Immer an die Arbeit!

Ein Filmfestival zu Arbeit, Wirtschaft und Globalisierung geht auf Tournee. von jürgen kiontke

Ausgerechnet »ueber arbeiten« heißt das wahrscheinlich interessanteste Filmfestival dieses Jahres: Auf Basis einer reichlich flotten Netzwerkidee schickt die »Aktion Mensch« über ihr Integrationsmodell »Die Gesellschafter« elf Dokumentarfilme zu den Themen, Arbeit, Wirtschaft, Globalisierung ambulant in 80 Städte in Deutschland. Am vergangenen Wochenende startete die Tour in Berlin. Anschließend ist Köln gebucht (bis zum 15. November 2006).

Nun ist es nicht neu, dass Filmfeste auf Wanderschaft gehen – so schnürt etwa das FantasyFilmfest auch jedes Jahr sein Bündel, um sich in diversen Städten zu zeigen. Bei »ueber arbeiten« wirkt jedoch das Prinzip der doppelten Patenschaft: Zum einen können sich lokale Organisa­tionen auf der Internetseite anmelden und die Filme ordern. Zum anderen weist jeder einzelne Film einen eigenen Kooperationspartner aus dem Bereich der Nichtregierungsorganisationen (NGO) und der sozialen Verbände und Institutionen auf, die auf Sonderveranstaltungen wiederum ihre Arbeit vorstellen. Das hat äußerst merkwürdige Folgen: Unter den Unterstützern findet sich die ganze programmatische Spannweite von Organisationen wie Caritas, Attac Deutschland, Oxfam und die DGB-Jugend. Berliner Festivalpartner ist die Berliner Kampagne gegen Hartz IV und Sies e. V., ein generationsübergreifendes Projekt zur Gewaltprävention.

Eine Sprecherin der »Aktion Mensch«, Mecht­hild Buchholz, sagt: »Wir wollten Filmpaten, die sich mit den Themen auskennen und sich gesellschaftlich damit auseinandersetzen.« Rich­tig skurril wird es, wenn natürliche Feinde wie eine Arbeitsgemeinschaft der Arbeitsagentur und der Kommune zur Betreuung von Arbeits­losen, in diesem Fall die in Mittweida, auf diver­se Erwerbslosenausschüsse trifft.

Das Thema Wirtschaft, früher gnadenlos unhip, läuft heute im Kino erstaunlich gut. Und so spricht Andreas Wildfang von der mitorganisierenden Berliner Agentur EYZ, die seit 1999 für die »Aktion Mensch« arbeitet, auch vom funktionierenden «popkulturellen Zusammenhang«: »Im Kino ist die Zu­gangsschwelle niedriger. Es ist ein ganz gutes Medium für diese Themen geworden. Früher war es ja mal eine Jahrmarktsattraktion.«

Dass die Ökonomie und ein Filmfestival ein gutes Joint Venture eingehen können, konnte Wildfang beim alljährlichen globalisierungs­kritischen Filmfest im Berliner Kino Acud feststellen. Für die »Aktion Mensch« war er auch beim Vorläufer von »ueber arbeiten« aktiv. »Ausnahmezustand« war der Titel eines ähnlich konzipierten, aber bei weitem nicht so groß angeleg­ten mobilen Filmfestes zum Thema psychische Erkrankungen und gesellschaftliche Akzeptanz.

Die ausgewählten Produktionen zum Thema Arbeit sollen die Auswirkungen des globalisierten Wirtschaftens abbilden. Die elf Filme fragen nach der Zukunft der Erwerbsarbeit, nach globalen Verbindun­gen zwischen den Lebens- und Arbeits­welten und, wie sollte es anders sein, nach den internationalen Verflechtungen von Großkonzernen.

