefüllten Kriegskassen der Republikaner.