Die Retter vor Gericht

Prozess gegen Cap Anamur in Italien von catrin dingler, rom

Es ist ruhig und sonnig im sizilianischen Hafen von Porto Empedocle. Die Saison ist zu Ende. Im Winter ist nicht damit zu rechnen, dass Migranten aus Afrika auf kleinen, motorisierten Schlauchbooten vor der Küste auftauchen. Von der Aufregung, die jeden Sommer die Inszenierung solcher »Flüchtlingstragödien« begleitet, ist nichts zu spüren. Auch der Trubel um die Cap Anamur scheint völlig vergessen.

Im Sommer 2004 rettete das Frachtschiff der gleichnamigen deutschen Hilfsorganisation wenige Seemeilen vor der sizilianischen Insel Lampedusa 37 Flüchtlinge aus Seenot. Doch die Behörden verweigerten die Einfahrt in italienisches Hoheitsgebiet. Knapp drei Wochen trieb das Schiff auf offener See, ehe es endlich doch in Porto Empedocle anlegen durfte. Die Flüchtlinge kamen zunächst in ein Aufnahmelager, wurden aber noch im selben Monat abgeschoben. Die Cap Anamur wurde sofort beschlagnahmt, als handele es sich um ein Schlepperboot. Der damalige Präsident der Organisation, Elias Bierdel, der Kapitän, Stefan Schmidt, und der Erste Offizier des Schiffes, Vladimir Daschkewitsch, wurden festgenommen und nach drei Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt mit der Auflage, Süd­italien zu verlassen.

Am Montag der vergangenen Woche begann im sizilianischen Agrigent ein Strafprozess gegen die Besatzung wegen »Begünstigung der illegalen Einwanderung«. Die Anklage basiert auf dem umstrittenen italienischen Migrationsgesetz – auch »Gesetz Bossi-Fini« genannt –, das jede nicht näher bestimmte »Erleichterung der illegalen Migration« unter Strafe stellt. Deshalb gilt auch die Rettungsaktion der Cap Anamur als »Begünstigung«. Hätten Bierdel und seine Kollegen die Flüchtlinge auf offener See ertrinken lassen, stünden sie heute wohl nicht unter Anklage.

Der Prozess ist nicht nur deshalb ein Skandal: Die Flüchtlinge galten drei Wochen lang als »Gefangene der Bürokratie«, über ihr »Schicksal« wurde zwischen Deutschland und Italien verhandelt, ehe die Cap Anamur, von Militärmarine und Finanzpolizei eskortiert, in den italienischen Hafen einfahren konnte. Ohne dass den Flüchtlingen das Recht auf Unterstützung durch Anwälte gewährt wurde, um Asyl zu beantragen, wurden sie nach Ghana abgeschoben, obwohl sie angegeben hatten, aus dem Sudan zu stammen. Schon während des Streits um die Einfahrterlaubnis hatte das Kassationsgericht das Gesetz Bossi-Fini für nicht verfassungskonform und kollektive Abschiebungen für nicht zulässig erklärt.

Doch für die Regierung Berlusconi ging es damals darum, mit der Cap Anamur keinen Präzedenzfall zu schaffen, die europäische Politik der Abschottung gegenüber Flüchtlingen nicht in Frage zu stellen.

Anstatt, wie sonst üblich, »Diskontinuität« zur Vorgängerregierung zu fordern, demons­triert heute das Mitte-Links-Bündnis hinsichtlich der mediterranen Grenzpolitik uneingeschränkte Kontinuität. Das Migrationsgesetz wurde von der neuen Regierung nicht modifiziert. Die vor den Wahlen von den Präsidenten mehrerer links regierter Regionen geforderte Schließung der Abschiebelager steht nicht mehr auf der Tagesordnung, allenfalls ist von einer »Humanisierung« dieser so genannten »Zentren zum zeitweiligen Aufenthalt« die Rede.

Kein Wunder ist es also, dass von Kommunisten und Grünen, die – als sie noch in der Opposition waren – zusammen mit dem antirassistischen Netzwerk Siziliens gegen die Abschiebung der Cap-Anamur-Flüchtlinge demonstriert hatten, zum Prozessbeginn nichts zu hören war.