No fear of a black Congress

In den USA tritt eine große Anzahl afroamerikanischer Kandidaten zu den Kongresswahlen an. Bei zwei von ihnen könnte es zu einer Wahl von großer Bedeutung kommen – aus ganz unterschiedlichen Gründen. von william hiscott

Wen die Demokraten in Minneapolis für das Repräsentantenhaus auch aufstellen, für gewöhnlich ist es für ihre Kandidaten ein Leichtes, die Wahlen zu gewinnen. Seit Jahrzehnten entsendet die Stadt im mittelwestlichen Bundesstaat Minnesota einen demokratischen Abgeordneten nach dem anderen nach Washington. Wenn Keith Ellison die Kongresswahlen am kommenden Dienstag für sich entscheidet, wird dies dennoch ein bedeutendes Ereignis: Der US-amerikanische Kongress hätte erstmals einen muslimischen Abgeordneten – und der Bundesstaat Minnesota den ersten Afroamerikaner unter seinen Vertretern in Senat und Repräsentantenhaus.

Der 42jährige Jurist trat während seines Studiums zum Islam über. Zwar hatte zu dieser Zeit die afro­amerikanische islamische Bewegung in den USA ihren Höhepunkt, den sie am Anfang der siebziger Jahre erreicht hatte, längst überschritten. Doch für diesen jungen, intellektuell angehauchten Aktivisten schien sie noch immer attraktiv zu sein: das ultimative Zeichen des Protests gegen das weiße und christliche Amerika, in dem das Christentum nicht zuletzt dazu diente, die Afroamerikaner zu unterwerfen, wie es Malcolm X gelehrt hatte.

Nach seinem Studium engagierte sich Ellison in Minneapolis für Bürgerrechte und die Belange der Muslime, ehe er Mitte der neunziger Jahre eine Laufbahn als Berufspolitiker antrat. Wie er heute behauptet, schnitt er damals seine, wie er sagt, ohne­hin nicht allzu starken Bindungen zur »Nation of Islam« ab, der für ihren Verbalradikalismus und die antisemitischen Ausfälle ihres Anführers Louis Farrakhan bekannten Vereinigung afroamerikanischer Muslime. Fortan gab er sich als »moderater Muslim« und als demokratischer Traditionalist. Derzeit ist er noch Mitglied des Abgeordnetenhauses von Minne­sota, wo er einen Arbeiterbezirk vertritt. Er genießt die Unterstützung vieler Fraktionen der demokratischen Partei. Gewerkschaften, schwul-lesbische Gruppen, Frauenorganisationen und sogar jüdische Verbände loben seine Politik. Seine Forderungen lesen sich wie ein Musterbeispiel für das Gedankengut des linken Flügels der Demokraten: Er will den Abzug der Truppen aus dem Irak, eine allgemeine Gesundheitsvorsorge, eine progressive Umweltpolitik, Bildung für alle und das Recht auf Abtreibung.

Obwohl der Wahlkampf in Minneapolis gelaufen zu sein scheint, versuchen einige Konservative, Ellisons Vergangenheit in radikalen Black-Muslim-Kreisen zu durchleuchten. So veröffentlichte der Weekly Standard vor zwei Wochen einen Bericht, der die gesammelten Jugendsünden des Kandidaten als aktiver Black Muslim auflistete. Unausgesprochen darin enthalten war die Befürchtung, Ellison könne sich im Kongress als Advokat der »Nation of Islam« entpuppen.

Doch realistischer als die Einschätzung, in dem Mann einen Undercover-Agenten der radikalen Muslime zu sehen, ist es wohl, seine Kandidatur und voraussichtliche Wahl als vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung unter US-amerikanischen Muslimen zu deuten. Schätzungsweise leben zwischen drei und sechs Millionen Muslime im Land, und in Minneapolis gibt es eine wachsende muslimische Community. Gemessen an anderen Minderheiten in den USA, genießt diese aus Einwanderern aus muslimischen Ländern und afro­ame­ri­ka­nischen Konvertiten bestehende Gruppe aber so gut wie keine politische Repräsentation.

