Nichts tun, wenn ’s brennt

Untersuchungen zum Brand im Abschiebegefängnis am Amsterdamer Flughafen, bei dem vor einem Jahr elf Menschen starben, ergaben katastrophale Sicherheitsmängel. Zwei Minister traten zurück, doch systemimmanente Fehler sind kein Thema. von tobias müller, amsterdam

Die Vorwürfe waren drastisch: Ohne schwer wiegende Versäumnisse der zuständigen Stellen hätten zumindest einige, wenn nicht alle elf Menschen gerettet werden können, die im Oktober des vergangenen Jahres einem nächtlichen Feuer im Zellenkomplex auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol zum Opfer fielen. Dieses Fazit zog nun der unabhängige Untersuchungsrat für Sicherheit (OVV) in seinem Abschlussreport.

Die Details in dem Bericht enthüllen haarsträubende Fahrlässigkeiten: Die Zellen boten den Insassen unzureichenden Schutz gegen den eindringenden Rauch – alle elf Opfer starben an Kohlen­mo­n­oxid­vergiftungen. Der Brandschutz war mangelhaft, entsprechende Bestimmungen wurden gleich mehrfach ignoriert. Das gilt ebenso für die Baurichtlinien, denen ein kompletter, von der Katastrophe betroffener zuständige Gemeinde für ihn keine Genehmigung hätte erteilen dürfen.

Hinzu kommt eine unzureichende interne Organisation im Gebäude, Sicherheitsrisiken waren nicht schriftlich festgehalten, das Personal war nicht für Katastrophen geschult worden. Vielmehr vertrauten die Mitarbeiter auf ein schnelles Eintreffen der Feuerwehr, die jedoch trotz extremer Rauchentwicklung erst nach 25 Minuten zur Stelle war – das Alarmsystem hatte den Brand nicht umgehend gemeldet.

Die Rücktritte der Minister Piet Hein Donner (Justiz) und Sybilla Dekker (Wohnungswesen) der liberal-konservativen Regierung sowie des Bürgermeisters der Gemeinde Haarlemmermeer, kurz nachdem der Bericht Anfang Oktober veröffentlicht worden war, kamen daher nicht unerwartet. Bereits kurz nach dem Brand hatte Donner in Aussicht gestellt, je nachdem zu welchen Ergebnissen die Untersuchungen führten, persönliche Konsequenzen zu ziehen. Sowohl er als auch Dekker erscheinen wegen ihres Rücktritts nun als integre, verantwortungsvolle Politiker, die für die Schlamperei ihrer Behörden den Kopf hinhalten müssen.

Dass damit der Opposition im Wahlkampf ein bedeutendes Argument aus der Hand genommen wurde, ist mehr als nur ein Nebenaspekt. Wochenlange öffentliche Schuldzuweisungen, untermalt von Nachrichtenbildern der brennenden Zellen, hätten die Mitte-Rechts-Regierung vor den Neuwahlen am 22. November in Schwierigkeiten bringen können. Anfang Oktober stellte das Kabinett gar die grundlegende Umstrukturierung der beiden beschuldigten Behörden in Aussicht.

In den Niederlanden wird jetzt darüber diskutiert, inwiefern Politiker für derartige Desaster verantwortlich gemacht werden können und ob der Bericht angemessen oder zu hart formuliert sei. In seiner Rücktrittserklärung kritisierte Donner die vermeintliche Tendenz, Katastrophen und Gefährdungen der Bürger allgemein der Politik und den Behörden anzulasten, und er stellte die Frage, ob eine solche Verantwortung überhaupt noch tragbar sei.

Entsprechend dieser generalisierenden Darstellung wird die Katastrophe in Schiphol mit den beiden anderen großen Unglücksfällen in Verbindung gebracht, die in den vergangenen Jahren die niederländische Öffentlichkeit schockierten: die Explosion von Feuerwerkskörpern in einem Enscheder Wohngebiet im Jahr 2000 und der Brand in einem Volendammer Café ein Jahr später.Beides waren Ereignisse, die von einem sehr laxen Umgang mit den Sicherheitsvorschriften begünstigt worden waren.

