Private Amtshilfe
322 Käufer von Kinderpornographie spürte die Staatsanwaltschaft von Sachsen-Anhalt mit der Operation »Mikado« auf. »Kinderpornoring zerschlagen«, jubelte sie. Wer kann angesichts eines solchen Erfolgs noch etwas zu meckern haben? Die notorischen Datenschützer natürlich, denn bei der Ermittlung wurden die Transaktionen aller rund 20 Millionen in Deutschland lebenden Besitzer von Kreditkarten der Marken Visa und Mastercard überprüft.
Dem Oberstaatsanwalt Peter Vogt zufolge konnte man keineswegs von einer Rasterfahndung sprechen, weil nicht die Polizei die Daten durchforstete. Stattdessen hatte die Staatsanwaltschaft Halle die 14 Firmen, die in Deutschland Kreditkarten von Visa und Mastercard ausstellen, um Mithilfe gebeten. Dafür benötigte sie, anders als bei einer polizeilichen Rasterfahndung, auch keinen richterlichen Beschluss. Die Kreditkartenfirmen suchten alle Überweisungen des Betrags von 79,99 Dollar auf ein Konto auf den Philippinen heraus und gaben die Namen der Kartenbesitzer an die Staatsanwaltschaft weiter.
Von einer neuen Dimension staatlicher Überwachung kann bei der Operation »Mikado« also trotz der Überprüfung privater Daten in bisher unbekanntem Ausmaß nicht die Rede sein, denn keine Behörde hatte Zugriff auf die Informationen.
Vielmehr zeigte die Operation die Privatisierung der Überwachung. Von den bei Unternehmen gespeicherten Daten, insbesondere ihrem Detailreichtum, können die Ermittlungsbehörden nur träumen – trotz der Karteien für potenzielle Gewalttäter und der Sammlungen von Speichelproben der Bewohner ganzer Landstriche. Könnten staatliche Stellen alle bargeldlosen Einkäufe überwachen, würde sich möglicherweise doch noch Unbehagen in der Öffentlichkeit regen.
Das private Überwachungsgeschäft reguliert der Markt. Der Handel mit persönlichen Daten und Informationen über Kaufgewohnheiten ist profitabel, deshalb investiert die Privatwirtschaft in die Erschließung dieses Materials viel größere Summen, als öffentliche Institutionen aufbringen können. Zugleich sehen Privatunternehmen sich weniger Misstrauen und einschränkenden Datenschutzbestimmungen ausgesetzt als Polizei und Geheimdienste.
Bei der berechtigten Angst vor staatlicher Sammelwut übersehen Kritiker häufig, dass Firmen bereits viele intime Details von Konsumenten vorliegen, die unter Umständen auch den Ermittlungsbehörden nicht vorenthalten bleiben. Auf das Auskunftsverweigerungsrecht können sich Unternehmen nur in Ausnahmefällen berufen, etwa wenn das Bank- oder das Fernmeldegeheimnis betroffen ist.
Doch die meisten Firmen kooperieren ohnehin freiwillig. Das Unternehmen Mastercard hat beispielsweise bekannt gegeben, dass es gemäß seines Kodex nicht nur den Kampf gegen Kinderpornographie, sondern auch gegen illegalen Handel mit Medikamenten oder gefälschten Waren unterstützen will. Andere Firmen wie die Deutsche Telekom haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie schon bei geringfügigen Vorwürfen klaglos Kundendaten an die Polizei weitergeben.
Die Ermittlungsbehörden geraten so in eine bequeme Situation: Sie verletzen weder Datenschutzgesetze noch brauchen sie richterliche Beschlüsse, um Zugriff auf umfangreiche Personendatenbanken zu erhalten. Ob das Outsourcing der Rasterfahndung bei der Operation »Mikado« legal war, muss allerdings noch geklärt werden: Dem Amtsgericht Halle liegen mehrere Anträge auf juristische Überprüfung vor.