Energisch kontrollieren

Für die »Energiesicherheit« will die Bundesregierung den Einfluss auf die Lieferstrukturen im Ausland vergrößern. Mit Hilfe des BND. von jörg kronauer

Es fließt wieder, das Öl. Nach drei drama­tischen Tagen des Stillstands hat der russische Pipeline-Betreiber Transneft den Hahn am vergangenen Donnerstag wieder aufgedreht. Seitdem strömt der Rohstoff wie zuvor aus Orenburg am west­lichen Rand des Ural bis nach Schwedt und Leuna, wo er verarbeitet und schließlich verteilt wird. Mehrere Tage hat es gedauert, bis die beiden ostdeutschen Raffinerien wieder auf normalem Niveau arbeiten konnten. Leuna beliefert rund 1 300 Tankstellen in drei Bundes­ländern, Schwedt deckt 95 Prozent des Berliner Bedarfs.

Helle Aufregung hatte drei Tage lang in der Bundesrepublik geherrscht. Russland und Bela­rus stritten sich heftig, und plötzlich fehlte in Deutschland Öl. Rund ein Fünftel der gesamten deutschen Importe wird über die Pipeline »Druschba« eingeführt. Heftig wurde über die Energieversorgung der Republik debattiert. Muss das Benzin rationiert werden, gehen bald Heizung und Lichter aus? Wie lässt sich sicherstellen, dass die U-Bahn nicht stehen bleibt und der Monitor nicht erlischt? Wo bekommt man zuverlässig die Rohstoffe her, ohne die in modernen Gesellschaften gar nichts mehr funk­tioniert?

Genau dies ist die Debatte, die die Bundes­regierung seit fast einem Jahr zu entfachen sucht. Energieressourcen sind auf unabsehbare Zeit unersetzlich, für die Stromerzeugung, für die Wärmeversorgung und auch für den Verkehr. Ein Großteil der Energieträger muss importiert werden, Erdöl zu 97 Prozent, Erdgas zu 83 Prozent, Steinkohle zu rund drei Fünfteln und Uran sogar vollständig. Allein über Braunkohle und erneuerbare Energien verfügt Deutschland in größerem Umfang selbst.

Das reicht aber für die Energieversorgung bei weitem nicht aus. Nur elf Prozent des Primärenergieverbrauchs entfallen auf Braunkohle, erneuerbare Energien haben einen Anteil von nicht einmal fünf Prozent. Alles in allem lässt sich zurzeit vielleicht ein Fünftel des Bedarfs aus heimischen Quellen decken, während drei Fünftel des Bedarfs allein mit Erdöl- und Erdgasimporten bestritten werden müssen.

Mit dem Fünftel, das nicht importiert werden muss, wird zu einem großen Teil Strom erzeugt. Bei den Energieträgern, die im Jahr 2005 zur Herstellung von Elektrizität verbraucht wurden, entfielen immerhin 26 Prozent auf Braunkohle und elf Prozent auf erneuerbare Energien. Ganz anders sieht es bei der Wärmeerzeugung aus, die zur Hälfte mit Gas und zu einem Viertel mit Öl bestritten wird, also in hohem Maße auf Importe angewiesen ist. Das wiegt schwer, da ein großer Anteil des Energieverbrauchs im All­tag auf Wärme entfällt, in den privaten Haushalten sind es mehr als 90 Prozent, in Gewerbe und Industrie über 70 Prozent. Die Energie für den Verkehr, für individuelle Mobilität und Transport wird sogar »fast ausschließlich durch Mineralölprodukte gedeckt«, wie die Bundesregierung wenig überraschend bekannt gab. Man liest das in ihrem »Statusbericht«, einer Bestandsaufnahme der deutschen Energieversorgung, die im vergangenen Frühjahr veröffentlicht wurde.

