Frickler unter sich

Was ist eigentlich aus den guten, alten Helden an der Fusion-Gitarre geworden? Aktuelle Jazz-CDs üblicher Verdächtiger. von jan süselbeck

Unter dem Einfluss von Jimi Hendrix’ »Electric Ladyland« (1968), Miles Davis’ »Bitches Brew« (1969) und den ersten Platten von John McLaugh­lins Mahavishnu Orchestra zu Beginn der Siebziger war der E-Gitarre im Jazz eine neue Bedeutung zugewachsen. Was jedoch folgte, ist oft genug beklagt worden: Alben wie Al Di Meolas »Land Of The Midnight Sun« (1976) präsentierten muckibudenartige Fingerakrobatik, deren Verblüffungseffekt schnellstens verpuffte und den Eindruck intellektueller Schlichtheit hinterließ.

Uli Krug hat in seiner Prog-Rock-Artikelserie in der Jungle World allerdings daran erinnert, dass längst nicht alles Mumpitz war, was seit den späten Sechzigern im Grenzgebiet von Jazz, Klassik, Blues, Folk und Rock entstand, bevor Ende der siebziger Jahre der Punk aufkam und das progressive Genre im Mainstream versandete. Mittlerweile behaupten Bands wie The Mars Volta sogar, ihr aufgefrischter Prog-Rock sei der wahre Punk unserer Tage.

Kündigt sich damit etwa auch eine Renaissance des virtuosen Jazzrock-Genres alter Schule an? John McLaughlin beispielsweise produziert nach wie vor fleißig Platten und geriert sich darauf als eine Art Gastgeber nachgewachsener Talente. Auf seiner letzten mit dem albernen Titel »Industrial Zen« (2005) gibt es ein Gastsolo des US-Gitarristen Eric Johnson. Sicher nicht von ungefähr: Ist Johnson doch einer der auch schon nicht mehr ganz so jungen Musiker, in deren Spiel die Anleihen bei Hendrix mit am deutlichsten herauszuhören sind. Johnson bezieht sich damit auf die »gute alte Zeit«, in der auch Mc­Laughlins innovativste Arbeiten entstanden sind.

Hört man sich aber Johnsons letztes Soloalbum »Bloom« (2005) an, so wird klarer, woran der gitarristische Instrumentalmainstream immer noch krankt: »Bloom« gehorcht den gängigen Konventionen effekthascherischer Stilmixerei von Country, Flamenco und angejazztem Bluesrock, die in der geschmäcklerischen Dreiteilung des Albums in »Prelude«, »Courante« und »Allemande« gipfelt.

Viele Stücke verstören zudem durch Johnsons knabenhaften Eigthies-Popgesang, der auf ungute Weise an einige der peinlichsten esoterischen Yes-Alben seit den Achtzigern erinnert. Das ist schade, weil man trotz allem betonen muss, dass Johnsons Spiel im Kern ein Blues-Feeling erkennen lässt, aus dem jenseits des Mainstream-Schönklangs sicher weit Aufregenderes formbar wäre.

Mit ähnlichen Problemen kämpft auch Altstar Al Di Meola seit Jahren. Hatte er zu Beginn der Neunziger mit seinen akustischen Astor-Piazzolla-Platten einen Weg gefunden, sich ins ernsthaftere Genre zu retten, so boten seine folgenden, richtungslosen Welt­musikausflüge bloßes Hochglanz-Multiinstrumental­pathos. Oft schien es, als versuche Di Meola mit seinem prätentiösen Fahrstuhl-Jazz den marktführenden Klang-Trademarks der Pat Metheny Group Pa­roli zu bieten (z.B. auf »Orange and Blue«, 1994, oder auch »The Infinite Desire«, 1998), scheiterte damit aber kläglich.

Sein neuestes Album mit dem hochtrabenden Titel »Consequence Of Chaos« (2006) wird damit beworben, Di Meola sei nun endlich wieder zur Solidbody-E-Girarre zurückgekehrt. Unter anderem wird er dabei unterstützt von dem Pianisten Chick Corea, bei dem er 1974 als 19jähriger in die legendäre Fu­sion-Band »Return To Forever« eintrat und mit seiner neuartigen Weise, eine Gibson Les Paul zu spielen, Geschichte schrieb. Man muss zugeben, dass einige der Kompositionen auf der neuen CD von beträchtlicher Komplexität sind, doch was hier noch am ehesten zu überzeugen vermag, sind einmal mehr Di Meolas Akustikgitarrenparts.

