Allein gegen den Lynchmob

Beim Versuch, einen jungen Juden vor aggressiven Fußballfans zu schützen, erschoss ein schwarzer Polizist einen der Angreifer. von bernhard schmid, paris

Die französische Sportzeitung L’Equipe titelte am Wochenende: »Wenn der Fußball tötet«.Die Boulevardzeitung Le Parisien schrieb: »Der Cocktail aus Rassismus, Antisemitismus und Dummheit hat am Donnerstag abend einen Toten (…) verursacht.«

Am Donnerstag voriger Woche um 20.45 Uhr wur­de das Spiel zwischen dem Fußballverein Paris-Saint Germain (PSG) und den Gästen von Hapoël Tel Aviv angepfiffen. Bereits vorher war klar, dass es zu Span­nungen kommen könnte. Einerseits ist allgemein bekannt, dass rechtsextreme Gruppen sich etwa seit 1987 im Parc de Princes, dem Stadion des Vereins PSG, in den Fanblöcken festgesetzt haben und dort so offen auftreten wie bei keinem anderen französischen Profiverein. Andererseits zeichnete sich ab, dass diesem Spiel von mehreren Seiten identitäts­politische Bedeutung zugeschrieben wurde.

Im Stadion waren drei Gruppen zugegen. Auf der Südseite, der Tribune Boulogne, mit dem Rücken zum gleichnamigen Vorort, hatte ein Publikum Aufstellung bezogen, das zumindest teilweise von Rechtsextremen beeinflusst und sich als »Bleu-Blanc-Rouge« bezeichnet. Dieser Ausdruck, der ­eigentlich nur die Farbkombination der französischen Nationalfahne – blau, weiß, rot – bezeichnet, ist seit den achtziger Jahren von den Anhängern des rechtsextremen Politikers Jean-Marie Le Pen zum Synonym für »nicht farbige Franzosen« gemacht worden.

Auf der anderen Seite, der Tribune Auteil, fand sich ein Publikum ein, das eher als »Black-Blanc-Beur«, also als eine Mischung aus »schwarz, weiß, arabischstämmig«, bezeichnet werden kann.

Die Fans des israelischen Vereins Hapoël, von denen rund 1 500 aus Tel Aviv angereist waren, sollten dagegen ursprünglich von einer eigenen Tribüne in der Mitte das Match verfolgen. Da das Stadion aber nicht ausverkauft war, konnten die Hapoël-Fans zusätzliche Kontingente von Eintrittskarten an den Kassen erwerben, so dass Fans, darunter auch eine Menge französischer Juden, mit israelischen Flaggen über das halbe Stadion verstreut saßen.

Im Laufe des Spiels wurden auf der Tribune Auteil libanesische und palästinensische Flaggen gehisst, was aus dem Block der Hapoël-Fans damit beantwortet wurde, dass sie in Richtung der Nordtribüne Gegenstände warfen. Die Stadionordner griffen ein und konnten zunächst für Ruhe sorgen. Um auf sich aufmerksam zu machen und die beiden anderen Gruppen zu übertönen, begannen die Zuschauer auf der Südtribüne – Tendenz »blau-weiß-rot« – daraufhin, die Marseillaise zu singen. Die Ordnerdienste mussten mehrfach gegen Leute einschreiten, die den Hitlergruß zeigten.

Nach dem Spiel, das Paris-Saint Germain 4 : 2 verlor, rotteten sich mehrere hundert äußerst aggressive Personen zusammen. Mehrere Augenzeugen berichteten, von ihnen Rufe wie »Wo sind die Juden?« gehört zu haben. Vier junge Fans von Hapoël, die aus Versehen in die Menschenmenge geraten waren, wurden mit antisemitischen Sprechchören beschimpft und körperlich bedroht. Daraufhin beschlossen die vier, sich zu trennen. Dem 23jährigen Yanniv Hazout, einem französischen Juden aus der Pariser Vorstadt Sarcelles, gelang die Flucht jedoch nicht, ihm war eine Meute von rund 150 aggressiven Fans auf den Fersen. Hazout hatte Glück, ein Polizist in Zivil kam ihm zu Hilfe.

Der 32jährige Antoine Granomort ist ein schwarzer Franzose, der von den Antillen stammt. Er wies den bedrohten jungen Mann an, hinter ihm zu bleiben. Wieso der Zivilbeamte völlig allein der Meute gegenüberstand, war eine im Nachhinein häufig gestellte Frage. Rasch stellte sich heraus, dass kein Fehler der Einsatzleitung vorlag, sondern der junge Beamte gar nicht zur Aufsicht über die Fußballfans eingesetzt war, die an dieser Stelle zur nahe gelegenen Endstation der Métro strömten. Granomort wartete, als Fahrer des Einsatzwagens, lediglich auf seine Kollegen, die zu einer Kontrolle in die U-Bahn gegangen waren.

