Von Putin lernen heißt kassieren lernen

Weil sich Loyalität mit Subventionen nicht erkaufen lässt, erhöht Russland die Preise für Energielieferungen an die ehemaligen Sowjetrepubliken. von ute weinmann, moskau

Ein Symbol der Freundschaft zwischen sozialistischen Bruderstaaten sollte die Pipeline sein, und so wurde sie nach dem russischen Wort für Freundschaft »Druschba« genannt. Da Kontrolle letztlich doch besser ist als Vertrauen, wurden bereits in den siebziger Jahren beim Bau der Trasse, die Russland über Belarus mit dem westlichen Europa verbindet, die Verpflichtungen der beteiligten Staaten vertraglich geregelt.

Die Pipeline ist derzeit mit einem Transportvolumen von 90 Millionen Tonnen jährlich einer der wichtigsten Wege für den russischen Ölexport. In der postsozialistischen Zeit verkaufte Russland Öl und Erdgas an die Staaten der GUS zunächst zu Freundschaftspreisen. Das aber will Präsident Wladimir Putin Schritt für Schritt ändern. Im Dezember vergangenen Jahres war Belarus an der Reihe, dessen Regierung die Preiserhöhung als unfreundlichen Akt betrachtete und den Ölfluss in der zweiten Januarwoche zum Stillstand brachte.

Nach erbitterten Verhandlungen über Gaslieferungen aus Russland hatte die belarussische Verhandlungsdelegation zuvor widerwillig einer Preiserhöhung von 47 auf 100 Dollar pro 1000 Kubikmeter zugestimmt. Dieser Preis liegt noch immer unter dem im Handel zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken üblichen Niveau. Belarus führte nun seinerseits kurzerhand einen Transitzoll von 45 Dollar pro Tonne Öl ein, den das staatliche russische Unternehmen Transneft zu zahlen jedoch nicht bereit war. Russland wiederum erhob eine Zollgebühr von 180 Dollar pro Tonne Rohöl. Nach Verhandlungen reduzierte es Ende vergangener Woche die Gebühr auf 53 Dollar für das Jahr 2007. Darüber hinaus sollte Belarus früher aus der Druschba-Pipeline eigenmächtig abgeleitetes Öl wieder einspeisen. Dem russischen Druck war die belarussische Regierung nicht gewachsen, sie ließ das Öl nach einigen Tagen wieder in den Westen fließen.

Die Konfrontation mit dem rohstoffarmen Belarus, dem bis dato zuverlässigsten Partner Russlands unter den Staaten der GUS, war abzusehen. Putin unterzeichnete im Mai 2006 einen Erlass, demzufolge Maßnahmen einzuleiten seien, um die faktische Subsidierung der belarussischen Wirtschaft zu beenden. Eine von der Tageszeitung Kommersant damals zitierte ungenannte Person im Kreml fasste die neue Politik zusammen: Belarus solle in Zukunft russische Energieträger zum Vorzugspreis nur unter der Bedingung eines vollständigen staatlichen Beitritts erhalten.

Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko wollte sich jedoch nicht erpressen lassen und betonte während des sich verschärfenden Konflikts, dass »die Souveränität und Unabhängigkeit für Gas und Öl nicht zum Verkauf« stünden.

Wachsende ökonomische Probleme hatte Belarus bereits vor der Preiserhöhung. Nach Angaben des Ministeriums für Statistik und Analyse sanken sowohl die Produktion als auch der Konsum, Investitionen gingen zurück und die offizielle Arbeitslosigkeit stieg an. Ab Februar werden in Russland zudem Einfuhrzölle auf belarussische Fleisch- und Milchprodukte und Konsumgüter erhoben.

Der ehemalige stellvertretende Fraktionsvorsitzende des Blocks Rodina in der Duma, der Wirtschaftswissenschaftler Sergej Glazjew, warnte Ende voriger Woche davor, dass die Erhöhung der Gaspreise für Belarus zum Bankrott der gesamten Industrie führen könnte. Davon wäre auch Russland betroffen, Glazjew erinnerte daran, dass ein Großteil der belarussischen Industrieerzeugnisse mit bis zu 80 Prozent russischem Zubehör vervollständigt werde. Für jeden Rubel, der in Belarus wegen eines Bankrotts verloren geht, würde nach seiner Rechnung Russland 80 Kopeken verlieren.

