Furcht vor den Würsten

Lange Zeit zeigten sich viele Bulgaren gegenüber dem EU-Beitritt sehr euphorisch. Nun ist es so weit, aber die Begeisterung hält sich in Grenzen. von jutta sommerbauer, sofia

Die bulgarischen Institutionen träumen schon davon, wie sie die europäischen Fonds abschöpfen werden«, schrieb Svetlana Georgieva, eine Kommentatorin der Tageszeitung Dnevnik, Ende November. »Dort hat man allerdings schon Erfahrung mit solchen wie uns, deshalb hat man ein Dutzend Kriterien ausgearbeitet, mit denen man uns nach dem 1. Januar beobachten wird.« Für viele Intellektuelle galt die Integration Bulgariens in die EU immer auch als Unterstützung im Kampf gegen die Korruption und als Hilfe bei Kritik an heimischen Politikern.

Die Boulevardmedien standen den Bulgaren hingegen bei ihren letzten Schritten in Richtung EU mit Rat und Tat zur Seite. »Bulgare, du trittst der EU bei.« Mit diesen Worten begann in den vergangenen Wochen die tägliche Belehrung auf der Titelseite der Trud, der zur Essener WAZ-Gruppe zählenden auflagenstärksten Zeitung Bulgariens. »Du sollst deine Herkunft und Sprache kennen, aber auch Fremdsprachen verstehen«, hieß es dann etwa unter der Überschrift weiter.

Die Kenntnis von Fremdsprachen ist unabdingbar für eine Karriere in den Institutionen und Programmen der EU. Auch Antonia Daskalova war sie bei ihrer Laufbahn behilflich. Die 27jährige studierte Deutsch und Englisch, absolvierte ein Europäistik-Studium in Wien und hat einen Masterabschluss im Fach Konferenzdolmetschen – alles Garanten, um im heutigen Bulgarien einen begehrten Job in der europäischen Bürokratie zu bekommen.

Seit fast zwei Jahren arbeitet sie nun schon als Assistentin der Leitung in verschiedenen Twinning-Projekten – mit Bezahlung auf europäischem Niveau. Ziel der Projekte ist es, die neuen EU-Mitglieder bei der Angleichung an das europäische Recht zu unterstützen und die dazu notwendigen Strukturen aufzubauen. »Ich habe eine Nische gefunden«, sagt Daskalova. Als Aushängeschild der jungen, erfolgreichen Generation fühlt sie sich dennoch nicht. Und EU-euphorisch sei sie auch nicht, unter anderem deshalb, weil ihre »Projekte« nur bedingt wirkmächtig seien. »Die EU wird nicht so große Auswirkungen auf das Leben unserer Generation haben. Vielleicht werden unsere Enkel die Verbesserungen spüren.«

Das ist eine durchaus typische Meinung im heutigen Bulgarien. Die frühere EU-Euphorie hat einer differenzierten Sichtweise Platz gemacht. Gerade bei Themen, die jeden betreffen, haben die Durchhalteparolen der Politiker keine Wirkung mehr. Das betrifft etwa die prognostizierte Preiserhöhung verschiedener Waren oder die Entscheidung der EU, auch in Zukunft den Import von Schweinefleisch und Milchprodukten aus dem südosteuropäischen Land nicht zuzulassen. »Europa fürchtet sich vor den einheimischen Wurstwaren«, titelte etwa die Tageszeitung Standart. So hat zwar die vergleichsweise beliebte bulgarische Politikerin Meglena Kuneva das Verbraucherschutz-Ressort der EU zugesprochen bekommen, doch der heimischen Wirtschaft nützt das erst einmal nichts. Auch die nur eingeschränkte Öffnung des europäischen Arbeitsmarkts registrierte die Bevölkerung mit bitteren Gefühlen.

Dass der wirtschaftspolitische Übergang länger als erwartet gedauert hat, daran hat man sich in Bulgarien anscheinend gewöhnt. Ihren Eltern beispielsweise, meint Daskalova, komme die EU nun nicht mehr zugute. Sie nennt sie die »verlorene Generation«. Es sind diejenigen, die in den Tagen nach dem Ende des Realsozialismus über kein Kapital verfügten, und daher kein eigenes Business gründen konnten. »Jetzt sind sie zu alt. Sie erwarten nichts mehr.«

Bulgarien wird wohl noch für einige Zeit das EU-Land mit den niedrigsten Einkommen bleiben. Der derzeitige Mindestlohn liegt bei 160 Leva – umgerechnet 80 Euro. Durchschnittlich erhalten Arbeitnehmer 180 Euro im Monat. Die offizielle Arbeitslosenquote ist in den vergangenen Jahren zwar gesunken – so betrug sie im Monat Oktober sogar nur knapp über acht Prozent. Doch in einem Land, in dem über 700 000 Personen in der so genannten Schattenwirtschaft beschäftigt sein sollen, gibt das nur bedingt Anlass zur Beruhigung.

»Es gibt keinen anderen Weg für Bulgarien«, sagt Antonia Daskalova über den EU-Beitritt ihres Landes. Nicht weil sie von den Segnungen der EU überzeugt ist, sondern weil es an Alternativen fehle. Zumindest mache sie professionelle Erfahrungen und lerne, ihre eigene Qualifikation zu schätzen. Eines steht für sie fest: Zu bulgarischen Löhnen wird sie jedenfalls nicht mehr arbeiten.