Frau geht vor

Ségolène Royal hat das Mitgliedervotum der französischen Sozialisten überlegen gewonnen. Sie steht für eine diffus autoritäre und wirtschaftsliberale Politik. von bernhard schmid, paris

Der Sekretär einer sozialistischen Partei­sek­tion in Toulouse brachte auf den Punkt, was den Wettbewerb in den Reihen der französischen Sozialdemokratie vor der Urabstimmung der Mitglieder auszeichnete. Bei Laurent Fabius interessiere ihn, »ob er das erfüllt«, was er im innerparteilichen Wahlkampf verspricht, zitierte die französische Satirezeitung Le Canard enchaîné den nicht namentlich genannten Mann. »Bei Ségolène Royal wäre es mir in einigen Punkten dagegen lieber, dass sie gar nicht hält, was sie verspricht.« Am Donnerstag der vergangenen Woche waren die etwa 220 000 Angehörigen der Sozialistischen Partei (PS) dazu aufgerufen, ihre Präsidentschaftskandidatin oder ihren -kandidaten für die Wahl am 22. April und 6. Mai zu bestimmen.

Die Kandidatin ist es geworden, mit über 60 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das hatte sich bereits vor dem Mitgliedervotum abgezeichnet, aber das Ergebnis fiel deutlicher aus als erwartet. Auf den sozialliberalen früheren Wirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn entfielen knapp 21 Prozent der Stimmen, auf den ehemaligen Premier- und Wirtschaftsminister Laurent Fabius 18 Prozent.

Handelt es sich bei der Abstimmung um eine Richtungsentscheidung? Alle drei Sozialdemokraten entstammen dem rechten Parteiflügel. Sie alle haben kurzzeitig für die Politik von Tony Blair geschwärmt, für seine Wirtschaftspolitik, seinen Hang zu Law and Order und seine »Modernisierung« der Sozialdemokratie. Allein Laurent Fabius wollte davon im Nachhinein nichts mehr wissen. Er pflegte ganz und gar das Image des Traditionssozialdemokraten, für den Umverteilung noch kein Schimpfwort ist. Das steht freilich in radikalem Widerspruch zu der Politik, für die er zuletzt als Wirtschaftsminister bis zum Jahr 2002 verantwortlich war.

Fabius’ Konversion datiert auf das Jahr 2004, als er die Auseinandersetzung um das bevorstehende Referendum über den EU-Verfassungsvertrag dazu nutzte, um sich ein völlig neues politisches Image zuzulegen. Aus dem Großbürger sollte nun ein Volkstribun werden, mit Blick darauf, dass er irgendwann noch Präsident werden könnte. Sein Vorbild François Mitterrand hatte in den siebziger Jahren die Devise ausgegeben, die sozialdemokratische Partei müsse von links übernommen werden, so lange man in der Opposition ist. Nur haben sich die Zeiten seit Mitterrands erstem Wahlsieg im Mai 1981 grundlegend geändert. Fabius’ Parolen kamen offensichtlich nicht mal bei den eigenen Mitgliedern an.

Insofern könnte man die Abstimmung als Absage an die traditionelle Sozialdemokratie deuten, allerdings sahen die angebotenen programmatischen Alternativen zum Teil sehr nach einem Betrug aus oder aber nach Positionen, die zum wiederholten Male aufgewärmt wurden. Dennoch gab es programmatisch erhebliche Unterschiede zwischen den drei Kandidaten. Dominique Strauss-Kahn propagierte dezidiert das, was er eine »moderne Sozialdemokratie« nennt. Soziale Fortschritte müssten vor allem durch Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften erzielt werden, die Politik könne dazu allenfalls Impulse geben. Eher schockierend aus sozialdemokratischer oder gewerkschaftlicher Sicht ist zudem, dass Strauss-Kahn sich im September nachdrücklich für eine stärkere Individualisierung und Flexibilisierung der Arbeitszeit aussprach. Das hätte in vielen Fällen vor allem eine Ausdehnung der Arbeitszeiten bedeutet.

Royal, Lebensgefährtin des Parteivorsitzenden François Hollande und Regionalpräsidentin in Poitiers, blieb im Hinblick auf die meisten ihrer Vorschläge unkonkret. Sie legte einen Schwerpunkt auf die Hebung des Bildungsstandards, da darin »bisher noch ungenutzte Produktivitätsreserven« für die Wirtschaft lägen. Im Hinblick auf die Innenpolitik bedient sie stark das »Sicherheitsbedürfnis«, das bei den Wählern vermutet wird, und schlägt bisweilen autoritäre Töne an (Jungle World 41/2006).

Sie vertrat zudem eine Politik der »grundlegenden Erneuerung« der Sozialistischen Partei. Allerdings galt sie spätestens ab Frühsommer als die Kandidatin des Parteiapparats und stand für den sich herausbildenden innerparteilichen Konsens. 59 von 100 Bezirksvorsitzenden unterstützten ihre Kandidatur, die übrigen verteilten sich zu fast gleichen Teilen auf ihre beiden Gegenkandidaten.

Dass sich die die 53jährige Mutter von vier erwachsenen Kindern dennoch zur Widerstandskämpferin gegen mächtige konservative Partei­strukturen stilisieren konnte, lag vor allem an den teilweise machohaften, sexistischen Ausfällen ihrer Herausforderer. Diese gaben sich zumindest in der Anfangsphase tatsächlich den Anschein, als könnten sie sich gar nicht vorstellen, dass eine Frau eine solche Position bekleidet.

In französischen Medien wurde nach ihrem Sieg hervorgehoben, dass sie als Frau für die Konservativen eine besondere Herausforderung darstelle. »Man darf sich nicht täuschen: Segolene Royal wird für die Rechte eine fürchterliche Widersacherin sein. Ihr größter Trumpf, daran muss man erinnern, ist, dass sie eine Frau ist. Darin liegt das Versprechen einer Erneuerung, dessen Einhaltung sich die Wähler sicher sein können. Und das ihre männlichen Gegner zwingt, den rechten Ton zu finden, um sie zu schlagen«, schreibt etwa die konservative Tageszeitung Le Figaro. Und weiter: »Ihr zweiter Trumpf ist ihr bisheriges Vermögen, sich von gewissen sozialistischen Vulgärpositionen zu befreien.«

Neben der Befürwortung des diffus autoritären und zugleich wirtschaftsliberalen Profils, das sich mit Royal verbindet, war die Abstimmung auch ein Triumph der Mediendemokratie. Die Wähler wurden dabei eher als Politikkonsumenten vor einem Multimedia-Angebot denn als Menschen mit Interessen oder Werten gesehen.

Charakteristisch ist dabei die so genannte Schnuppermitgliedschaft, die die Sozialdemokraten drei Monate lang anboten. Um bei der Abstimmung über die Präsidentschaftskandidatur dabei zu sein, genügte es, zwei Minuten lang ein Beitrittsformular im Internet auszufüllen und pauschal einen stark ermäßigten Jahresbeitrag von 20 Euro zu bezahlen. Die Mitgliedszahlen der Partei wuchsen von zuvor 130 000 auf nunmehr – virtuell – 220 000 an. Niemand wusste vorher, wie die letztlich über 70 000 stimmberechtigten Neumitglieder abstimmen würden, da fast keine gemeinsame politische Erfahrung oder Diskussion die Alt- mit den Neumitgliedern verband. Aber anscheinend votierten sie wie die Altmitglieder.