Äpfel und Birnen

Eine Ausstellung in Berlin vergleicht Joseph Beuys mit Matthew Barney, Moderne mit Postmoderne. Das ergibt nicht nur Sinn. von nina scholz

Seit ungefähr einem Jahr liegt hierzulande eine sehr dünne Zeitschrift an den Kiosken. Das aus Amerika irgendwie ins Deutsche übersetzte People-Magazin InTouch beinhaltet neben Vergleichen zwischen den Kleidungsstilen von Berühmten und Bekannten, schnellen Trendgeburten und -beerdigungen, fettgedruckten Fragen nach möglichen Schwangerschaften und hämischen Berichten über das Körpergewicht von Personen eine der eigenartigsten und komischsten Rubriken: den Bildvergleich. Hier wird einem die Verwandtschaft zwischen Julia Roberts und einem Lama per zusammengesuchter Bilder so suggeriert, dass man es fast selber glaubt. Man weiß auf einmal, dass Lindsay Lohan wahrscheinlich zum gleichen Friseur geht wie Morticia aus der »Addams Family«, und in der Ausgabe eine Woche später wird bildhaft klargemacht, dass sie sich vom selben Stylisten wie Demi Moore beraten lässt.

Einen ähnlichen Eindruck vermittelt derzeit die »Deutsche Guggenheim« im Gebäude der Deutschen Bank, Unter den Linden in Berlin. Dort findet eine Ausstellung statt, die zwei prominente Künstler in Beziehung zueinander setzt. Im Vorraum geht es gleich los: Ein Stück aus Filz und Stahl von Joseph Beuys liegt da in einer Glasvitrine, in einer anderen kann man zusammengebastelte Fundstücke von Matthew Barney betrachten, die man bereits in seinem inzwischen nicht selten gezeigten Film »Cremaster Cycle 1994-2002« anschauen konnte.

»All In The Present Must Be Transformed« heißt die Ausstellung und soll gewisse Ähnlichkeiten der beiden Künstler vor Augen führen. Das funktioniert auch anscheinend ganz gut. Genau wie in der Zeitschrift InTouch ist man, aufgrund der ähnlichen Materialwahl der beiden oder auch wegen der Anordnung der Zeichnungen, Collagen und Installationen, bereit, an die Ähnlichkeit zu glauben.

Eine Bleistiftzeichnung von Beuys hängt neben einer von Barney, eine Minicollage mit selbstgebasteltem Rahmen und Beschriftungen des einen neben einer Minicollage mit selbstgebasteltem Rahmen und Beschriftungen des anderen. Fast immer stehen sich zwei Objekte gegenüber, der Besucher wird dazu gedrängt, die Ähnlichkeit wahrzunehmen. Im letzten Raum kann man die beiden dann jeweils in einem Film beobachten: Beuys schmiert sein legendäres Fett in eine Museumsecke, Barney streicht Vaseline über eine Stahl­skulptur. Neben der ähnlichen Materialwahl, Fett / Vaseline, Stoffe, Zeichnungen, und der Vitrine als Sammelort beziehungsweise der scheinbar ähnlichen Verarbeitung unterschiedlicher Materialen (Beuys verwendet oft Stahl und Filz, Barney eher Kunststoffe) werden Gemeinsamkeiten in der Konzeption unterstellt. Beide sind Vertreter und Ideologen des erweiterten Kunstbegriffs und verknüpfen verschiedene Materialen, Kunstrichtungen und Codes zu mehrdeutigen und scheinbar neuen Aussagen, die beim Modernisten Beuys deutlicher, beim Postmodernisten Barney offener sind. Und ganz klar: Bei beiden steht das männliche Ego im Zentrum.

Dennoch gibt es einen eindeutigen Unterschied: Matthew Barney, der in New York mit kleinen Filmchen und Performances angefangen hat, sich dann aber schnell zum weltweiten Kunstliebling mauserte, sammelte alte Erzählungen und vergessene Bilder, er wühlte im Keller der Gesellschaften und grub in der Popkultur, um epische Geschichten zu bilden, die Wiedererkennungswert besitzen und trotzdem andere Bedeutungen produzieren. Vor allem tat er das in besagtem »Cremaster Cycle« – fünf Filmen sowie dazugehörigen Skulpturen und Installationen, bei denen diverse Mythologien, Kunstgeschichte, Filmgenres, Biographisches und Popkultur einzigartig miteinander vermischt wurden. Die Filme Barneys, aber auch seine Skulpturen und Installationen, lassen bewusst Lücken und Freiräume, es werden keine Erklärungen und Antworten formuliert. Barney ist nie auf Versöhnung aus gewesen und will einen nicht zu bestimmten Ansichten bekehren.

Beuys hingegen, als das menschgewordene Kunstverständnis von Vollbartträgern und Kiefernmöbelbesitzern der Siebziger, hatte immer ein belehrendes Kunstmodell, das Esoterik, Fortschrittsfeindlichkeit, Ökologie und europäischen Zentrismus zu einem zeichenverwobenen Ideologieapparat verwurstete. Ihm war es schon immer darum gegangen, ein politisches System zu propagieren, und noch schlimmer: eine irgendwie geartete harmonische Welteinheit herzustellen.

Dieser wesentliche Unterschied wird in der Ausstellung unterschlagen. Barney selbst hat diese Ausstellung dennoch so gewollt. Gemeinsam mit der Kuratorin Nancy Spector, die unter anderem auch schon seine Werkschauen im New Yorker Guggenheim-Museum zusammenstellte, ist die Idee für die Ausstellung entstanden.

Was vielleicht daran liegt, dass sich in Barneys Werk jüngst etwas geändert hat, was man in Richtung Beuys weisend interpretieren könnte. Beispielsweise in seinem vor kurzem im Kino gelaufenen Film »Drawing Restraint 9«. Dieser ist genau wie schon »Cremaster Cycle« ein Teil unterschiedlicher, aber zusammengehörender Projekte, an denen der Künstler seit 1987 arbeitete. Im Film werden sehr direkt soziopolitische Aussagen mit stärkeren Wirklichkeitsbezügen verknüpft, die übriggebliebene typische Ästhetik in Verbindung mit dieser aufklärerischen Motivation bringt ihn sehr nah an den Beuys’schen Gestus des Welterklärens und -verbesserns heran. Es geht in der Ausstellung also weniger um den Vergleich zwischen Beuys und Barney als um Beuys im neuen Schaffen Barneys.

All In The Present Must Be Transformed: Matthew Barney und Joseph Beuys. Deutsche Guggenheim, Berlin. Bis 12. Januar 2007