Vor den Protesten gegen den G8-Gipfel

Der Hype des Jahres

Die Linke erwartet sich viel vom Protest gegen den G8-Gipfel. Es soll eine der größten Demonstrationen seit Jahren werden.

Matthias in Marburg« hat eine Idee. Der Blogger meint, »es wäre doch super, wenn wir eine Aktionsradtour, möglichst inklusive einer G 8-Infotour, veranstalten könnten. Mensch könnte sich am besten von Süd nach Nord sammeln und zusammen öffentlichkeitswirksam gen Gipfel radeln. Während die Herren und eine Frau der Welt sich in Heiligendamm kein Stück gegen den Klimawandel engagieren, propagieren wir aktiven Umweltschutz.« Mal sehen, ob »Mensch« diese Idee aufgreift. Und wer weiß, vielleicht lassen sich die Herren und Frauen des Gipfels davon beeindrucken und »engagieren« sich auch ein »Stück«, für Robbenbabys und Krötenwanderungen zum Beispiel.

An der »Vielfalt des Protests« (Interventionistische Linke) gegen den G 8-Gipfel in Heiligendamm Anfang Juni kann schon jetzt kein Zweifel bestehen. Von Radtouren gegen den Klimawandel bis zu militanten Anschlägen ist einiges im Angebot. In der vorigen Woche verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf das Auto und das Haus der Familie des Finanzstaatssekretärs Thomas Mirow (SPD) in Hamburg. Klandestine Gegner der G 8 wie diese glauben offenbar, einige Irrwege der siebziger Jahre noch einmal gehen zu müssen. Etwas künstlerischer veranlagt zeigten sich Nachtschwärmer in Heiligendamm. Sie verzierten in der vorigen Woche das Hotel Kempinski, in dem der Gipfel stattfinden wird, mit roter und schwarzer Farbe. In einem Bekennerschreiben hieß es nicht ohne Pathos: »Wir kennzeichnen das Ziel des nächsten Jahres.«

Das Ziel des Jahres ist der Gipfel fürwahr. Das rührt auch daher, dass die radikale Linke hierzulande zuletzt nicht allzu viel bewegte. Der Sozialabbau etwa wäre ohne die oftmals zweifelhaften ostdeutschen Montagsde­mons­trationen ohne großes Aufsehen verwirklicht worden. Die ominöse »Aneignung« blieb eine Phantasmagorie und kam kaum über die eine oder andere Schwimmbadaktion hinaus, und die »Überflüssigen« wurden auch nicht unentbehrlich. Im Sommer des vorigen Jahres versuchten manche dann, Pöstchen bei der Linkspartei zu ergattern, allzu viele wurden es nach der Bundestagswahl aber selbst unter dem Anführer Oskar Lafontaine nicht. Von der inhaltlichen Regression ganz zu schweigen. Da kommt ein Gipfel mit den acht bösesten Staatschefs der Welt gerade recht.

Es schlägt die Stunde der »Aktivisten« und der »Vernetzung«. Die »Vielfalt« der Aktionen liegt allen Beteiligten besonders am Herzen, genauso wie der Wunsch, inhaltliche Differenzen hinter sich zu lassen. »Das große Bedürfnis nach Protest und Organisierung wird sichtbar«, schreibt die Bundeskoordination Internationalismus (Buko) in einem Aufruf. Der Protest könne »zu einem dynamischen ›Kristallisationsmoment‹ für emanzipative Bewegungen werden«, meinen die Verfasser.

Zu diesen »emanzipativen Bewegungen« zählen so illustre Gruppen wie: »Deine Stimme gegen Armut«, »Deutscher Naturschutzring«, »Koordinierungsstelle Kirche & G 8«, »Ökum – Initiative Eine Welt«, »Urgewald«, »Deutsche Stiftung Weltbevölkerung« usw. Von den etablierteren Organisationen rufen vor allem Attac, die Buko, Linksruck und etliche Antifa-Gruppen zu den Protesten auf. Es finden sich antiimperialistische Kampfverbände und selbstverständlich die Linkspartei und die Wasg zusammen, die sich von den anstehenden Straßenschlachten wohl eine Belebung ihrer Nachwuchsarbeit erhoffen. Auch die Grüne Jugend und der Jugendumweltkongress sind dabei, indes Joschka Fischer im Hotel Kempinski fehlen wird.