Da in der US-amerikanischen Politik ethnische und religiöse Kategorien eine erhebliche Rolle spielen, ist der Mangel an Repräsentation gleichbedeutend mit einer gewissen Einflusslosigkeit. Dieser Umstand trug maßgeblich dazu bei, dass sich die US-amerikanischen Muslime nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schutzlos den Verdächtigungen und Anfeindungen der gesellschaftlichen Mehrheit ausgesetzt sahen. Ob ein Abgeordneter dies ändern kann, ist ungewiss, aber James Zogby, der Leiter des progressiven Arab American Institute, sieht nach dem Backlash der vergangenen Jahre die Bedeutung der muslimischen Wähler wachsen. Die Sympathien gälten eindeutig den Demokraten, und sofern das demokratische Estab­lish­ment diese Wählergruppe offen aufnehme, könnten sie die muslimischen Stimmberechtigten als treue Wähler gewinnen, glaubt Zogby.

Einige hundert Meilen südlich von Minne­sota, im Bundesstaat Tennessee, kämpft der afroamerikanische Demokrat Harold Ford jr. um einen Sitz im Senat. Anders als Ellison ist er evangelisch, vertritt eher konservative moralische Werte und gibt sich als gemäßigter Demokrat. Und in Tennessee, einem ehemaligen Sklavenstaat mit einer langen rassistischen Tradition, herrschen andere Verhältnisse als in Minnesota, wo nicht allzu viele Schwarze leben und wo im Zweifelsfall die Kategorie class wichtiger ist als die Kategorie race. Wenn Ford gewinnen sollte, wäre er nicht nur der erste afroamerikanische Senator aus Tennessee, sondern der erste aus den Südstaaten seit dem späten 19. Jahr­hundert.

Ford verdankt seine Kariere seinem Vater, einem langjährigen Abgeordneten des Repräsentantenhauses der Stadt Memphis, dessen Mandat der heute 36jährige vor zehn Jahren übernahm.

Sein republikanischer Gegner Bob Corker gehört zum Wirtschaftsflügel der Republikaner und trat bis vor kurzem entschieden dafür ein, die republikanische Partei in den Südstaaten für die schwarzen Bürger zu öffnen.

Dabei war es keineswegs immer so, dass die Demokraten die afroamerikanischen Stimmen abonniert hatten. Im Gegenteil, historisch betrachtet waren die Demokraten, zumindest im Süden der USA, die Partei der Sklaverei, während sich die Republikanische Partei im Kampf gegen die Sklaverei gründete.

In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts jedoch änderten die Demokraten ihre Politik um 180 Grad und wandelten sich von einer mehr oder minder rassistischen Partei der Segregation zu einer, die die schwarze Bürgerrechtsbewegung unterstützte und die vollständige Integration der Afroamerikaner befürwortete. Nun begannen die Republikaner, die von den Demokraten hinterlassene Lücke zu füllen und die Ressentiments derjenigen weißen Wähler zu bedienen, die noch immer der Rassentrennung nachtrauern. Damit gelang es ihnen, die südlichen Bundesstaaten zu erobern, was auch für die Mehrheitsverhältnisse im Kongress von ganz erheblicher Bedeutung war.

Seit einigen Jahren aber gerät die »Südstaaten­strategie« auch innerhalb der Partei in die Kritik. Führende Politiker lehnen sie ab, darunter der Parteivorsitzende, Ken Mehlman, oder eben Bob Corker. Zumindest galt das bis vor kurzem.

Doch was zählen solche Vorsätze, wenn, wie es zwischen Ford und Corker der Fall ist, das Rennen denkbar knapp scheint und wenn von dieser Entscheidung sogar die Mehrheitsverhältnisse im Senat abhängen können? Den Republikanern in Tennessee bedeuten sie offenbar nicht viel, denn in den letzten Tagen des Wahlkampfs strahlen sie Werbespots mit deutlich rassistischem Subtext aus. In einem wird über Ford gesprochen, darunter geben afrikanische Buschtrommeln den Ton an. In einem anderen sieht man eine leicht bekleidete weiße Frau, die Ford um ein Rendezvous fragt. Im übrigen Land werden solche Spots als geschmacklos gesehen, sogar Corker musste sich in Medien davon distanzieren. Aber die angesprochene Wählerschicht könnte sich dazu bewogen fühlen, in alter rassistischer Tradition »gegen den Schwarzen« zu stimmen.

Wie diese beiden Entscheidungen auch ausfallen, ihre symbolische Bedeutung wird gering bleiben im Verhältnis zu einer anderen, die für das Jahr 2008 bevorsteht. Derzeit bringt sich Barack Obama, ein Senator aus Illinois, ins Gespräch – entweder an der Seite von Hillary Clinton als Bewerber für das Amt des stellvertretenden Präsidenten. Oder als erster schwarzer Präsidentschaftskandidat der Demokraten.