Trotz Wille kein Weg

Theorie und Praxis der neuen Regelung des Bleiberechts unterscheiden sich enorm. Geduldete Migranten, die einen Job gefunden haben, bekommen noch längst keine Aufenthaltsgenehmigung. von martin kröger

Migranten fahren nicht gern in diese Gegend Berlins. Gleich gegenüber dem unscheinbaren grau-bräunlichen zweistöckigen Gebäude mit den überpinselten Graffiti in der Nöldnerstraße im Bezirk Lichtenberg, nur einen Steinwurf entfernt, beginnt der berüchtigte Weitlingkiez, von dem fast täglich in den Medien zu lesen ist. Er gilt als eine Hochburg der rechtsextremen Berliner Kameradschaften.

Noch mehr Unbehagen als die Umgebung des Gebäudes Nöldnerstraße 32-34 bereitet dem 25jährigen Ibrahim Delen aber der Gang zur Berliner Ausländerbehörde, die darin untergebracht ist. Das Amt steht in keinem guten Ruf. Ein Evaluationsbericht der mitregierenden Linkspartei vom April dieses Jahres kam zu dem Schluss: »Keinesfalls sind die politischen Vorgaben für die Weiterentwicklung der Ausländerbehörde zur Servicebehörde auch nur annähernd erfüllt.« Die Verfasserin der Studie empfahl umfangreiche Veränderungen, um die Qualität der Betreuung und Beratung zu verbessern. Sie schlug unter anderem vor, das Personal aufzustocken, Beamte mit Migrationshintergrund und Fremdsprachenkenntnissen einzustellen und die Erreich­barkeit der Behörde während der Sprech­zeiten zu gewährleisten.

Dass an diesem Tag jemand in der Abteilung IV B für Zuwandernde und in Berlin lebende Migranten erreichbar ist, hofft Ibrahim Delen. Für den jungen Kurden ist es in letzter Zeit nicht gut gelaufen: Vor sechs Wochen wurde sein Asylantrag endgültig abgelehnt, seitdem besitzt er den Aufenthaltstitel einer Duldung, der ihm unter anderem verwehrt, sein Jura­studium abzuschließen. Ein wenig Hoffnung hat ihm der Beschluss der Innenministerkonferenz im November gemacht. Die Regelung, nach der länger Geduldete, die einen Arbeitsplatz nachweisen, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen sollen, würde trotz der vielen Ausnahmekriterien auf ihn zutreffen (Jungle World, 45/06).

Delen war im November in Nürnberg mit dabei. Er engagiert sich bei der Organisation »Jugendliche ohne Grenzen«, die sich für eine »großzügige Bleiberechtsregelung« einsetzt und zum wiederholten Mal einen Kongress gegen die Innenministerkonferenz organisiert hat.

Trotz seiner grundsätzlichen Kritik will der Jurastudent versuchen, einen Antrag gemäß der Weisung abzugeben. In seiner Tasche hat er ein Papier eines Anwalts, der bereit wäre, ihn in seiner Kanzlei anzustellen. Denn die Voraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis ist in der Regel ein den »Lebensunterhalt sicherndes dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis«. Den »Lebensunterhalt sichern« bedeutet, dass das zu erwartende Einkommen Miete, Heizung, den Regelsatz von Arbeitslosengeld II und eine Krankenversicherung abdeckt. Wer das schafft, darf in Deutschland bleiben.

Auch die Bedingungen für das »verbindliche Arbeitsangebot« hat Delen erfüllt: Sorgfältig sind auf dem Kopfbogen mit Datum, Stempel und Unterschrift der Arbeitgeber, sein Name mit Anschrift und Geburtsdatum sowie die Höhe der zukünftigen Vergütung und die Anzahl der Arbeitsstunden pro Woche vermerkt. Eigentlich müsste das reichen für eine Aufenthaltserlaubnis mit dem Vermerk »Erwerbstätigkeit gestattet«. Denn so sieht es die etwas liberalere Berliner Auslegung des Beschlusses vom November vor. Eigentlich.

