Die Warmmiete macht dich kalt

In den Metropolen wird Wohnen immer teurer. Dabei ist ein Dach über dem Kopf eines der elementarsten Menschenrechte. von jochen becker

Im Zug zurück aus Wroclaw saßen wir eingezwängt zwischen den Koffern auf dem Boden des Fahrradabteils. Als hätte man es nicht wissen können, dass zwischen den Jahren mehr Abteile gebraucht werden, schimpfte der polnische Künstler neben mir. Früher wäre hier ein schicker Speisewagen mitgerollt, es hätte viel Platz gegeben in Pullman-Waggons, und billiger reiste man nach Ost-Berlin sowieso. Man kommt unweigerlich auf schlechte Löhne im realen Kapitalismus und die kaum mehr bezahlbaren Mieten zu sprechen. Ja, ja, hört man sich sagen, und hat es doch schon tausende Male gehört.

Und dennoch: Dass Wohnraum einfach zur Verfügung stehen kann, fast umsonst, dass es in Berlins Mitte anhaltend besetzte Häuser auch vor dem Fall der Mauer gab, dass Wohnen zum Menschenrecht gehörte wie billige Grundnahrungsmittel, Ausbildung, Mobilität (in den Grenzen der gewährten Reisefreiheit) oder medizinische Versorgung, ist für einen sozialisierten Westler kaum zu glauben.

Meine Kreuzberger Kohleofenbude hat vor gut zehn Jahren auch halb so viel wie die gegenwärtige gekostet, und die jetzige ist nicht viel größer. Nun wird sie aus dem Sanierungsschutz genommen, wie uns die prekär beschäftigte Aushilfshausmeisterin im ersten Stock mitzuteilen hatte, und bald schon wird der Mietspiegel die aktuellen Mieterhöhungen diktieren. Die Familie eine Etage tiefer sammelt schon jetzt Flaschen und Altpapier: Ob sie hier wohl bleiben kann? Reicht es, dass wir unsere Pfandflaschen nicht mehr selbst zum Supermarkt tragen, sondern gleich vor ihrer Wohnungstür abstellen?

Die Zeichen großer Not der einen bei gleichzeitig steigendem Abstand zum Reichtum der anderen sind kaum mehr zu übersehen. Das sichtbarer gewordene und immer weniger verschämte Pfandflaschensammeln – so offen habe ich dies nur in den brutalen achtziger Jahren in New York gesehen – reiht sich ein in Handlungsweisen, die von Seiten der Regierung ihre kaltschnäuzige Kommentierung finden. So protokollierte die FAZ im März des vergangenen Jahres auf ihrer Titelseite die Aussage von Bundessozialminister Franz Müntefering, man habe sich auf eine verbreitete Altersarmut einzustellen: »Da kann man Verschiedenes versuchen: Balalaika spielen oder Lotto spielen, Riester-Rente oder betriebliche Versicherung machen, und dann muss man sehen, ob man auf die Art und Weise etwas zusammenbekommt.« Der so zum Musizieren in der U-Bahn »aktivierende Staat« spekuliert über ein Leben, das in den kollabierenden Teilen im Osten der EU inzwischen zum Alltag gehört.

Wohnungsnot ist Teil einer verbreiteten sozialen Krise. Und zugleich Ursache für Protest, wie der Aktivist Thomas Stahel in seinem Buch »Wo-Wo-Wonige!« (Paranoia-City-Verlag Zürich) anhand der stadt- und wohnpolitischen Bewegungen in Zürich seit 1968 detailliert nachzeichnet. Auch die gegenwärtigen Proteste von Paris bis Nizza haben sich lange aufgestaut und bringen nun überraschende Aktionsformen hervor, von Wohnraumbesichtigungspartys bis hin zum demonstrativen Dauercampen.

In Frankreich verfügt eine Million Menschen nicht über eine Wohnung; etwa 100 000 Menschen leben auf der Straße, die übrigen in Wohnwagen, Zelten oder Obdachlosenheimen. Heute schafft es nicht einmal mehr die absteigende Mittelschicht, die gestiegenen Mieten im Zentrum der Hauptstadt zu bezahlen, und sieht sich im Geiste schon in die stigmatisierten Banlieues ziehen. Vermutlich werden sie sich wohl in den Zug setzen und noch weiter draußen eine Vorortssiedlung beziehen.

