»Wir brauchen eine kontinuierliche Förderung«

Katrin Zschau

Bereits bei der konstituierenden Sitzung des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern am 16. Oktober sorgte die sechsköpfige Fraktion der rechtsextremen NPD für einen Eklat. Wegen eines Formfehlers erzwangen die Neo­nazis zunächst die Verschiebung einer anberaumten Sondersitzung des Parlaments und boykottierten diese dann. Katrin Zschau engagiert sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus. Die 28jährige ist Jugendbildungsreferentin des DGB-Nord und sitzt als parteilose Abgeordnete für die Linkspartei in der Rostocker Bürgerschaft. Mit ihr sprach Jürgen ­Kiont­ke.

Erst in Sachsen, jetzt in Mecklenburg-Vorpommern im Landtag: Muss man sich an den Anblick von Neonazis in Parlamenten gewöhnen?

Wir dürfen und wir können Nazis in Parlamenten nicht als Normalität begreifen. Die NPD lehnt zentrale Werte und institutionelle Arrangements des Grundgesetzes ab, und ihre Kader verunglimpfen in alter Tradition die parlamentarische Demokratie. Rechtsextremisten wollen sich mit Landtagsmandaten nur ein seriöses Erscheinungsbild verpassen, um so größere Kreise der Bevölkerung für ihre wahnwitzigen Ziele einnehmen zu können.

Dass die Wahlbeteiligung zurückgeht, ist ein bundesweiter Trend. Wie bewerten Sie die Nichtwählerquote in Mecklenburg-Vorpommern?

Die Wahlbeteiligung lag in Mecklenburg-Vorpommern mit 61 Prozent höher als erwartet. Die drohende Gefahr von Rechts hat gerade in der letzten Woche vor der Landtagswahl noch einmal deutlich viele Wähler mobilisiert. Nichtsdestotrotz glauben viele Bürger und Bürgerinnen, mit ihrer Stimme kaum bis gar keinen Einfluss auf die Politik zu haben. Das drückt sich in Aussagen aus wie: »Politiker halten nicht Wort, handeln nur im Interesse von Lobbygruppen oder werden selbst nur von der Wirtschaft regiert.« Auch bei dieser Wahl haben wieder fast alle Parteien Stimmen – und damit Menschen und Meinungen – an die Gruppe der Nichtwähler verloren. Die NPD hat einerseits von ihren Stammwählern profitiert, die anders als vor acht Jahren für nur eine rechtsextreme Partei stimmen konnten. Andererseits gewann sie Stimmen von drei großen Volksparteien im Osten – SPD, CDU und Linkspartei – hinzu.

Diese Parteien haben im Wahlkampf wenig konkrete Botschaften vermittelt – die NPD aber die soziale Frage. Haben die Parteien im Osten Konkurs angemeldet?

Wohl aus strategischen Gründen haben alle auf streitbare landespolitische Themen verzichtet. Die Jugend wurde gleich gar nicht angesprochen. Aus Sicht vieler Bürger und Bürgerinnen schienen die großen Parteien auf die dringenden sozialen Probleme des Landes keine Antworten zu haben. Es wurde nicht klar, ob und wie sie als Landesparteien versuchen wollen, auf bundespolitischer Ebene Einfluss geltend zu machen. Die soziale Frage gerade für die Jugend stellt sich jedoch bundesweit: Laut Shell-Studie haben 69 Prozent aller Jugendlichen in Deutschland – verbunden mit drohender Arbeitslosigkeit – Existenzängste!

Die scheinbar nachlassende Bedeutung der so genannten Volksparteien im Osten sollte vor diesem Hintergrund viel mehr Beachtung finden und als Warnung verstanden werden. Die kommunal- und landespolitische Arbeit einer rechtsextremen Partei wie der NPD muss von allen politischen Akteuren sowie von den Medien kritisch beleuchtet werden. Dann wird man sehen, dass sich die Nazis in der parlamentarischen Arbeit als völlig unfähig erweisen werden und letztlich nur für Parolen etwas taugen.

Die DGB-Jugend engagiert sich traditionell stark gegen Rechts. Sie haben Internetseiten geschaltet und Aktionen gestartet. Fühlen Sie sich von der Politik allein gelassen?

