Einkaufszombies

Diktatur des Alltags

Der Mensch ist ein abgerichtetes Ding, ein ­geknechtetes Wesen, ein stummer Diener des Verblendungszusammenhangs. Er schleppt sich hilflos durchs großstädtische Dasein, das ihn unentwegt überfordert. Er stopft mittags das graue Zeug, das er immer isst, in seine Mundöffnung hinein und hockt abends mit erstorbenem Blick vor seinem TV-Dinner.

Nehmen wir nur einmal zur Veranschau­lichung des gewöhnlichen deutschen Elends eine ganz alltägliche Handlung eines ganz normalen, auf duldsames Funktionieren dressierten Konsumententrottels: die Gewohnheit, nach dem Einkauf brav und willfährig, unbewusst einer ihm im Laufe vieler sinnlos entschwundenen Jahre erfolgreich eingetrichterten Konditionierung folgend, seinen Einkaufswagen wieder in der hierfür vorgesehenen Ecke des Supermarkts zu parken. Ist schon jemandem die erbärmliche Würdelosigkeit einer solchen, jeden fühlenden Menschen beschämenden Geste aufgefallen? Wahrlich, ich sage euch: Ich sehe nicht die Spur von einem Geist/und alles ist Dressur (Goethe, Faust).

Sieht man einen solchen Einkaufswagenschieber an, ist es, als sehe man in die Augen eines Galeerensklaven. Leeren Blicks, blind gegen alles um ihn herum, vollzieht er verbissen und verblendet das ihm Aufgetragene, stapft willig ohne den geringsten inneren Widerstand einher und platziert ohne den Anflug eines eigenen Gedankens das Gefährt in dem dafür vorgesehenen Areal.

Der sich mit seinen Einkaufstüten mühselig dahinschleppende und gleichsam erloschene Tropf will seinen Euro wiederhaben, also trottet er, abgestumpft bis in die letzte Faser seines Körpers, abgerichtet wie ein Hund, der sein Herrchen auf den Futternapf schlagen hört, gleichmütig einher, und er denkt und fühlt nicht, aber irgendetwas in ihm komman­diert ihm: Dein Euro ist dein Euro, deine Berufung, dein Glaubensbekenntnis, dein Lebens­sinn.

Er hat ihn, ganz und gar Automat, zu dem er geworden ist, gedankenlos hineingesteckt in den Wagen, wie man es ihm antrainiert hat, er will ihn – genau so und nicht anders ist er es gewohnt – wieder zurückhaben und schiebt deshalb bereitwillig und bar jedes Gedankens das Gefährt dorthin, wo die Diktatoren des Supermarkts es haben wollen. Es sind ja schon gänzlich gebrochene Kreaturen, ja praktisch lebende Tote, Einkaufszombies, die so handeln. Man denkt unwillkürlich an Jewgeni Samjatin, Aldous Huxley, George Orwell, Reinhard Bütikofer.

Wäre es stattdessen nicht die natürlichste, vernünftigste, ja menschlichste, die am meisten vom Verstand geleitete Reaktion der Welt, einfach den vermaledeiten Einkaufs­wagen (was für ein unfassbar deprimierendes Wort!) zu nehmen und ihn mit einem riesigen Vorschlaghammer vor den staunenden Augen des in blaue Kittel gewandeten Personals mutwillig und inbrünstig ein für allemal zu zertrümmern, von einem aus unserem tiefsten Inneren hervorbrechenden, irren, hysterischen, schallenden Lachen begleitet, bis von der zu unserer lebenslangen Unterdrückung fabrizierten Einkaufsgerätschaft nichts mehr übrig ist als ein kleines, verformtes Stahlgestängeknäuel? Wäre das nicht die seit langem still ersehnte, dringend notwendige Katharsis? Wäre das nicht das seit einer Ewigkeit insgeheim sehnsüchtig erwünschte Ausleben einer verheimlichten Leidenschaft? Wäre nicht befreites Aufatmen die Folge, ja gar elementare Befreiung, totale Euphorie? Die alte, längst vergessene Regel käme einem in den Sinn: Macht kaputt, was euch kaputt macht!

Müsste es nicht in einer Gesellschaft, wie wir sie uns wünschen, so sein, dass der Einkaufswagen für den Menschen da ist und nicht der Mensch für den Einkaufswagen? Leben wir nicht in einer Einkaufswagendiktatur? Ist es nicht so?

thomas blum