Der Mainstream-Nazi

Die Volksfront gegen Rechts repräsentiert den Zeitgeist der Berliner Republik. Sie ist selbst Teil des Problems. von mario möller

Der Erfolg der NPD bei den jüngsten Land­tagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern ließ jene Antifaschisten zu neuer Höchstform auflaufen, die sich auf das Erstarken der rechtsextremistischen Szene konzentrieren und ein düsteres Bild der politischen Entwicklung in Deutschland zeichnen. Das Wahlergebnis sorgte für allerhand Aufregung und warf die allseits bekannte linke Frage nach der richtigen Praxis gegenüber Rechtsextremisten auf. Mit dem Primat der Praxis in einer Strategiedebatte wird jedoch meist das Problem verfehlt. So ist es auch diesmal wieder.

Der Erfolg der NPD im Osten hat weniger etwas mit der NPD selbst als mit einem ost­deut­schen Selbstverständnis zu tun, das von niemand Geringerem als von der PDS/Linkspartei bedient wird, der man mit einer unsäglichen Bündnispraxis immer wieder die antifaschistische Absolution erteilt. Weiterhin: Der immer noch gültige Aufruf zum »Aufstand der Anständigen« und alle anderen Kampagnen gegen Rechts gehören zum zu ver­handelnden Problem.

Die Wahlerfolge der NPD und die Brutalität von ostdeutschen Jugendgangs gegen alles »Un­deutsche« basieren auf einer autoritären Grund­stimmung, die in der Sache als nazistisch zu kennzeichnen ist. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wer als Nazi, also als natio­naler Sozialist, zu kennzeichnen wäre. Nazi ist keinesfalls nur jemand, der irgendwie »organisiert« ist, mittels Kleiderordnung als »Rechtsextremist« katalogisiert werden kann und NPD wählt. Nazi ist, wer einen deutsch-antikapitalistischen Jargon der Vergemeinschaftung artikuliert und diesen mehr oder minder heftig in die Tat umsetzt. Im Osten ist dieser Jargon nicht etwa eine Minderheitenmeinung, sondern prägt das gesamte gesellschaftliche Klima. Daher ist es fatal, die Situation als »Rechtsextremismus« oder »rechten Konsens« zu verharmlosen.

Erinnert sei an die Zeiten der Wende in der DDR, als von der Mehrheit die Heimkehr ins Reich gefordert wurde. Als der erste große Ein­heitstaumel vorüber war und man erfahren muss­te, dass der Einzelne wenig mehr als ein austauschbares Subjekt der Kapitalverwertung ist – im Grunde potenziell überflüssig –, war es mit der Euphorie schnell vorbei. Dem Slogan »Die aus dem Westen machen alles platt« folgte im Handumdrehen der offensiv-regres­sive Rekurs auf alte DDR-Tugenden und die »warme Gemeinschaft« der früheren Tage, in der ein produktiver Arbeiter noch verehrt wurde.

Im Verlauf des Restrukturierungsprozesses der ostdeutschen Wirtschaft etablierte sich nach dem Krieg vor allem in kleineren Unternehmen jenes kollektive, im real existierenden Sozialismus gehegte Arrangement neu, das die Soziolo­gin Gertraude Krell als Konservierung der NS-Betriebsgemeinschaften charakterisiert hat. Nur haben sich die zunächst harmlos erscheinenden Brigaden und Kollektive, die in der DDR Lebensbereich wie Sozialisierungsinstanz waren, in Wehr- und Opfergemeinschaften verwandelt. Das betraf dann nicht nur die industriellen Beziehungen, sondern reflexartig den gesamten sozialen Handlungsrahmen.

Die Konfrontation der vormals nahezu au­tar­ken Zonis mit gesellschaftlichen Prozessen, die Marx als »radikale Revolutionierung der sozialen Verhältnisse« ausdrücklich begrüßte – die Konfrontation mit dem Markt und dem Aufbrechen der auf persönlichen und informellen Abhängigkeiten beruhenden Gemeinwesen –, bewirkte bei den Ostdeutschen das genaue Gegenteil. Unter Rückgriff auf Traditionen der DDR hat sich ein gesellschaftliches Klima etabliert, das sich anschickt, direkt an die für den Nationalsozialismus konstitutiven Prinzipien anzuknüpfen: offensiver Bezug auf die Scholle, Tradition, Gemeinschaft und Arbeitsethos, gepaart mit einem Krisenbewusstsein, nach dem der Staat nicht nur Garant der Ordnung sein soll, sondern Anklageinstanz für eine krisenfreie Akkumulation als volksstaatliches Zusam­menwirken von Kapital und Arbeit. Der Osten entwickelte sich im Zuge dieser Vorstellung zu einer Art Trutzburg, in der kollektiv die eigene Opferrolle beschworen und reproduziert wird, man sich beständig verfolgt oder wahlweise betrogen wähnt, wo jedes individuelle Unglück als Angriff einer äußeren Macht auf das eige­ne Kollektiv halluziniert wird.