Die Abhängigkeit Deutschlands von importierten Energieressourcen ist hoch, und sie wird trotz umfangreicher Bemühungen der Bundesregierung kaum nennenswert sinken. »Der Anteil an erneuerbaren Energien in der Stromversorgung soll bis zum Jahr 2010 auf mindestens 12,5 Prozent und bis 2020 auf mindestens 20 Prozent steigen«, teilte die Bundesregierung optimistisch mit, als das Unternehmen Transneft die Pipeline »Druschba« vorübergehend stilllegte und die Sorgen in Deutschland wuchsen. Doch selbst das würde den Anteil der heimischen Ressourcen am gesamten Ener­gieverbrauch gerade mal auf ein Viertel steigern und wäre immer noch weniger, als jährlich aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ge­liefert wird. Von dort kommen 41 Pro­zent des deutschen Erdöls – die Hälfte davon durch »Druschba« –, 37 Prozent des Erdgases, 19 Prozent des Urans und acht Prozent der Kohle.

Die GUS ist der größte Energieliefe­rant Deutschlands, und Russland wiederum der größte der GUS. Alterna­tiven gibt es kaum, da die Erdöl- und Erdgasressourcen Europas zur Neige gehen und durch neue Importe ersetzt werden müssen. »Die Öl- und Gasvorräte sind regional stark auf den Nahen Osten, Osteuropa und Afrika konzentriert«, heißt es im »Statusbericht« der Bundesregierung. »Die Abhängigkeit der Öl- und Gasversorgung von politisch und ökonomisch instabilen Förderregionen« steige. Russland gehört unter den Staaten mit Energieressourcen noch zu denjenigen, die am wenigsten von Krieg oder Bürgerkrieg bedroht sind. Daher sind sich Regierungsberater und Privatunternehmen der Ener­gie­branche weitgehend einig über die wachsen­de Bedeutung des Landes für die deutsche Energieversorgung.

Welche Konsequenzen sind dann aber aus der Sperrung der »Druschba« zu ziehen? »Diversifikation« folgern die einen. Andere Staaten müssten als Förderländer erschlossen werden, um die Abhängigkeit von den Hauptlieferanten zu verringern. Die deutsche Gasbranche intensiviert seit geraumer Zeit ihre Aktivitäten in Nordafrika und hat bereits vor Jahren ihre Fühler in den Iran ausgestreckt. Selbst Turkmenistan galt schon zu Zeiten des Despoten Saparmurad Nijasow wegen seiner Gasvorkommen als durchaus interessant. Sogar die Arktis haben deutsche Energiekonzerne inzwischen im Blick.

Die andere Folgerung tat in der vergange­nen Woche der Chef der deutschen Auslands­spionage kund. Die Unterbrechung der Ölversorgung aus Russland belege »die große Bedeutung des Themas Energiesicherheit für Deutschland und auch die Sicherheitsbehörden«, ließ sich der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Ernst Uhrlau, zitieren. Der BND ist jedenfalls intensiv mit dem Thema befasst. Im Oktober erst hatte Kanzleramtsleiter Thomas de Maizière, zugleich Regierungsbeauftragter für die Nachrichtendienste, erklärt, die Auslandsspionage müsse sich aufmerksam der deutschen Energieversorgung widmen, vor allem der »Beobachtung und Analyse der so genannten Chokepoints«. Das sind Meer­engen, die von Öltankern durch­fahren werden, etwa der Eingang zum Persischen Golf. Aber auch die »Öl­infra­struk­tur zu Lande« biete »umfangreiche Betätigungsfelder für Prävention und Aufklärung« durch den BND, hob de Maizière damals hervor.

Die mehrtägige Sperrung der Land-Pipeline aus Orenburg bestätigt diese Einschätzung. Und sie bewirkt noch mehr: Die Debatte über die Lieferunter­brechung stärkt die deutsche Außenpo­litik, die die globalen Rahmenbedingun­gen für die deutsche Energieversorgung schaffen muss. Denn die Furcht davor, in einer dunklen, kalten Wohnung auf einen schwarzen Bildschirm starren zu müssen, weil man von den Energievorräten abgeschnitten ist, verschafft den politischen Eliten die notwendige Legitimation bei ihrem Versuch, die globalen Lieferstrukturen zu kontrollieren.

Die Bertelsmann-Stiftung, der wohl einflussreichste deutsche Thinktank, sieht das schon lange so. Drei Themen schlug die Stiftung im vergangenen Jahr vor, die man ins Zentrum stellen müsse, wenn man die Bevölkerung zur loyalen Unterstützung der Regierung veranlassen wolle. »Terror« und »Migration« waren die Stichworte Nummer zwei und Nummer drei. Die Nummer eins lautete schlicht und einfach »Energie«.