Wenn Klimawandel allzu teuer wird

Die britische Regierung hat den Klimaschutz zur innenpolitischen Priorität erklärt.Die Konservativen geben sich mittlerweile als die wahren Grünen im Parlament. von fabian frenzel, leeds

Als Mitte voriger Woche die EU-Kommission die CO2-Emissionspläne zehn europäischer Länder für den Zeitraum von 2008 bis 2012 bewertete, bekam nur Großbritannien Lob. Während von allen anderen Ländern gefordert wurde, die Pläne zu überarbeiten, akzeptierte die EU die von Großbritannien vorgeschlagene Menge von 246,2 Millionen Tonnen CO2-Rechten pro Jahr. Sind die Briten die umweltfreundlichsten Europäer? Sicher möchten sie das gerne sein.

Derzeit entwickelt sich Klimaschutz in Großbritannien zu einem Politikfeld, aus dem sich politisches Kapital schlagen lässt. Das deutlichste Zeichen dafür ist das neuerdings explizit grüne Image des Oppositionsführers David Cameron. Seine konservative Partei hatte noch in den frühen neunziger Jahren den öffentlichen Personenverkehr weitgehend privatisiert und mit einem massiven Straßenbauprogramm am Diktum von Margaret Thatcher festgehalten, ein Mensch von über 30 Jahren, der einen öffentlichen Bus benutze, müsse sich fragen, ob er nicht gescheitert sei.

Diese Zeiten sind vorbei. Bereits im Wahlkampf für die Kommunalwahlen im April hatten die Tories, deren Parteifarbe blau ist, mit ihrem Slogan »Vote blue, go green« ihr angebliches Umweltbewusstsein präsentiert (Jungle World, 19/06). Cameron engagierte den prominenten Herausgeber des Umweltmagazins Ecologist, Zac Goldsmith, als Berater und traf sich mit etablierten Umweltlobbyisten wie dem NGO-Netzwerk »Friends of the Earth«.

Der Oppositionsführer hat sich auch persönlich als aktiver Öko in Szene gesetzt. Im April reiste er beispielsweise zum Polarkreis, um das Abschmelzen der Gletscher, eine direkte Folge der globalen Klimaerwärmung, »persönlich« zu erleben. Doch auch im Alltag stilisiert er sich gerne zum Umweltfreund: Seinen Weg nach Westminster bestreitet er täglich mit dem Fahrrad und folgt damit einer Mo­de­er­schei­nung in London. Die britische Metropole galt bis vor kurzem noch als die fahrradunfreundlichste Stadt in Europa. Überfüllte U-Bahnen und Busse, die teure Staugebühr auf private Autobenutzung in der Innenstadt und nicht zuletzt ein wachsendes Umweltbewusstsein scheinen die Londoner auf ihre Fahrräder zu treiben.

Auch sonst ist das Thema Klimaschutz en vogue, nicht immer allerdings aus rein ökologischen Gründen. Verächtlich blickt die britische Mittelschicht auf die als »Chel­sea Trecker« geschmähten teuren und pompös großen Geländewagen, Hummer und Jeeps, die sich unter den Reichen der Hauptstadt großer Beliebtheit erfreuen. Londons Bürgermeister Ken Livingstone – bekannt für sein feines Gespür für Stimmungen in der Stadt und immer bereit, sie für seine Zwecke zu nutzen – kündigte bereits eine Extra-Abgabe auf die viel Treibstoff verbrauchenden Autos an.

Doch es ist mehr als puritanisches Ressentiment, das die gegenwärtige Ökowelle auslöst. Spätestens seit Ende Oktober, als der von Finanzminister Gordon Brown in Auftrag gegebene Report zu den Kosten des Klimawandels veröffentlicht wurde, wird in den Medien die wachsende Gewissheit reflektiert, dass der Klimawandel tatsächlich stattfindet.