Zugleich scheint die Polizeiführung aber die von vielen Experten bereits vorher erwarteten Probleme im Zusammenhang mit dem Spiel auf die leichte Schulter genommen zu haben. Lediglich 700 Beamte waren zur Aufsicht über die Zuschauer im Einsatz, während bei als »heiß« geltenden Spielen zwischen PSG und Olympique Mar­seille bis 2 200 Mann Dienst tun.

Angesichts der massiven Bedrohung des jungen Yanniv wollte der Polizist in Zivil, obwohl er nicht für das Spiel eingesetzt war, nicht untätig bleiben. Dass es ein Schwarzer war, der den Hapoël-Fan schützte, steigerte die Wut der Menge nur noch mehr: »Dreckiger Neger, dreckiger Jude!«

Was danach passierte, ist noch nicht genau geklärt, insbesondere steht nicht fest, ob die Angreifer wuss­ten, dass Granomort Polizist ist. Dieser setzte zunächst Tränengasspray ein, um die Angreifer abzuwehren, was angesichts der Übermacht des Mobs nicht gelang. Granomort stürzte zu Boden, verlor dabei seine Brille und gab, um sich zu befreien, einen Schuss aus seiner Dienstwaffe ab. Dieser traf und tötete den 25jährigen Julien Quemenner. Dieser zählte zu den so genannten unabhängigen Fans im Fanclub Kop Boulogne, unter denen sich die Rechtsextremen besonders konzentrieren, und war unter anderem wegen Waffenbesitzes vorbestraft. Die Kugel traf zunächst aber auch einen anderen Angreifer, einen 25jährigen Franzosen marokkanischer Herkunft, Mounir D., der in die Lunge getroffen wurde. Auch er gehört dem Fanclub Kop Boulogne an, allerdings nicht den so genannten Unabhängigen, sondern dem weniger politisch vorbelasteten Zusammenschluss »Gav­roches«.

Antoine Granomort flüchtete sich nach dem Schuss in die Toiletten eines nahe gelegenen Schnell­restaurants, während sein Schützling entkommen konnte. Der Lynchmob schlug daraufhin die Türen und Fenster des Fastfood-Restaurants ein, um des Polizisten habhaft zu werden, zerstreute sich jedoch rasch, als die Verstärkung der Polizei eintraf. In einem benachbarten Tabakladen hatten sich zugleich junge Fans von Hapoël Tel Aviv verstecken können.

Am Freitag wurde ein Ermittlungsverfahren gegen Antoine Granomort wegen Schusswaffeneinsatzes eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft Paris ging am folgenden Tag jedoch davon aus, dass sein Handeln durch Notwehr gerechtfertigt sei. Zwölf Fans des Vereins PSG wurden am Freitag in Polizeigewahrsam genommen.

Am Samstagvormittag empfing Innenminister Nicolas Sarkozy an seinem Amtssitz mehrere Fan­clubs von PSG. Dies hatte heftige Kritik bei Sozialdemokraten und Grünen hervorgerufen, die am Freitagnachmittag im Parlament erklärten, Sarkozy empfange jene, die für die rechtsextremen Äußerungen die Verantwortung trügen. Aus den Reihen der Opposition wurde eher die Auflösung bestimmter Fanclubs gefordert, ebenso wie vom konservativ-liberalen Abgeordneten Claude Goas­guen.

So weit wollte der Innenminister noch nicht gehen. Er setzte die Fanclubs und den Verein aber unter Druck und forderte wirksame Maßnahmen gegen die Gewalt. Am Samstag wurde nach dem Treffen angekündigt, künftig werde es vor Spielen regelmäßige Beratungen zwischen Fanclubs und Polizei, eine stärkere Kontrolle des Kartenverkaufs und zusätzliche Stadionverbote für negativ auf­gefallene Zuschauer geben. Sollte es zu weiteren Gewalttaten kommen, werde ein Verein wie PSG zukünftig auch Spiele ohne Zuschauer absolvieren müssen, kündigte der Innenminister an. Der PSG-Vorsitzende Alain Cayzac erklärte sich am Samstagnachmittag »einverstanden« mit den Forderungen des Ministers und gab zugleich an, sein Verein sei »bedroht«.

Heftige Erregung und Kritik bei mehreren Antirassismus- und Menschenrechtsgruppen rief indessen eine offizielle Stellungnahme des Vereins PSG vom Freitag hervor. Darin drückte die Vereinsführung ihr »tiefes Mitleid für die Familie des verstorbenen Fans« aus, erwähnte die vorausgegangene Gewalt, den Rassismus und Antisemitismus des Lynchmobs jedoch mit keinem Wort.