Bleibt noch ein bisschen!

Auf der Innenministerkonferenz soll ein Bleiberecht für die Geduldeten in Deutschland verkündet werden. Die geplante Regelung bedeutet nur für wenige von ihnen eine Verbesserung. von martin kröger

Bei Innenpolitikern handelt es sich um eine besondere Spezies, musste Ibrahim Delen kürzlich feststellen. »Der bayerische Innenminister Günther Beckstein hat uns vor drei Wochen eingeladen, um unsere Anliegen anzuhören«, erzählt er. Während Unterredungen mit Migranten die Politiker normalerweise wenigstens vorübergehend für deren Probleme sensibilisieren und ein wenig Verständnis erzeugen, sei der Plausch mit dem CSU-Politiker »eigenartig« und »unterkühlt« gewesen. »Beckstein vertritt die Ansicht, dass alle Geduldeten das Land verlassen müssen«, sagt Delen.

Der 25jährige Jurastudent, der sein zweites Staatsexamen wegen seines Status als »Geduldeter« derzeit nicht machen kann, gründete mit Mitstreitern vor eineinhalb Jahren die Gruppe »Jugendliche ohne Grenzen«, die sich für eine großzügige Bleiberechtsregelung für Migranten und Flüchtlinge in Deutschland einsetzt. Für seine Gruppe hat der junge Kurde gemeinsam mit dem Berliner Grips-Theater und anderen Organisationen unter anderem die Kampagne »Hiergeblieben!« mitinitiiert.

In Deutschland leben derzeit 190 000 Menschen, die nur »geduldet« sind, wie eine kleine Anfrage der Linkspartei im Bundestag ergab. Das bedeutet, dass die Abschiebung dieser Personen vorübergehend ausgesetzt ist. Eine »Duldung« beinhaltet keinen formalen Aufenthaltstitel und somit weder das Recht auf Erwerbstätigkeit noch darauf, den Wohnsitz frei wählen zu können.

All diese Menschen seien selbst schuld an ihrer Situation, denn sie hätten Deutschland schon Jahren verlassen können, habe Beckstein den jungen Migranten in München erklärt. Zu einem afghanischen Mädchen sagte er, dass es auch für sie keinen Grund gebe, länger in der Bundesrepublik zu bleiben, berichtet Delen. Afghanistan sei schließlich sicher. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, erklärte Beckstein Delen zufolge unverblümt, er sei generell gegen eine Bleiberechtsregelung, und der Gesetzgeber habe auch nie vorgehabt, die so genannten Kettenduldungen abzuschaffen – trotz aller Kritik von Menschenrechtsorganisationen, Kirchen und den christlich-katholischen Milieus der Union selbst. Wenn es eine Bleiberechtsregelung in Deutschland geben werde, wie sie seit Jahren öffentlich debattiert und gefordert wird, dann eine, die lediglich eine geringe Zahl der »Geduldeten« betreffe.

Diese Meinung scheint sich bei den Innenministern der Länder durchgesetzt zu haben. In der kommenden Woche werden sie in Nürnberg auf der halbjährlich stattfindenden Innenministerkonferenz ein neues Bleiberecht präsentieren. Der Entwurf für die geplante Regelung für die knapp 200 000 geduldeten Migranten liegt der Jungle World vor. Danach müssen die Betroffenen eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllen, um ein ständiges Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis zu erlangen. Familien können erst nach sechs Jahren ein derartiges Bleiberecht beantragen, Alleinstehende sogar erst nach acht Jahren. Wer einen sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland möchte, muss eine Arbeit vorweisen. Drei Monate Zeit bekommen die Migranten, um den Antrag auf einen Arbeitsplatz zu stellen, und weitere sechs Monate, um eine Beschäftigung zu finden. Wer nach diesen neun Monaten keine Stelle vorzuweisen hat, bleibt weiter von Abschiebung bedroht.

