Rosen züchten

Warum es angenehm, wenn auch verwirrend ist, keinen Beruf zu haben. von stefan ripplinger

Nach 25 Jahren bin ich meinen Mitschülern wieder begegnet. Alle haben sie ordentliche Berufe ergriffen und wurden Professorin, Anwalt, Psychologin, Chi­rurg. Natürlich fragte mich der eine oder andere, was ich so treibe. Das zu erklären, fällt mir aber nicht leicht.

Hätte ich zur Antwort geben sollen, dass ich Artikel wie diesen schreibe? Dann hätte der Chirurg, als ich ihn nach seinem Beruf fragte, ebenso gut antworten können, er züchte Rosen oder sammle Yachten. Rosenzucht und Yachtkauf können anstrengende Tätigkeiten sein und gelegentlich ist dabei sogar etwas Geld einzunehmen. Aber unter dem Strich kostet es mehr, als es einbringt. Es sollte deshalb schon Spaß machen. So geht es mir mit Glossen wie dieser: Ich kann mit den Honoraren, die ich mit ihnen verdiene, nicht einmal die Zigarren bezahlen, die ich rauche, während ich sie schreibe.

Also verfiel ich darauf, aus der bizarren und beschämenden Welt des Gelderwerbs zu berichten. Hier ein Job, da ein Job, jeder kennt das. Ich kam nicht sehr weit mit meinem Bericht, denn ich bemerkte sofort, wie sich das Gesicht des Chirurgen in die Länge zog. Mitleid oder Verachtung oder eine Mischung aus beidem glaubte ich darin zu erkennen, aber vielleicht nur, weil ich mich in diesem Moment selbst bemitleidete und verachtete. So verschleuderst du also dein Talent! Indem du hier einen Job machst und da einen Job machst, dir von diesem oder jenem Deppen sagen lassen musst, was du zu tun hast.

Diese Art des Erwerbs ist, streng betrachtet, mehr als Ausbeutung, es ist eine Prostitution. Man verkauft nicht nur seine Kraft, man verkauft sich selbst. Aber jeder prostituiert sich, der heute sein Geld verdient, sogar der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank. Denn nicht im rechten Moment unverschämt zu grinsen, kann ihn Millionen kosten. Also grinst er halt.

Vorgestern sah ich ein Interview mit John Ford. Er erzählte, wie Filme gemacht werden. Irgendein unterbelichteter Produzent kommt mit dem Drehbuch eines unterbelichteten Schreibers angeschlappt, und daraus entsteht dann ein unterbelichteter Film. Er, Ford, habe zu allem Ja und Amen gesagt, aber immer die leichte Art geschätzt, sein Geld zu verdienen. »Unterbelichtet« sagte er natürlich nicht, sondern »horrible«. Manchmal muss es auch besser gelaufen sein, behaupte ich, jedenfalls bei ihm.

Nichts als Hochstapelei erscheint es mir hingegen zu sein, etwas als seinen Beruf auszugeben, womit man schlicht kein Geld verdient. Jeder Grützkopf darf sich einen Journalisten nennen. Aber ist man schon ein Journalist, wenn das Artikelschreiben gerade mal ein Zehntel des Budgets einspielt? Man kennt das von manchen Künstlern und Berufsrevolutionären. Ein Bekannter, der gelegentlich als Bluesgitarrist dilettierte, wurde wegen irgendeiner Kleinigkeit von der Polizei geschnappt. Als sie ihn abführten, schrie er: »Lassen Sie mich sofort los! Ich bin Künstler! Ich bin Künstler!« Zum Glück hat die Streife das nicht so ernst genommen.

So zerfällt mein Arbeitsleben in Prostitution und Hochstapelei. Neuerdings schlagen einige Berliner Bohemiens vor, das eine mit dem andern, die Prostitution mit der Hochstapelei zu verbinden. Daraus soll dann eine neue, coole, fast möchte ich sagen kreative Art des Erwerbslebens patchworkartig zusammengestückelt werden. Mache Geld mit deinen Liebhabereien! Entwickle Geschäftsideen in der Szene-Bar! Ohne Rentenversicherung zwar, aber mit viel Spaß. Ich halte nichts davon.

Denn die nicht hoch genug zu schätzende, wenn auch verwirrende Freiheit, einmal für gutes Geld und das andere Mal für nichts zu arbeiten, ginge verloren. Dann müsste der Chirurg seinen Beruf aufgeben und mit ein paar Kumpels eine phantasievolle Marketing­idee ins Netz stellen. »Willst du deiner Liebsten ein besonderes Geschenk machen? Schenk ihr eine Rose, die speziell für sie gezüchtet worden ist.« Irgendsoetwas würde dabei herauskommen, aber vermutlich bin ich noch nicht phantasievoll genug. Was bislang verschenkt wurde, gilt es nun so oft und so teuer wie möglich zu verkaufen. Noch die demütigendste Maloche wird so lange rekontextualisiert, bis sie irgendeinen value-added surplus abwirft. Alles, was einem lieb war, müsste etwas wert und alles, was etwas wert ist, müsste einem lieb werden. So ungefähr stelle ich mir die Hölle vor.