»Des Wahnsinns letzter Schrei« (D 2005), ein einstündiger Dokumentarfilm von Bärbel Schönafinger und Tanja von Dahlern, porträtiert die Hartz-IV-Klienten Angelika, Claudia, Sylvia und David. In Deutschland ernähren sich Mütter und Kinder von Nahrungsmitteln an der Haltbarkeitsgrenze, kleiden sich auf Flohmärkten ein und wühlen in Mülltonnen. Zugleich steigen die Gewinne deutscher Unternehmen, das Kapital der Vermö­genden hat sich in den letzten 14 Jahren verdoppelt. Während die interview­ten Politiker Franz Müntefering und Klaus Brandner (beide SPD) ratlos vom »Aberglauben des ewigen Wachstums« reden, konstatiert der Jurist und Buchautor Horst Afheldt: »Eine ›Reichensteuer‹ zu fordern, ist fast schlimmer, als wenn man Kinderpornografie empfiehlt.«

Der Film »Wir leben im 21. Jahrhundert« von Claudia Indenbrock beschreibt die Suche dreier Jugendlicher ohne Schulabschluss nach einem Praktikumsplatz – viel Spaß. »Misserfolge einstecken gehört dazu«, wird ihnen vom Lehrer immer wieder klar gemacht. Jas­min kommt schließlich im Textileinzelhandel unter, Pascal im Straßenbau und Patrick in einer Fabrik. Für zwei Tage.

Auch Klassiker der Globalisierungskritik befinden sich im Angebot. »Schwarzes Gold« aus Großbritannien (2006) handelt von der Kaffeeproduktion, »China Blue« (USA 2004) gibt Einblick in die ostasiatische Textilherstellung und die Sweatshops. Nie und niemals darf bei Globalisierungs­kritikern der Film über das Staudammprojekt fehlen. In diesem Fall ist es das drittgrößte der Welt, Ralco in Chile. »Abschalten – Apaga y Váma­nos« heißt der Film von Manuel Mayol aus dem Jahr 2005. Was spanische Conquistadoren und Augusto Pinochet nicht geschafft haben, kriegt Staatspräsident Eduardo Frei, der persönlich an der ausführenden Firma Endesa beteiligt war, hin: die Wohnorte der indianischen Einwohnerschaft zu er­säufen.

»Enron – The Smartest Guys in the Room« (USA 2005) zeichnet nach, wie man, think global, einen Milliardenkonzern an die Wand fährt – beim US-Energiekonzern wurden die Pensionsfonds veruntreut. Zurück in Deutschland, act local, beschreibt Silvia von Gerlach in »Irgendwo dazwischen« (D 2005), wie drei 17jährige zwischen Garten­zwergen, Männergesangsverein und schwäbischer Kehrwoche ihre unbeschwerte Jugend killen – Ausgang ungewiss.

Worin das Festival seine Stärken hat: verschiedene Lebenswelten zusammenzubringen. Etwa indem der Nachweis gelingt, dass Jugend und Alter an ein und derselben Misere leiden können: Langewei­le. Hier kommt »Herb, mein Herbst?« (2004) von Marie-Jeanne Urech aus der Schweiz gerade recht. Drei Frauen, die zusammen 240 Jahre zählen, präsentieren ihre Lebenstricks, um der tückischen Langeweile im Alter zu entgehen: Rose arbeitet in einem Schönheitssalon mit abgebrochenen Fingernägeln, Nadine mit russischen Straßenmusikern, Jacqueline versucht sich als Autorin. Originaltitel: »Monotone, mon automne?« Marie-Jeanne Urech meint: »In Eu­ropa ist der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung sehr hoch. Meistens werden sie als Last für die Gesellschaft empfunden, sie werden als erbärmlich dargestellt, als nutzlose soziale Kategorie, deren einzige Zukunft der Tod ist.« Bei ihr nicht.

Das weite Spektrum von »ueber arbeiten« zeigt sich in der Unterstützerliste: »Herb, mein Herbst?« hat Freunde bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenbüros gefunden, »Irgendwo dazwischen« beim Zusammenschluss der deutschen Jugendverbände, dem Deutschen Bundesjugendring – Organisationen also, deren Vertreter sich nicht unbedingt jeden Tag auf dem Flur über den Weg laufen. »Das Ganze wirkt nur im Zusammenspiel«, sagt Wildfang. »Für uns stand die Frage im Mittelpunkt: Wie wollen wir leben?«, sagt Mechthild Buchholz. »Da wollten wir von möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppen Antworten.«

Die kriegt sie, und das aus sehr vielen Städten – bis zum April 2007. Wer immer will, kann sich »ueber arbeiten« buchen. Danach gibt’s das nächste Festival mit dem Thema: Gesellschaft und Utopie.