»Am Schalter wussten die zwar von dem Beschluss der Innenministerkonferenz, aber sie hätten noch nichts vom Innensenator gehört«, berichtet Delen nach seinem Termin. Als er sein Ansinnen vortrug, bald arbeiten zu wollen, sei ihm angeboten worden, einen Antrag auf eine gewöhnliche Arbeitserlaubnis zu stellen. »Das ist Quatsch, das dauert, und man hat kaum eine Chance.« Er kennt genug Flüchtlinge, die das versucht haben. Immerhin habe ein Sachbearbeiter eingeräumt, dass die »Weisung da ist, aber nicht offiziell«. Wann sie tatsächlich in Kraft trete, habe ihm niemand sagen können, erzählt Delen.

Jetzt heißt es wieder warten. Ob sein Arbeitgeber die nötige Geduld aufbringt, weiß er nicht. »Dabei beantrage ich doch in Berlin.« In anderen Bundesländern, so hat er gehört, sollen zusätzlich die künftigen Arbeitsbedingungen geprüft werden. Was sich aus gewerkschaftlicher Perspektive vernünftig anhören mag, dürfte sich für die Migranten in der Praxis in vielen Bundesländern wie beispielsweise in Brandenburg als weitere Erschwernis erweisen, meint Georg Claa­sen vom Berliner Flüchtlingsrat. Denn die Löhne, die die Behörden für die Migranten vorsehen, hätten mit der Realität nichts zu tun. »Wenn die Arbeits­agentur 7,30 Euro für eine Küchenhilfe veranschlagt, ist das unrealistisch. Realistisch sind vier Euro«, sagt Claasen. Daher könne es passieren, dass auch Migranten mit Job keine Aufenthaltserlaubnis erhielten, weil die Arbeitsagentur das sabotiere.

Ein 64jähriger Iraner habe gefragt, wie er in seinem Alter das erforderliche Nettoeinkommen und bei der Arbeitsplatzsituation einen Job bekommen solle, von einer Krankenversicherung ganz zu schweigen, erzählt Claasen. »Für ihn besteht nur die Möglichkeit, dass seine Kinder für ihn aufkommen.« Damit werde das größte Manko des neuen Bleiberechts offenbar: »Diese Regelung ist für junge, gesunde Menschen; Alte, Kranke und Behinderte fliegen raus.«

Was dem Berliner Flüchtlingsrat darüber hinaus Kopfzerbrechen bereitet, ist die schlechte Verbreitung der Informationen. Die Regelung könne für viele Flüchtlinge eine Möglichkeit sein, wenn sie davon wüssten. Zu zwei Veranstaltungen zum Beschluss der Innenministerkonferenz seien mehrere hundert Menschen gekommen, berichtet Claasen. Insgesamt sind aber in Berlin 5 000 Migranten betroffen, in ganz Deutschland knapp 190 000. Entsprechende Informationsveranstaltungen durchzuführen, sei eigentlich Aufgabe der Ausländerbehörde und des Ausländerbeauftragten der Stadt Berlin, Günter Piening. Dem Ausländerbeauftragten würde es auch unterliegen, die Unternehmer zu unterrichten. Die seien nämlich völlig genervt, sagt Claasen. »Aber nicht wegen der Flüchtlinge, sondern wegen der Behörden.«

Diesen Vorwurf will der Ausländerbeauftragte Berlins im Gespräch mit der Jungle World nicht auf sich sitzen lassen: »Unseres Wissens ist die Ausländerbehörde über die Anweisung informiert und setzt die auch um«, sagt Günter Piening. Die Kritik sei völlig unverständlich, da es bisher »keine Beschwerden gegeben habe«. Auch mit der Industrie- und Handelskammer und den Unternehmern habe es einen regen Austausch gegeben. Wenn es ein grundlegendes Problem gäbe, dann sei es die Bleiberechtsregelung der Innenminister. »Die ist nämlich schlecht«, erklärt Piening. Deswegen bedürfe es einer gesetzlichen Regelung durch den Bund.

Darauf hofft auch Ibrahim Delen, der weiter auf seine Aufenthaltserlaubnis wartet. Eine Regelung des Bun­des­tags könnte nämlich mehr Groß­zügig­keit bedeuten. Für März und April plant seine Organisation »Jugendliche ohne Grenzen« deswegen Proteste in Berlin. »Obwohl jetzt einige davon profitieren, reicht das nicht, es bedarf einer Lösung für alle.«