Keine Chance, an dem Verfahren teilzunehmen, haben Migranten, die straffällig geworden sind. Für die Zuschreibung »Straffälligkeit« kursieren zwei unterschiedliche Definitionen: Einmal ist es die Verurteilung zu 50, einmal zu 90 Tagessätzen. Eine weitere Einschränkung besagt, dass »Geduldeten«, die vorsätzlich nicht an ihrer Abschiebung »mitgewirkt« haben, das neue Recht vorenthalten wird. Obligatorisch sind außerdem »Integrationsbemühungen« wie das Erlernen der Sprache oder die Anmeldung der Kinder in Kindergärten.

Vollständig von der Regelung ausgenommen sind Flüchtlinge aus dem Irak. Die Innenminister sind der Ansicht, dass für die 10 000 Iraker nach dem Ende der Diktatur Saddam Husseins kein Grund mehr besteht, länger in Deutschland zu bleiben. In großer Zahl werden sie derzeit mit Widersprüchen gegen ihre bereits abgeschlossenen Asylverfahren überzogen.

»Nur wer all diese Hürden genommen und es bis zum Stichtag nach neun Monaten geschafft hat, sozialleistungsfrei zu sein, erhält dann eine Aufenthaltserlaubnis«, erklärt Timmo Scherenberg, der Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrats. Er schätzt, dass »diese Bleiberechtsregelung für zehn Prozent der Betroffenen etwas bringen und für 90 Prozent weiterhin Ausschluss bedeuten« werde. So sei es völlig rätselhaft, wie jemand, der in einer strukturschwachen Region mit der entsprechend hohen Arbeitslosigkeit lebt, es schaffen solle, eine Stelle zu ergattern. Zumal das Stigma »Duldung« Arbeitgeber immer abschrecke, da sie nicht wüssten, wie lange ihr potenzieller Angestellter überhaupt im Land bleiben dürfe. Schließlich komme hinzu, dass in der geplanten Bleiberechtsregelung für jede Arbeitsstelle eine »Dumpinglohn-Überprüfung« vorgesehen sei. »Was nach gewerkschaftlichen Vorgaben richtig sein mag, dürfte sich in der Praxis für Arbeitgeber aufgrund der damit verbundenen Bürokratie ebenfalls als abschreckend erweisen«, meint Scherenberg. Insgesamt sei das Vorhaben als »absolut enttäuschend« zu bewerten.

Einen Arbeitsplatz als Vorausetzung für ein Aufenthaltsrecht bezeichnet auch Günter Burk­hardt, der Geschäftsführer von Pro Asyl, im Gespräch mit der Jungle World als »absoluten Quatsch«. Statt einer Minimallösung bedürfe es eines echten Aufenthaltsrechts mit einem unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt oder der Selbständigkeit. Weiterhin sei es völlig unverständlich, die Iraker von der Regelung auszuschließen, »nachdem sie so viele Jahre hier sind«. Statt um ein Bleiberecht gehe es der Union offenbar vielmehr darum, dauerhaft »Geduldete« vom Existenzminimum auszuschließen, moniert Burkhardt.

Pro Asyl sowie migrantische, kirchliche und antirassistische Gruppen wollen deshalb während der Innenministerkonferenz in der kommenden Woche in Nürnberg ihren Protest gegen die Regelung zum Ausdruck bringen. Auch Ibrahim Delen wird dabei sein. Die »Jugendlichen ohne Grenzen« veranstalten wie immer in den vergangenen Jahren eine Gegenkonferenz zu jener der Innenminister und planen vier Aktionstage. Denn dass es überhaupt eine Art von Bleiberechtsregelung geben soll, führen viele in der Hauptsache auf die Proteste der Vergangenheit zurück. Neben einer Demonstration sollen Workshops und Podiumsveranstaltungen mit belgischen und französischen Sans Papiers stattfinden. Überdies wollen Ibrahim Delen und seine Mitstreiter den schlechtesten Innenminister Deutschlands küren, um anschließend den Preis feierlich an den Gewinner zu überreichen. Ein heißer Anwärter auf den Titel ist Günther Beckstein.