Tausche Touristen gegen Migranten

Die EU versucht, mit kleinen Zugeständnissen die Länder des westlichen Balkan an sich zu binden. Vor allem Serbien lässt sich davon wenig beeindrucken. von boris kanzleiter, belgrad

Ab morgens um vier Uhr stehen die Menschen in langen Schlangen vor der Deutschen Botschaft in Belgrad. Irgendwann im Laufe des Tages werden an den Schaltern im Gebäude die Anträge für Touristenvisa angenommen. Wer Glück hat, bekommt den Pass ein paar Tage später mit dem Stempel zurück. Oftmals werden die Anträge aber auch zurückgewiesen. Von Serbien in die EU reisen zu dürfen, ist noch immer ein Privileg.

Das soll sich nun ändern. Vergangene Woche leiteten die EU-Außenminister Verhandlungen über die Erleichterung des Visa-Regimes mit den Ländern des Westbalkan ein. Zunächst sollen Studenten, Wissenschaftler und Geschäftsleute leichter an die begehrten Visa kommen. Dafür werden die Länder allerdings auf so genannte Readmissionsabkommen verpflichtet. Diese zwingen sie zur schnellen Aufnahme der mehreren Zehntausend Migranten, die ohne gültige Aufenthaltstitel in der EU leben.

Diese Vereinbarung ist symptomatisch für die Beziehungen zwischen der EU und den Ländern des Westbalkans. Am 1. Januar 2007 werden Bulgarien und Rumänien Mitglieder der EU, mittelfristig ist keine weitere Erweiterung geplant. Dennoch möchte die EU die Länder des ehemaligen Jugoslawien enger an sich binden.

Der Grund dafür ist einfach: Ohne eine europäische Perspektive droht der EU der Verlust von Kontrollmöglichkeiten in der Krisenregion. Der EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn meinte Anfang November, der Annäherungsprozess der potenziellen Beitrittskandidaten auf dem Westbalkan gleiche zwar einem langsamen »Orient-Express«. Wichtig sei es aber nur, dass er »auf den Schienen« bleibe.

Ein Testfall für das Integrationsvermögen der EU wird in den nächsten Monaten vor allem der Konflikt mit Serbien werden. Nachdem Serbien sich eine neue Verfassung gegeben hat, in der das Kosovo als »unveräußerlicher Bestandteil« des Staates festgeschrieben wurde, finden am 21. Januar Neuwahlen statt. Auf Druck des EU-Koordinators für Sicherheitspolitik, Javier Solana, vertagte der UN-Vermittler im Kosovo-Konflikt, Martti Ahtisaari, die Bekanntgabe seiner Empfehlung für den künftigen Status der Krisenprovinz auf März. Zu Recht wird befürchtet, dass der erwartete Vorschlag für die Abspaltung des Kosovo bei den Wahlen die nationalistische Serbische Radikale Partei (SRS) an die Macht bringen könnte. Die europäische Perspektive Serbiens wäre damit langfristig blockiert.

Aber auch ohne einen Wahlsieg der SRS ist das Verhältnis zwischen Serbien und der EU gespannt. Ein Beschluss über die Assoziierung des Landes als erster Schritt auf dem Weg zum Beitrittskandidaten wurde im Frühjahr vom europäischen Parlament wieder zurückgezogen. Dafür gibt es einen Grund: Trotz Hinweisen, dass sich der Kriegskommandeur der bosnischen Serben, Ratko Mladic, in Serbien aufhält, wurde der vom Den Haager Kriegsverbrechertribunal gesuchte General bisher nicht ausgeliefert. Chefanklägerin Carla del Ponte wirft der serbischen Regierung daher »mangelnde Kooperation« vor.

Die Regierung des nationalkonservativen Premierministers Vojislav Kostunica befindet sich dabei in einer schwierigen Lage. Zwar unterstützen nach Umfragen 60 Prozent der Serben grundsätzlich die Bindung an die EU. Andererseits werden aber die Ultimaten für die Auslieferung Mladics nicht akzeptiert. Für den Fall einer von der EU unterstützten Abspaltung des Kosovo hat Kostunica nun den Abbruch der diplomatischen Beziehungen angedroht. Das darf zwar als Wahlkampfrhetorik betrachtet werden, zeigt aber die Stimmung in Belgrad. Um Serbien »auf den Schienen« zu halten, muss die EU wohl mehr anbieten als nur ein paar Touristenvisa.