Bei den Verfechtern dieses parano­iden Lokalpatriotismus handelt es sich keinesfalls nur um solche Fälle, die man als gestrandete Wendeverlierer be­zeichnen könnte. Es sei zur Verdeutli­chung exemplarisch auf eine Interview­passage aus einer Betriebsfallstudie aus dem Jahr 2000 verwiesen. Auf die Frage nach den Sozialbeziehungen in dem Unternehmen antwortet der interview­te Geschäftsführer: »Ich muss sagen, es ist eine starke Gemeinschaft. Und ich halte das also auch von meiner Seite aus so, dass ich diese Gemeinschaft auch pflege und hege, denn jedem, den ich einstelle, sage ich klipp und klar, nicht aus dieser Gesellschaft auszubrechen, sich nicht als Eigenbrötler zu machen, sondern in dieser Gemeinschaft mitzu­arbeiten.«

Der Wessi müsse »in das zusammen­gefügte Kollektiv« passen. »Wissen Sie, ich kenne das von meiner Frau. Meine Frau ist auf dem Gymnasium Lehrer, alles Ossis, da kam plötzlich ein Wessi-Lehrer – katastrophal. Der hat ein Kol­lektiv, das zusammengewachsen war, gesprengt. Der bringt das fertig. Und das möchte ich hier nicht haben. (…) Die Leute sind auch nicht in der Gewerkschaft.«

Dem Störenfried in Form des »Wessi-Lehrers« wird die besondere Fähigkeit und Übermacht angedichtet, den ostdeutschen Laden zu sprengen. Alles, was der individuellen Abweichung ver­dächtig ist und – wie fälschlicherweise angenommen in Form von Gewerk­schaften – nach zu viel Eigeninteresse aussieht, stellt eine Gefahr dar.

Westdeutschland gilt dieser Ideologie als Verkörperung eines auf Formalismus, Individualismus und Egoismus basierenden zügellosen Kapitalismus. Die Interpretation der kapitalistischen Wertvergesellschaftung im Osten hat in ihrer Struktur bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem Modus, den Moishe Postone in seinem Aufsatz »Nationalsozialismus und Antisemitismus« beschreibt: mit der Personalisierung und damit der Identifizierung bestimmter Personengruppen mit den abstrakten Seiten des Kapitalismus (also den abstrakten Geset­zen und der Vernunft; dem Geld- und Finanz­kapital).

Dieser »Antikapitalismus« greift ausdrück­lich nicht die konkret und »fassbar« erscheinenden Aspekte an (etwa die industrielle Produktion) und schon gar nicht den ostdeut­schen Unternehmer, der natürlich nicht vom Wertgesetz, sondern vom guten Willen getrieben sei. Was dem Volksgenossen im »Drit­ten Reich« der Jude war, nämlich Repräsentant des Finanzkapitals und darüber hinaus die Personifikation von dessen zerstörerischer und unbegreiflicher Macht, das sind einer antisemitischen Denkstruktur folgend dem Ostdeutschen auch die »Okkupanten« aus dem Westen. Die homogene und harmo­nische Wir-Gemeinschaft befindet sich dem­nach im existenziellen Kampf mit einem äußeren bedrohlichen Feind, dessen perma­nentes Opfer man ist. Geht es um den West­deutschen, würde diese Denkform jedoch nie bis zum Äußersten schreiten, galt doch bereits im NS der »verjudete Kapitalist« qua Geburt als lernfähig. Für Leute ohne deutschen Pass und irgendwie Verdächtige sind die Konsequenzen jedoch lebensgefährlich bis tödlich.

Die NPD ist für die Jüngeren Träger und Ausdruck einer Welterklärung, welche den Älteren bei der Linkspartei geboten wird. Eine Welterklärung, in der asoziale Zustände mit einem urdeutschen Krisenbewusstsein sich verschmelzen und die sich keinesfalls auf so genannte organisierte Rechtsextreme beschränkt. Die Paradoxie besteht dann lediglich darin, dass man zugleich der Nationalsozialist sein kann, den man im jugendlichen und als rechtsextremistisch diffamierten Kameradschaftsdeppen bekämpft und dem man mittels Lichterketten bedeutet, dass er dem (Standort-)Kollektiv schadet.

Die Kampagnen gegen Rechts beruhen auf einem Verfolgungs- und Strafbedürfnis derjenigen, die den Zeitgeist der Berliner Republik verkörpern. Im postnazis­tischen Deutschland hat die Suche nach Objekten für Feindprojektionen die Form einer in Latenz befindlichen Dauer­mobilisierung angenommen, die im Falle des Notstandes sehr wohl manifeste Formen annimmt. Wer als Störer der Gemeinschaft angesehen wird, den trifft der Volkszorn. Im Grunde ist jeder verdächtig, sei es der »Kinder­schänder«, der »Sozialschmarot­zer«, der zügellose Manager oder eben der anachronistische Kameradschaftsnazi. Der »Aufstand der Anständigen« manifestiert die Wandlung des autoritären Verordnungsstaats früherer Tage zum schlanken Staat.

Der Staat, der sich scheinbar selbst zu­rücknimmt, betreibt dabei seine Erwei­terung: Das staatliche Gewaltmonopol erscheint als allgemeine Mobilmachung in jedem Einzelnen zur Sicherung des Gemeinwohls. Was von der linken Antifa als Chance zum Mitmachen begriffen wurde und wird, ist nichts anderes als eine in der Sache faschistische Mobil­machung auf der Höhe der Zeit. Wie das Original bedient sie sich einer personifi­zierten Feinderklärung, bestimmt Volks­feinde und stiftet Gemeinschaft.

Wenn Omid Nouripour (Jungle World 45/2006) ein von einer »zivilen Bürgerwehr« abgesichertes »Gemeinschaftsgefühl für die Demokratie« fordert, so ist ihm in aller Kürze entgegenzuhalten, dass dies im postnazistischen Deutschland einer Aufforderung zu Selbstjustiz und zum kollektiven Amoklauf gleicht. Der Adressat ist in Deutschland keines­falls das liberale Subjekt früherer Tage, sondern das faschisierte Subjekt, das eigenverantwortlich eigene Interessen staatspolitischen Notwendigkeiten opfert.

Dass sich die Linke an die Spitze einer Volksfront setzt, die mit den Nazis um das bessere Kollektivmodell konkurriert, ist nicht nur eine geistige Bankrotterklärung und ein Zeugnis dafür, dass man vom NS nichts verstanden hat, sondern das Bekenntnis zu Deutschland.