Unter Putin definiert Russland seine nationalen Interessen im Energiesektor vor allem ökonomisch. Mitte der neunziger Jahre galt die Ölindustrie noch als Objekt einer lukrativen Privatisierung, seit dem Jahr 2003 hingegen nimmt der staatliche Einfluss nach und nach wieder zu. Ausnahmen werden jedoch zugelassen. So hat der russische Staat Ende September 2004 seine restlichen Anteile an Lukoil an den US-amerikanischen Ölkonzern Conoco Phillips verkauft.

Die russische Oligarchie hat in den vergangenen Jahren gelernt, auf großem Fuß zu leben. Die finanzielle Grundlage dafür sicherten die Öldollars aus dem Exportgeschäft. Und dieses Geschäft läuft nur, wenn die Transitwege gesichert sind, vor allem die nach Europa. Wegen des Streits mit Belarus diskutiert man nun verstärkt über Alternativrouten. In der Ukraine wird bereits darüber spekuliert, welche Profite das Land bei einer möglichen Reduzierung der Exporte über die Druschba-Route machen könnte. Allerdings würde dies mindestens 100 Millionen Dollar jährlich an Investitionen in das veraltete ukrainische Pipelinesystem erfordern.

Die Preispolitik beim Export von Energieträgern an GUS-Staaten orientiert sich bislang nicht am Weltmarktpreis, doch versucht Russland, die gegebenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Schließlich lässt sich politische Loyalität auch mit großzügigen Geschenken nicht erkaufen, wie das Beispiel der »orangenen Revolution« in der Ukraine zeigte. Dem Regierungswechsel in der Ukraine folgte Anfang 2006 eine Erhöhung der Preise für Gaslieferungen, die ohne die Unterstützung Lukaschenkos, der die Pipelines in Belarus offen hielt, ein zu großes Risiko gewesen wäre. Ein Jahr später war Belarus an der Reihe.

Weniger risikoreich sind die Verhandlungen mit den ehemaligen Sowjetrepubliken im Süden, denn dort gibt es keine für Russland unersetzbaren Transitrouten. Aserbaidschan weigerte sich, die von Gazprom geforderten 235 Dollar pro 1 000 Kubikmeter Gas zu bezahlen und verweist darauf, dass die Tarife für Armenien und die Ukraine mit 110 bzw. 130 Dollar erheblich niedriger seien. Aserbaidschan verfügt über genügend eigene Energieträger, will in Zukunft mehr Öl verheizen und hat den Öltransport durch die Pipeline zwischen Baku und dem russischen Noworossijsk eingestellt.

Die Regierung Aserbaidschans stellt die russische Vorherrschaft im Energiesektor und die Dominanz innerhalb der GUS in Frage. Im Dezember äußerte Präsident Ilcham Alijew erstmals öffentlich seine harsche Kritik an dem Staatenbund. In einem Radiointerview sagte er, er halte »die Mitgliedschaft Aserbaidschans in der GUS für nutzlos«. So weit hatte sich bislang nur Georgien vorgewagt, im Unterschied zu Aserbaidschan sieht sich das Land jedoch gezwungen, weiterhin russisches Gas ohne Preisnachlass zu kaufen.

Alijews Äußerung fiel sicherlich nicht zufällig kurz nach dem Tod des turkmenischen Präsidenten Saparmurat Nijazow. Dieser hatte zu Lebzeiten die Pläne für eine transkaspische Pipeline für Gaslieferungen aus Aserbaidschan und Turkmenistan nach Europa, die russisches Territorium umgehen sollte, stets boykottiert. Die Erschließung der neuen Route wäre ein Milliardengeschäft. Dass in Russland im Rahmen nationalistischer Kampagnen in jüngster Zeit verstärkt Ausländer, vor allem Aserbaidschaner, von den Lebensmittelmärkten vertrieben werden, dürfte nicht zur Erneuerung freundschaftlicher Beziehungen beitragen.