Jerusalem ist anders

Am kommenden Freitag soll in Jerusalem der schwul-lesbische World Pride stattfinden. Religiöse Fanatiker machen dagegen mobil. von simone dinah hartmann, tel aviv

Dieser Tage tobt ein Kampf um Jerusalem. Doch nicht die arabischen Armeen sind es, die dieses Mal zum Marsch auf die israelische Hauptstadt geblasen haben; es sind die religiösen und rechts außen stehenden Kräfte, die sich für kommenden Freitag rüsten. Dann soll eine Parade für die Rechte von Schwulen und Lesben im offiziel­len Herzen Israels stattfinden. Nachdem die schon für August im Rahmen des World Pride geplante Demonstration wegen des Libanon-Krieges nicht hatte stattfinden können, wurde sie nun offiziell für den 10. November angesetzt. Vorausgegangen waren diesem Entscheid mehrere Verfahren bis hin zum obersten Gerichtshof.

Die israelische Polizei hat für diesen Tag einen emergency alert ausgegeben, wie er sonst nur bei unmittelbaren Terrorwarnungen üblich ist. Es wird befürchtet, dass es wie bereits im vergangenen Jahr gewalttätige Proteste gegen die Parade geben könnte. Damals wurden drei Kundgebungsteilnehmer von einem jungen Ultra-Orthodoxen durch Messerstiche verletzt.

Am Mittwoch der vergangenen Woche demonstrierten in Jerusalem mehrere tausend religiöse Fanatiker gegen die Parade. In der Nacht zum Donnerstag lieferten sich Protestierende im ultra-orthodoxen Jerusalemer Stadtteil Mea Shearim eine Schlacht mit der Polizei, die Wasserwerfer und Spezialkräfte einsetzen musste, um die Situation zu beruhigen.

Doch die Ultra-Orthodoxen sind nur ein kleiner Teil der Ablehnungsfront, die von den Nationalreligiösen bis zu der antizionistischen Sekte Naturei Karta reicht. Auch christliche und islamische Geistliche reihten sich ein. Auf einem Poster, das in Jerusalem die Runde macht und dessen Text vom sephardischen Oberrabbiner Ovadia Yosef unterzeichnet wurde, wird dazu aufgerufen, gegen den »bösartigen Mob« zu protestieren, der die Heiligkeit Jerusalems schänden wolle. Auf Protestkundgebungen sollen Bilder von Tieren hochgehalten werden, die das angeblich bestialische Verhalten von Homosexuellen zeigen. Die mili­tanten Gegner der Parade kündigten an, Jerusalem werde »brennen«, wenn die Parade stattfinden sollte.

Aber auch die Mehrheit der ansonsten als liberal geltenden Bewohner Tel Avivs hält einer Umfrage zufolge die »Pride and Tolerance Parade« in Jerusalem für einen Akt der Provokation. Die meisten können damit leben, dass Jerusalem in vielerlei Hinsicht anders ist als das heimelig-säkulare Tel Aviv. Man ist in Tel Aviv offenbar bereit, die Haupt­stadt den Religiösen zu überlassen, und verweist auf das Recht der Mehrheit – nur knapp ein Viertel der jüdischen Einwohner Jerusalems begreift sich als säkular.

Dass es bei der geplanten Parade um mehr geht als das Recht von Schwulen und Lesben, auf die Straße zu gehen, wird nur von wenigen gesehen. Seit der Staatsgründung gibt es Auseinandersetzungen zwischen Dosim, den Religiösen, und Chilunim, den Säkularen. Während erstgenannte versuchen, ihre Sicht der Welt den »Ungläubigen« aufzuzwingen, gibt es dagegen aus dem säkularen Lager inzwischen nur noch geringen Widerstand.

Mehr als 10 000 Polizisten sind für kommenden Freitag bereitgestellt worden. Allerdings behält sich die Polizei das Recht vor, die Parade auch kurzfristig wegen Sicherheitsrisiken abzusagen. Zudem hat der Vorsitzende von Zake, jener orthodoxen Organisation, die nach Terroranschlägen die Leichenteile einsammelt, eine Petition beim obersten Gerichtshof eingereicht, um die Parade untersagen zu lassen, da sie die öffentliche Sicherheit gefährde.

Die israelische Demokratie steht nun auf dem Prüfstand. Wenn es nicht möglich sein sollte, in der israelischen Hauptstadt auf die Straße zu gehen, um seine Interessen kundzutun, wäre dies eine Niederlage für die Verteidiger der Prin­zi­pien, auf denen Israel erbaut wurde.