Den vom ehemaligen Weltbankökonomen Nicholas Stern verfassten Bericht bezeichnete Tony Blair als »das wichtigste Dokument«, das er »in seiner Amtszeit vorgelegt bekommen« habe. Demnach würde es ein Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts kosten, die Erwärmung der Erdatmosphäre auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Würden keine vorbeugenden Maßnahmen getroffen, werde man später für die Folgen des Klimawandels bezahlen müssen. Dadurch, so der Bericht, drohe eine Weltwirtschaftskrise wie in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Report nennt den Klimawandel das größte und weitestreichende Scheitern des Marktes in der Geschichte des Kapitalismus und fordert korrektive Marktinterventionen, insbesondere die Intensivierung des von der EU entwickelten CO2-Emissionshandels.

Der Stern-Report hat den Fokus auf die ökonomisch orientierte Klimaforschung gerichtet. Derzeit werden in britischen Zeitungen fast täglich neue Statistiken über das Klima veröffentlicht. Dabei geht es nicht nur um das Wetter und darum, dass dieser Herbst der wärmste in Großbritannien seit Beginn der Aufzeichnungen vor fast 300 Jahren war. Der Verband der britischen Versicherungen stellte neulich die Ergebnisse einer Studie vor, derzufolge 404 000 küstennahe Häuser vom nordenglischen Hull bis nach Ostlondon von Überflutungen bedroht seien. Nicht wenige Briten werden dabei an die Bilder vom versinkenden New Orleans gedacht haben.

Blairs Regierung hat sich unter dem Druck von »grünen« Konservativen, zunehmenden Protesten und der Evidenz der wissenschaftlichen Studien beeilt zu erklären, die Klimaproblematik habe politische Priorität. Der Premierminister kündigte in seiner jüngsten Regierungserklärung ein Klimaschutzgesetz an, das im kommenden Jahr beschlossen werden soll. Ziel sei eine Reduktion der britischen CO2-Emissionen um 60 Prozent bis 2050, während Finanzminister Brown über eine Erhöhung von Öko-Steuern im neuen Haushalt spekulierte.

Doch viele Umweltaktivisten und unabhängige Experten befürchten, dass die Regierung nicht bereit ist, wirklich etwas zu verändern. Trotz aller Lippenbekenntnisse steht Großbritannien gegenwärtig ein EU-Verfahren bevor, weil Klimaschutzbestimmungen nicht eingehalten wurden. Was die Verkehrspolitik betrifft, reden britische Umweltschützer sogar von einem klimapolitischen Rollback. Während es zur geplanten Einführung von Trams in mehreren britischen Städten aus Kostengründen nicht kam, stellt die Regierung sechs Milliarden Pfund für den Ausbau der M1-Autobahn bereit. Außerdem wurde in den letzten drei Jahren die Erweiterung beinahe aller britischen Flughäfen favorisiert, um der erwarteten Verdoppelung des Flugverkehrs bis 2030 gerecht zu werden.

Umweltschützern zufolge ist daher trotz des gegenwärtigen Hypes um das Thema auf Politiker kein Verlass in Sachen Klimaschutz. Mit Protesten gegen Billigflieger und Flughafenerweiterungsprojekte hoffen Gruppen wie »Plane Stupid« darauf, einen Bewusstseinswandel der Briten herbeiführen zu können. Und das mit zunehmendem Erfolg. Aktuellen Umfragen zufolge akzeptieren drei Viertel der britischen Bürger, dass das Fliegen teurer werden muss.

Im Spätsommer hatten zudem rund 700 Aktivisten landesweit Schlagzeilen gemacht, als sie versuchten, eines der größten britischen Kohlekraftwerke im nordenglischen Yorkshire lahm zu legen. Nicht weniger als 2 000 Polizisten wurden zusammengezogen, um sicherzustellen, dass das Kraftwerk, das sechs Prozent der britischen Stromversorgung garantiert und der größte CO2-Produzent im Lande ist, ungestört durch den Protest des »Camps for Climate Action« weiterlaufen konnte. Anfang November in London forderten schließlich etwa 25 000 Menschen mit einer der größten umweltpolitischen Demonstration in der britischen Geschichte die Regierung zu einer effektiven Klimaschutzpolitik auf.