Wir haben 2006 mit unserer Kampagne »Rechtsweg ausgeschlossen« und unter dem Motto »Nimm deine Freunde mit« gezielt junge Menschen dazu aufgerufen, unbedingt wählen zu gehen und sich gegen Rassismus und Vorurteile stark zu machen. Mit der Großveranstaltung »Ros­tock bleibt bunt« haben wir uns am 1. Mai gegen den Aufmarsch der NPD gestellt. Unsere Berufsschultouren quer durch Mecklenburg-Vorpommern waren 2006 Teil unserer Kampagne. Zwei Tage vor der Wahl haben wir – zusammen mit den vielen anderen Partnern – mit dem Musikfestival »Laut gegen Rechts« über 10 000 Jugendliche mobilisiert. Wenn auch viel zu spät haben politische Parteien, Jugendorganisationen, Verbände und Vereine in Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam an dem Ziel gearbeitet, die Neonazis zurückzudrängen. Die politischen Parteien und auch wir als Gewerkschaftsjugend müssen an dieser Stelle insbesondere den Initiativen danken, die sich bereits lange Jahre in diesem Feld engagieren. Wir müssen sie stärken und vor drohenden Mittelkürzungen schützen.

Das Bundesfamilienministerium hat ein neues Programm geplant, das »besser an die Erfordernisse angepasst ist als bisherige Initiativen«. Das neue Konzept – »Aktionspläne, Modellprojekte, Orte der Kommunikation« – sei notwendig, um dem Erstarken der Rechtsextremisten mehr als bisher entgegensetzen zu können. Was nutzen staatliche Programme?

Der Rechtsextremismusexperte Wilhelm Heitmeyer, der im Auftrag der Bundesregierung das alte Bundesprogramm Civitas untersucht hat, meint dazu, lokal integrierte Strategien, »lokale Aktionspläne« seien prinzipiell der richtige Ansatz – gerade im Hinblick auf die ländlich-kleinstädtischen, strukturschwachen und von Abwanderung geprägten Regionen Ostdeutschlands. Es wäre aber falsch, so Heitmeyer, wenn Kommunen als Antragsteller entscheiden könnten, wer da mit hinein und gefördert gehört. Die Fixierung auf Kommunen wäre ein Misstrauensvotum gegen zivilgesellschaftliche Akteure, die unbedingt mit an den Tisch müssen. Unbedingt erhalten müsse man seiner Meinung nach die so genannten Strukturprojekte, Mobile Bera­tungs­teams und Opferberatungsstellen, die laut Familienministerium und Bundeshaushaltsordnung nur modellhaft und nicht dauerhaft gefördert werden können. Es gehe aber um kontinuierliche Förderung zivilgesellschaftlicher Akteure, um im Kampf gegen Rechts erfolgreich sein zu können. Dem kann ich mich nur anschließen. In jeder Legislaturperiode mit immer weniger Geld neu beginnen zu wollen, ist der falsche Weg.

Wie kann eine erfolgreiche Arbeit gegen Rechts aussehen?

Wie bisher müssen nazistische Parteien und Vorfeldorganisationen enttarnt werden – Aufklärung und politische Bildung sind unverzichtbar. An Berufsschulen sind wir schon aktiv. 2007 wollen wir mit unserem Kooperationspartner »Netzwerk für Demokratie und Courage« stärker an Betriebe und Ausbildungszentren herantreten. Wir als Gewerkschaftsjugend sind jedoch nicht nur gegen etwas, sondern haben unsere Positionen zu Jugendarbeitslosigkeit, prekärer Beschäftigung von jungen Menschen, die wir vertreten und die wir noch breiter öffentlich machen müssen. Nur so entziehen wir den Neonazis die Grund­lage für ihre soziale Demagogie.

In einigen Wahlkreisen war die NPD die stärkste Partei. Was passiert eigentlich, wenn die NPD beim nächsten Mal überall 30 Prozent erreicht?

Unser aller Engagement wird sich daran messen, sie massiv zurückzudrängen. Zielvorgabe für 2011 ist ein nazifreies Parlament!