Präsident Übel

Köhler außer Kontrolle von stefan wirner

Langsam dämmert es den Konservativen, was für eine Nervensäge sie da zum Staats­oberhaupt gemacht haben. Zum zweiten Mal hat Horst Köhler in der vorigen Woche eins der Gesetze der Großen Koalition nicht unterschrieben. Im Oktober war es das Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung, nun ist es das Verbraucherinformationsgesetz, das ihm verfassungswidrig erscheint.

Im November brachte Köhler die Konservativen gegen sich auf, als er sich in eine Debatte der CDU einmischte und die Vorschläge von Jürgen Rüttgers (CDU) zur Änderung des Arbeitslosengeldes I kritisierte. Im Sommer 2005 hatte er sich wichtig gemacht, als er wochenlang das Pro­cedere für Neuwahlen prüfte und sich wie ein buddhistischer Mönch in bedeutsames Schweigen hüllte. Om. Schon damals suggerierte er den Leuten: An mir geht nichts einfach so vorbei.

Damals passte Köhler noch in die Inszenierung der Konservativen, inzwischen aber ist die Verärgerung über ihn groß. Der Landesgruppenchef der CSU, Peter Ram­sauer, sagte, es gefalle ihm nicht, »dass jedes zweite Ding, was wir machen, jetzt verfassungswidrig sein soll«. Der Geschäftsführer der Unionsfraktion, Norbert Röttgen, klagte: »Den politischen Willen, der in dem Gesetz Ausdruck gefunden hat, den hindert man an der Entstehung.« Da gibt man sich so viel Mühe mit dem Regieren, und der Oberlehrer zieht einem vor der versammel­ten Wählerschaft die Ohren lang.

Aber die Konservativen hätten es wissen können. Denn Köhler, der »Rebell« (ZDF), hat seine Pläne bereits zu Beginn seiner Amtszeit in einem Buch dargelegt. »Offen will ich sein – und notfalls unbequem«, heißt es, und zu lesen sind darin freimütige Bekenntnisse wie: »Wo immer ich neu anfing, habe ich versucht, Veränderungen herbeizuführen.« Drohungen werden offen ausgesprochen: »Ich lasse nicht locker«, sagt er über sich, oder: »Ungeduldig kann ich schon mal werden.«

Köhlers Gerede von der »Übernahme von Eigenverantwortung« und von der Solidarität, die »ins Gegenteil« umschlage, fügte sich am Ende der rot-grünen Ära gut ins Konzept der Konservativen. Er verlieh der Propaganda gegen den Sozialstaat Nachdruck und etwas Staatstragendes, wenn er sagte: »Der Sozialstaat in seiner heutigen Ausprägung hat sich eindeutig übernommen. Im Grunde belügt er die Bürger, weil er das gar nicht garantieren kann, was alles in den Leistungsgesetzen versprochen wird.«

Nun, da der Regierungswechsel vollzogen ist und die wichtigsten sozialen Kürzungen durch­gesetzt sind, könnte Köhler es ruhiger angehen lassen und die Große Koalition unterstützen. Tut er aber nicht. Denn er ist nicht nur ein unerträglicher Wichtigtuer, sondern auch ein durchtriebener Populist, der die Regierenden auflaufen lässt, um sich selbst als Verwalter der Bürgerinteressen anzubiedern.

Dabei verletzt er gezielt demokratische Gepflogenheiten, etwa das bisher klar geregelte Verhältnis zwischen Parlament und Präsident. Dessen Rolle war nach dem alten Konsens eine repräsentative, er griff nicht in die Gesetz­gebung ein. Das will Köhler ändern, und er kommt damit dem autoritären Denken in der Bevölkerung entgegen. 73 Prozent der Befragten sagten in einer Umfrage des Stern, Köhler solle sich in die Tagespolitik einmischen. Dem früheren Präsidenten des Sparkassenverbandes trauen sie mehr zu als dem Parlament, das sie selbst gewählt haben.

In Zeiten, da die Deutschen immer weniger von der Demokratie halten, macht Köhler ihnen das Modell des starken Mannes schmackhaft, der gesellschaftliche Probleme per Hand­streich löst. Das ist das eigentliche Übel, das er mit sich bringt.