Im November fand in Rostock eine Aktionskonferenz zur Vorbereitung des Gegenspektakels statt. Wie in einer Presseerklärung der SPD hieß es: »Mehr als 450 Aktivistinnen und Aktivisten aus ganz Europa haben sich auf der zweiten Aktionskonferenz in Rostock auf den Fahrplan für die Protestwoche gegen den G 8-Gipfel verständigt.« Vorgesehen sind dem »Fahrplan« zufolge vom 2. bis zum 7. Juni u.a.: eine Großdemonstration, ein migrationspolitischer Aktionstag, die Blockade des Rostocker Flughafens, ein Aktionstag Landwirtschaft, ein Alternativgipfel und ein Konzert mit dem deutschen Sting, Herbert Grönemeyer. Vielleicht singt er wieder: »Männer führen Kriege, Männer sind schon als Baby blau, Männer rauchen Pfeife, Männer sind furchtbar schlau.«

Am Ende der Erklärung hieß es: »Wer sich den G 8-Gipfel einlädt, lädt sich auch den Protest ein.« Deshalb fordere man vom Land Mecklenburg-Vorpommern, »dass die nötige Infrastruktur für die Unterbringung der Menschen in Camps und für das Austragen der Veranstaltungen zur Verfügung gestellt wird«. Dass die französischen Revolutionäre im Jahr 1789 die Pariser Polizei baten, die Boulevards freizuhalten, damit man die Bastille stürmen könne, ist hingegen nicht überliefert.

In den Aufrufen ist ausführlich vom »neo­liberalen Projekt« die Rede, die Buko etwa sieht es in einer »Legitimationskrise«. »Immer mehr Menschen sagen ya basta! (es reicht)«, wenngleich es ein paar Absätze weiter heißt: »Die bestehenden Verhältnisse werden – wenn auch oft murrend – akzeptiert und aktiv mitgestaltet.« Die Ziele klingen anspruchsvoll: »Delegitimierung der G 8« (Buko), »Deutschland blockieren« (11. November Bewegung), »Kapitalismus angreifen und blockieren« (Kollektiv 22. Oktober), »Den G 8-Gipfel wegpusten« (No G 8-Gruppe Kiel).

»Es ist die Grenzenlosigkeit der kapitalistischen Gier«, meint das überregionale Plenum »Paula«, »die uns so oft zutiefst traurig, aber auch unbändig wütend macht.« Diese Gruppe will »den Gipfel versenken«. Sie hofft auf einen »Ring größerer und kleinerer Blockaden, massiv und massenhaft, vielfältig und dezentral«, auf »Sitz-, Steh- und Laufblockaden« und freut sich auf »das Auftreten der Clowns Rebel Army« und »lautstarke Sambatistas«. Schließlich soll die »rote Zone in Angriff genommen« werden. Mit Panzern? Realistischer und freundlicher klingt da die Arbeitsgruppe »G 8-int«: »Wir sind einfach eine Gruppe von Leuten, die auf einem Feld sitzen und die Welt verändern wollen.« Dabei viel Glück!

Die Welt verändern wollen auch das Gegeninformationsbüro Berlin, die Gruppe Arbeitermacht, die Autonomen Kommunisten Berlin und andere. Vor allem wollen sie die Welt im Irak, in Afghanistan und Palästina verändern und fordern den sofortigen Abzug der »Besatzungstruppen«, sicher zur Freude von al-Sadr, Taliban und der Hamas. Die Weltveränderer warnen in ihrer gemeinsamen Erklärung zudem im Stil der Mullahs vor »Islamophobie«.

Dass Leute, die ein gewisses Maß an analytischer Kraft an den Tag legen, sich in diese »Vielfalt« einreihen wollen, bleibt ein Rätsel. Dass sie sich mit diesen Ansichten nicht mal befassen wollen, ist fatal. Die Buko wünscht sich einen »breiten Konsens« und sieht die Proteste als »Experiment mit gemeinsamen thematischen Zuspitzungen«.

Außerdem soll die »lokale Bevölkerung« gewonnen werden. Dabei soll eine der Demonstration neu in Rostock-Lichtenhagen beginnen, wo diese Bevölkerung im Jahr 1992 zeigte, was sie vom Antirassismus hält. Kürzlich hat sie die NPD ins Landesparlament gewählt. Deren Landesvorsitzender Udo Pastörs sagte in einer Landtagssitzung: »Wer den G 8-Gipfel mitsamt Luxusessen und Ausstattung des Kempinski-Hotels mit Luxus-Daunen-Bettfüllung und Spezial-Damast-Wäsche bestellt, sollte diesen Unfug auch bezahlen.« Möglicherweise ist die lokale Bevölkerung ja gegen die G 8, aber gleichzeitig auch gegen die »linken Chaoten«, so sehr diese sich auch anbiedern.