Angesichts der selbstgefälligen Leadgitarrenlinien aber sehnt man sich fast schon wieder nach den hurtigen Griffbrett-Tricksereien zurück, die der ewig jung aussehende Altmeister einst auf »Land Of The Midnight Sun« verbrochen hat. Mögen manche der mehrstimmigen Unisono-Tonkaskaden der neuen Platte auch ein beachtliches Frickel-Niveau erreicht haben, so hat man das alles auf unzähligen Frank-Zappa-Werken doch schon viel genialer und zudem in einer mit mehr Selbstironie versehenen Form gehört. Und irgendwie sieht man bei jedem Solo die unerträglichen Dressman- und Sonnenbrillen-Porträts Di Meolas vor sich, die auch das Booklet der neuen CD verbote­nerweise wieder zieren – und man ahnt, dass das wahrscheinlich genau die Musik ist, die ein Josef Ackermann in seiner Dienstlimousine auflegen lässt.

Eher wie einer, dem noch niemand verraten hat, dass die Siebziger längst vorbei sind, sieht dagegen der New Yorker Fusion-Gitarrist Mike Stern auf seiner neuen CD »Who Let The Cats Out« (2006) aus. Stern spielte zu Beginn der Achtziger bei Miles Davis und hat seither 13 Soloplatten aufgenommen, unter anderem mit versierten Gastgitarristen wie Bill Frisell und John Scofield.

Sterns Spiel ist viel erdiger als das Di Meolas, weit näher am klassischen Jazz – aber damit auch nicht unbedingt das, was man Avantgarde nennen wollte. Mit Gaststars wie dem Trompeter Roy Hargrove und dem durch sein Engagement bei der Pat Metheny Group vor Jahren groß herausgekommenen Bassisten und Vokalisten Richard Bona hat Stern dem Sound seiner Band zwar neue Klangfacetten hinzufügen können: Aber so überragend, wie manche Kritiker meinen, ist sein neues Werk deswegen noch lange nicht.

Müssen zarte Momente denn immer unbedingt sofort vom Jim Beard’schen Keyboardakkorden kaufhauskompatibel vernebelt werden? Und vor allem: Gibt es nicht doch auch noch andere gitarristische Dramaturgien, als nach vier Minuten cleanem Warmlaufen endlich feste auf die Fuzzbox zu treten, um das Solo »to the stratosphere« aufzublähen, wie der Jazz-Kritiker Bill Milkowski im Booklet schwärmt?

Dass trotzdem noch nicht aller Tage Abend ist mit dem Thema Jazz-Gitarre, dafür sorgt am Ende tatsächlich immer noch Pat Metheny. Der Gitarrist, über den man sich in den letzten Jahrzehnten wegen seines immergleichen Ringelpullis und seines notorischen Trompetensynth-Sounds so gerne lustig machte, ist in Wahrheit bis heute einer der wandlungsfähigsten und aussagekräftigsten Musiker geblieben. Nach der letzten Platte der Pat Metheny Group, »The Way Up« (2005), einer 68minütigen Monumentalkomposition voller atemraubender Momente, hat er sich auf seiner neuesten Veröffentlichung mit dem Pianisten Brad Mehldau zusammengetan.

Außer in zwei von zehn Stücken, in denen auch noch Jeff Ballard (Drums) und Larry Grenadier (Bass), die zu Mehldaus Trio gehören, dazustoßen, treten Metheny und Mehldau hier als Duo auf. Klavier und Gitarre – das geht meist nicht gut, weil sich die Tonlagen beider Instrumente leicht im Wege stehen. Doch beide Instrumentalisten bringen es fertig, ihre Stile zu vereinen, ohne sich gegenseitig zu stören. »Ich hatte das Gefühl, je mehr jeder von uns er selbst ist und seine Identität unmissverständlich geltend macht, desto stärker wird die gemeinsame Aussage und die Unterstützung füreinander«, erzählt Mehldau in einer Booklet-Notiz von den Sessions.

Vielleicht ist das deshalb so, weil beide das getan haben, was mancher »Virtuose« heute gar nicht mehr kann: dem Gegenüber beim Spielen auch zuzuhören.

Pat Metheny / Brad Mehldau: Metheny Mehldau (Nonesuch 2006)Mike Stern: Who Let The Cats Out (Heads Up 2006)Al Di Meola: Consequence Of Chaos (Telarc 2006)Eric Johnson: Bloom (Favored Nations / Rough Trade 2005)