Einmal mehr fielen aus dieser Perspektive Menschen behördlicher Schlamperei zum Opfer. Dahinter scheinen die spezifischen Umstände der Katastrophe von Schip­hol zu verschwinden. Prinzipielle Fragen nach der Behandlung von unerwünschten Migranten und der Garantie ihrer Menschenrechte werden kaum gestellt.

Bezeichnenderweise ist die Abschiedsrede von Sybilla Dekker in dieser Hinsicht aufschlussreicher. Rückblickend auf die Entstehungsgeschichte der Haftanstalt Schiphol, sprach sie von immensem öffentlichen Druck auf das ihr unterstellte Amt und begründete damit dessen Nachlässigkeiten. Im Jahr 2002 hatte eine aggressiv geführte Debatte um bolletjesslikkers (»Kügelchenschlucker«) genannte Drogenkuriere die gesetzliche Einführung von »Notkapazitäten« in Spezialgefängnissen bewirkt. Mit drastischen Worten war damals die Gefahr einer »Überflutung« des Landes mit Drogen beschworen und ein Jahr später der Zellenkom­plex in Betrieb genommen worden, um dort die am Flughafen Schiphol aufgegriffenen Kuriere unterzubringen.

Dies entsprach der geforderten schnellen Lösung, und billiger als ein gängiges Gefängnisgebäude war diese Option ebenfalls. Im Zuge der fortschreitenden Kriminalisierung illegaler Migration und der Verschärfung der Asylpolitik wurde dort zusätzlich ein Abschiebegefängnis eingerichtet. Seit der Eröffnung des Komplexes aus Schiffscontainern ist es dort zu neun kleineren Bränden gekommen.

Einem Hintergrundbericht des Volkskrant zufolge hat es sich bei dem Brand in Schiphol um eine »angekündigte Katastrophe« gehandelt: Bereits im Jahr 2004 hatte eine Untersuchungskommission dem damals zuständigen Verteidigungsminister Henk Kamp ihren Befund über die völlig inakzeptablen Brandschutzeinrichtungen mitgeteilt. Kamp hatte dies zurückgewiesen und versichert, die Gebäude genügten sämtlichen Anforderungen.

Man hatte symbolischen Zugriff auf Drogenkuriere und Illegale, auch wenn die Sicherheit der Häftlinge nicht gewährleistet war. Ahmed Pouri von der Flüchtlingsorganisation Prime in Den Haag sieht die Prioritäten klar verteilt: »Es war wichtiger, die Menschen festzuhalten, als dafür zu sorgen, dass sie sicher waren.« Ein Überlebender bringt es mit den Worten auf den Punkt: »Wir sind nur ein Haufen Kakerlaken, die sie einsperren wollten. Und um die Sicherheit von Kakerlaken zu garantieren, gibt man keinen Cent aus.«

Der Untersuchungsrat OVV spricht übrigens nicht von einem Einzelfall, sondern sieht vielmehr strukturelle Defizite bei Justizeinrichtungen dieser Art. Belegt wird dies durch Tests in fünf der 24 niederländischen Abschiebegefängnisse kurz nach dem Brand in Schiphol. Dabei kamen durchgängig Einschränkungen beim Brandschutz, Unkenntnis der Katastrophenpläne und mangelnde Ausbildung des Personals zum Vorschein. Der Bürgermeister von Rotterdam drohte dem dortigen Abschiebegefängnis mit dem Entzug der Genehmigung, wenn nicht sofort Notfallmaßnahmen ergriffen würden. Am Tag der Veröffentlichung des aktuellen Reports zerstörte ein Feuer im »Ausreisezentrum« Ter Apel nahe Groningen ein Gebäude. Verletzt wurde dabei niemand.