Finsternis im Reservat

Wahlen in Serbien

Eigentlich gehört es zu den diplomatischen Gepflogenheiten, dass sich Botschafter in ihren Gastländern nicht allzu freimütig in die Tagespolitik einmischen. In Serbien ist das allerdings anders. Hier geben die Repräsentanten der mächtigen EU-Länder und der USA offene Wahlempfehlungen ab. So sagte der deutsche Botschafter, Andreas Cobel, ein Wahlsieg der »demokratischen Kräfte« er­öffne Serbien »Perspektiven«. Kämen aber die »Kräfte der Vergangenheit« wieder an die Macht, drohe die »Finsternis«. Womit er vor allem auf die Sozialistische Partei und die Serbische Radikale Partei anspielt, die in den Umfragen vorne liegt. Seine Aussage darf durchaus auch als eine Drohung verstanden werden.

Für die EU steht einiges auf dem Spiel, wenn am kommenden Sonntag in Serbien die Parlamentswahlen stattfinden. Die künftigen Machtverhältnisse in Serbien entscheiden maßgeblich über das Tempo und die Kosten der EU-Erweiterung auf dem Balkan. Nach dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien sollen nach Vorstellungen der Union in den nächsten Jahren die restlichen südosteuropäischen Länder folgen. Aber es sind vor allem auch kurzfristige Stabilitätsinteressen, die den Druck auf die Serben erklären. Denn nur mit einer kooperativen Regierung in Belgrad wird die EU in den kommenden Monaten in der Lage sein, das gefährliche Kosovo-Problem einigermaßen friedlich zu lösen.

In Serbien wird die Bedeutung der Wahlen dabei von den meisten Bürgern als wesentlich geringer eingestuft. Weit verbreitet ist die Unzufriedenheit mit allen Parteien. Sechs Jahre nach dem Sturz Slobodan Milosevics haben die Kräfte des »demokratischen Blocks« jeden Glanz verloren. Zwar ist es den aufeinander folgenden Premierministern Zoran Djindjic (Demokratische Opposition Serbiens) und Vojislav Kostunica (Demokratische Partei Serbiens) gelungen, der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Entwicklung einige Impulse zu geben. Aber das war nach Jahren des Embargos und der Kriege auch keine große Kunst und wurde zudem vor allem durch den schnellen Verkauf von Staatsbetrieben finanziert. Die allgegenwärtige Korruption, der schamlose Machtmissbrauch durch Beamte und Politiker und die Mafiotisierung der Gesellschaft grassieren dagegen genauso weiter wie Armut und Arbeitslosigkeit.

Aber auch die »Kräfte der Vergangenheit« vermögen keine Begeisterung auszulösen. Die Funktionäre der Sozialistischen Partei des im vergangenen Jahr in Den Haag verstorbenen Milosevic können froh sein, wenn sie wieder ins Parlament einziehen. Die Nationalisten der Serbischen Radikalen Partei dagegen werden zwar voraussichtlich ihr gutes Ergebnis von 2003 wiederholen. Dynamik kann aber auch ihre Kampagne nicht entfalten. Außer unglaubwürdigen populistischen Versprechen, wie etwa dem, die Brotpreise zu senken, und aufgeblasenen Phrasen von »Großserbien« haben sie nichts zu bieten. In der emotionalisierenden Kosovofrage werden die Radikalen überdies in der Zwischenzeit von Premierminister Kostunica und seinem Nationalismus übertroffen.

Welcher Partei die Serben am Sonntag auch immer ihre Stimme geben, es wird für die meisten die Wahl des kleineren Übels sein. Einige Bürger zeigen ihren Verdruss auch auf andere Weise. In der Kleinstadt Aleksinac wurde kürzlich die »erste Vereinigung der Indianer in Serbien« gegründet. »Häuptling« Pavlovic erklärt zur Begründung: »Ich fühle mich wie ein Indianer. Serbien ist wie ein Reservat. Ohne Visa können wir nirgends hinfahren und die Staatsorgane verletzen die Bürgerrechte.«

boris kanzleiter