Man sollte den Konflikt in Frankreich aber auch nicht überschätzen: Zum einen existieren dort kaum Aushandlungsmethoden wie in der Bundesrepublik, weshalb es in Frankreich recht übergangslos zu Streiks und Massenprotesten kommen muss. Zum anderen ist Wahlkampfzeit, und da locken ja immer Versprechen. So verkündet die Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal ihrer Klientel plötzlich den Bau von 120 000 Sozialwohnungen. Zudem soll es Strafsteuern für Hausbesitzer geben, die ihre Immobilien mehr als zwei Jahre leer stehen lassen, und die Möglichkeit für Kommunen, Wohnraum zu beschlagnahmen. Die Regierung wiederum annonciert, bis ins Jahr 2012 schrittweise ein einklagbares Recht auf eine Wohnung einzuführen. Obdachlose und Bürger ohne feste Unterkunft können dann die Behörden belangen, wenn diese ihnen keine Wohnung anbieten.

So weit ist es in der Bundesrepublik nicht. Geschosswohnungen für Mieter zu bauen, scheint inzwischen nicht mehr attraktiv: Sind nach Angaben des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen 1995 noch 300 000 Mietwohnungen entstanden, so liegt die Quote heute nur noch bei etwa 60 000 im Jahr. Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, und die stagnierende Kaufkraft habe die Nachfrage nach Wohnraum gebremst, heißt es. Zugleich ist der staatlich geförderte Mietwohnungsbau nahezu eingestellt worden. Selbst der private Wohnungsbau lässt angesichts der Streichung staatlicher Bausubventionen nach. Im Ergebnis bedeutet dies, dass sich die Bundesbürger entweder ihr privates Wohnungsglück im Einfamilienhaus erkaufen, sich um die rarer werdenden Mietwohnungen balgen oder gar nicht erst umziehen.

Das Grundgut Wohnung ist hierbei Spiegelbild der gesellschaftlichen Spaltung in rettende Privatsicherungssysteme und drohende Not zwischen Armut und Abhängigkeit. Zugleich zeigt sich hieran eine regionale Spaltung in prosperierende Ballungsgebiete und abgehängte Randregionen mit hohen Leerständen. Statistisch gesehen sind zumindest die Netto-Kaltmieten gar nicht einmal gestiegen: Laut dem Institut für Städtebau haben sich diese schon seit langem um kaum mehr als ein Prozent im Jahr erhöht. Allerdings sind die Nebenkosten alleine im letzten Jahr um 7,2 Prozent gestiegen und damit viermal so hoch wie die Inflationsrate von 1,6 Prozent: Heizöl hat sich seit dem Jahr 2001 um 53,6 Prozent verteuert, Erdgas um 30,2 Prozent, Strom um 23,6 Prozent; hinzu kommt eine Kostensteigerung für Müllabfuhr um 10,5 Prozent, für Abwasserentsorgung um 8,6 Prozent, für Wasserversorgung um 8,5 Prozent. Der Deutsche Mieterbund geht deshalb in seinem Betriebskostenspiegel von durchschnittlich 2,74 Euro je Quadratmeter Wohnfläche als zweiter Miete aus, die es zur eigentlichen Miete aufzuschlagen gelte.

Die angeblich unterbewerteten Mietobjekte haben zahlreiche internationale Investmentfirmen auf den Plan gerufen. Spektakuläres Beispiel war der Totalverkauf kommunaler Wohnungen in Dresden, wodurch die Stadt auf der Stelle ihre Schulden los wurde. Doch bezahlbare Mieten oder eine öffentliche Steuerung des Wohnungsmarkts sind damit nicht mehr möglich.

Die Zukunft wird zeigen, wie sich die als »Heuschrecken« bezeichneten Unternehmen verhalten werden. Doch während US-Finanzinvestoren hierzulande städtische Wohnungen im großen Stil übernehmen, erwerben US-amerikanische Städte ganze Straßenzüge von privaten Wohnungsbaugesellschaften zurück. So hat die Kommunalverwaltung von San Diego gemeinsam mit privaten Geldgebern 38 Millionen Dollar in einen Häuserblock gesteckt. Hier will die Gemeinde Menschen mit niedrigen Einkommen günstige Mietwohnungen anbieten. Patrick Hunter, der Bürgermeister der kalifornischen Gemeinde Moorpark, schließt angesichts der Wohnungsnot sogar Beschlagnahmungen nicht aus: So erwägt die Stadt, die Eigentümer kurzerhand zu enteignen, die Gebäude zu sanieren und günstige Mietapartments anzubieten.