Pulverdampf in den bleiernen Bergen

Das Regime in Tunesien möchte islamistische Aktivitäten herunterspielen. Doch auch dort treiben Jihadisten ihr Unwesen. von bernhard schmid, paris

Erst war von Drogenhändlern die Rede, dann von einer kriminellen Bande. Nun wartet die tunesische Presse mit einer dritten Version auf. Eine »salafistische Gruppe« habe sich in den vergangenen drei Wochen mit der tunesischen Staatsmacht Schießereien geliefert, berichtete die dem Regime nahe stehende Tageszeitung Eschourouk am Donnerstag der vergangenen Woche. Ähnlich sieht mittlerweile auch die Darstellung in der Wochenzeitung Réalités aus.

Die dritte Version dürfte die richtige sein. Bei den Salafisten handelt es sich um eine der radikalsten Strömungen des politischen Islam, die die bestehenden Nationalstaaten nicht anerkennt und oftmals transnational agiert. Ihre Anhänger sind innerhalb der islamistischen Bewegung eine kleine, aber sehr aktive Minderheit. In ihren Augen gibt es einen weltweiten Krieg zwischen den Anhängern des Islam und den »Kräften des Bösen«. Einzelne Staaten sind Schauplätze dieses globalen Jihad, anders als um eine Massenbasis bemühte islamistische Organisationen interessieren die Salafisten sich jedoch nicht für die gesellschaft­lichen Verhältnisse in ihren Operationsgebieten.

Dass militante Islamisten im Land aktiv sind, widerspricht dem vom Regime propagierten Bild Tunesiens als eines beschaulichen und friedlichen Landes. Vor allem die Sorge, der Tourismus, der neben der Landwirtschaft der größte Wirtschaftszweig ist, könne geschädigt werden, bewegt die Behörden dazu, islamistische Aktivitäten zu leugnen. Als im April 2002 ein islamistischer Selbstmordattentäter einen mit Gas gefüllten Lkw vor der Synagoge auf der Ferieninsel Djerba zur Explosion brachte und 21 Menschen tötete, unter ihnen 14 deutsche Urlauber, leugnete die tunesische Staatsmacht zunächst ebenfalls die politische Dimension. Das transnationale Netzwerk al-Qaida bekannte sich zu dem Anschlag.

Die tunesische Presse, die unter der strengen Kontrolle des Regimes steht, berichtete Ende Dezember erstmals von einer Schießerei zwischen der Polizei und »Drogenhändlern«. Es handele sich um Mitglieder einer »kriminellen Bande«, und diese »gefährlichen Kriminellen« seien nun von den Sicherheitskräften gestellt und aufgerieben worden, hieß es dann Anfang Januar. Die internationale Presse vermutete jedoch längst, dass die Polizei gegen bewaffnete Islamisten kämpfte. Nach offiziellen Angaben starben zwölf Menschen, 15 Personen wurden verhaftet. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte zunächst von 25 Toten gesprochen.

Aus den »Kriminellen« sind nun, auch quasioffiziell, militante Islamisten geworden. Den Presseberichten zufolge handelt es sich um eine etwa 30köpfige Gruppe von Männern, die überwiegend zwischen 18 und 25 Jahre alt sind. Ihr Anführer, Lassad Sassi, war ein 35jähriger ehemaliger Offizier der tunesischen Gendarmerie. Er ist mittlerweile tot. Nach dem Ausscheiden aus dem Polizeidienst vor zehn Jahren soll er sich in Afghanistan und eventuell auch in Tschetschenien aufgehalten haben. Sein Adjutant, der 22jährige Rabia Bacha, soll sich in Camps der algerischen Salafistengruppe GSPC aufgehalten haben.

Die meisten Mitglieder der Gruppe waren Tunesier. Sie verfügten über einen Rückzugsraum im Jebal Resas (Bleiernes Gebirge), einem bewaldeten Gebiet etwa 30 Kilometer südlich von Tunis. Dort waren sie einem Bäcker aufgefallen, der es verdächtig fand, dass ein junger Mann täglich rund 40 Brote bei ihm kaufte; der Mann benachrichtigte die Polizei. In dem Versteck wurden Schusswaffen und Spreng­stoff beschlagnahmt. Die Gruppe soll Anschläge auf US-amerikanische und britische Einrichtungen und die französische Supermarktkette Carrefour geplant haben.

»Aus Algerien eingesickert« sei die Gruppe, schreibt nun Eschourouk. Das ist insofern plausibel, als Salafisten in Algerien weiterhin ihr Unwesen treiben. Unter den algerischen Islamisten gab es in den neunziger Jahren heftige Auseinandersetzungen zwischen den kleinen, aber sehr militanten salafistischen Gruppen und der Mehrheitsströmung des »Jazairismus«, abgeleitet vom arabischen Landesnamen »al-Jazair«. Die letztgenannten versuchten, den algerischen Nationalismus und den politischen Islam miteinander zu verquicken, und schafften es damit, zur Massenpartei zu werden. In der Islamischen Rettungsfront (FIS) waren beide Strömungen vertreten, dort und in den autonomen bewaffneten Gruppen lieferten sie sich heftige ideologische Kämpfe.

Nach der Niederlage der algerischen Islamisten blieb von den bewaffneten Gruppen allein die GSPC (Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf), die sich offenbar auch der Betreuung und Rekrutierung militanter Islamisten in den Nachbarstaaten Marokko und Tunesien widmet. Die GSPC steht in Verbindung mit al-Qaida und erhält möglicherweise auch finanzielle Unterstützung. Jahrelang hatten die algerischen Salafisten sich um eine Anerkennung durch die Führungsgruppe der al-Qaida bemüht. In seiner Videobotschaft zum 11. September 2006 hat Ayman al-Zawahiri, der Chefideologe von al-Qaida, die GSPC in Nordafrika erstmals ausdrücklich erwähnt und dazu ermuntert, gegen französische und US-amerikanische Interessen aktiv zu werden.

Während in Algerien ein Großteil der Bevölkerung der militanten Islamisten und ihrer reaktionären Utopien müde geworden ist, könnten sie in Tunesien bessere Aussichten auf die Rekrutierung neuer Kämpfer haben. Das Land, das neben Ägypten der am besten funktionierende Polizeistaat in Nordafrika ist, lässt keinerlei offene Diskussion und freie politische Meinungsbildung zu.

Die Repression wurde in den neunziger Jahren meist mit der »islamistischen Gefahr« gerechtfertigt, mit dem Hinweis auf die Partei al-Nahda (Wiedergeburt), die relativ moderat auftrat und eher der derzeitigen türkischen Regierungspartei AKP ähnelte. Viele ihrer Mitglieder wurden inhaftiert, oft auch gefoltert. Das verschaffte den Islamisten in Teilen der Bevölkerung den Status von Märtyrern.

Islamistische Ideen können in einer Atmosphäre der Unfreiheit, in der die Moschee der einzige nicht kontrollierte Versammlungsort ist, besser gedeihen als die einer linken oder demokratischen Opposition. Die islamistische Ideologie bedarf keiner Erörterung, ihre Anhänger können an die »muslimische Identität« appellieren und dieses identitäre Gefühl radikalisieren. Derzeit verbreitet sich die Ansicht, diese muslimische Identität werde unterdrückt, offenbar besonders stark. Als im vorigen Jahr festgestellt wurde, dass die Zahl von Kopftuchträgerinnen stark zugenommen hatte, reagierte das Regime mit Verbotsmaßnahmen und Repressalien.