Wir helfen nur im Norden

Das Bündnis gegen deutsche Truppen im Süden Afghanistans ist groß: Es reicht von der Linkspartei über die FDP und die CSU bis hin zum Islamisten Hekmatyar. von josefine eichin

Im Weißbuch der Bundeswehr wird die Nato als »stärkster Anker der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik« bezeichnet. Möglicherweise hat sich der Oberkommandierende der Nato in Europa darauf verlassen, als er die Deutschen um die Entsendung von sechs Tornado-Aufklärungsflugzeugen bat. Die Deutschen erweisen sich allerdings eher als unsichere Partner.

Die sechs Tornados sollen im umkämpften Süden Afghanistans eingesetzt werden. Die Nato geht davon aus, dass es dort im Frühjahr zu einer Offensive der Taliban kommt. Die bis­lang zur Aufklärung eingesetzten britischen Harrier-Flugzeuge werden zur direkten Unterstützung der Bodentruppen abgezogen. Erst ab Ende des Jahres stehen US-amerikanische Global-Hawk-Flugzeuge zur Verfügung. Die vorübergehende »Fähigkeitslücke« sollen die deutschen Tornados schließen. Die Flugzeuge können die mit Kameras und Infrarotsensoren erfassten Bilder zwar nicht gleichzeitig ans Hauptquartier übermitteln, aber ein Bordoffizier kann die Ergebnisse sofort auswerten und den verbündeten Kampfflugzeugen Ziele zuweisen.

Im Mittelpunkt der deutschen Debatte stand bislang die Frage, ob für die Entsendung der Tornados ein neues Mandat des Bundestags erforderlich sei. Der Beschluss des Bundestags vom Oktober 2006 nennt als Einsatzgebiet der Bundeswehr den Norden Afghanistans und die Hauptstadt Kabul. »Zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen« sind auch in anderen Regionen möglich, wenn sie »zur Erfüllung des Isaf-Gesamtauftrages unabweisbar sind«, heißt es.

Die Formulierung lässt Spielraum für Interpretationen. Über Wochen hinweg war die Bun­desregierung unschlüssig, ob die Entscheidung über den Einsatz der Tornados eine Frage für das Parlament sei. Eckart von Klaeden von der CDU meinte: »Das ist keine politische Entschei­dung, das sollte auf militärischer Ebene entschieden werden.« Sein Parteikollege Thomas Kossendey indes befand: »Solch eine wichtige Entscheidung sollte nicht ohne das Parlament getroffen werden.«

Ähnlich voller Widerspruch zeigte sich die SPD. Besonders forsch gab sich ihr Fraktionsvorsitzender, Peter Struck, der Anfang Januar verkündete, die Entscheidung sei gefallen, die Tornados würden gestellt und der Bundestag brauche nicht gefragt zu werden. Rainer Arnold (SPD) forderte hingegen eine »saubere Mandatierung«.

Die Oppositionsparteien waren sich von An­fang an einig und forderten ein neues Mandat. Die direkte Beteiligung der Deutschen an Kampfeinsätzen verändere die bisherige Geschäftsgrundlage. Für Jürgen Trittin von den Grünen geht es vor allem ums Prinzip: Die Regierung solle nicht »rumfilibustern«, sondern im Zweifelsfall den Bundestag fragen. Über alles andere sei »mit aller Ruhe und Gelassenheit zu diskutieren«. Die Grünen wollen abstimmen, um zuzustimmen, gaben sie zu verstehen.

Weniger gelassen ging der freidemokratische Politiker Werner Hoyer ans Mikrofon. Man dürfe »nicht einfach dem Nato-Generalsekretär in allem folgen«. Hoyer bemängelte das Fehlen einer Strategie, wie das Drogenproblem und der Nachschub für die Taliban über Pakistan anzugehen seien. Bereits seit längerem machen die Freidemokraten in Fragen der Bundeswehreinsätze der Linkspartei Konkurrenz. Deren Fraktionsvorsitzender, Oskar Lafontaine, sieht den Einsatz schlichtweg als gescheitert an, es sei daher Zeit für den Rückzug. Er beschwor vor allem die Terrorgefahr für Deutschland, wenn die Bundeswehr einen neuen Kampfauftrag übernehme.

Die Redner der Regierungsfrak­tionen deuteten schließlich ihr Einverständnis an. Weil man sich eine »brei­te parlamentarische Zustimmung« wünsche, werde die Frage dem Parlament vorgelegt, sagte Ruprecht Polenz (CDU), und auch Detlef Dzembritzki (SPD) bestätigte: »Natürlich muss hier eine Mandatsentscheidung getroffen werden.« Zunächst soll aber das Treffen der Nato-Außenminister am 26. Januar in Brüssel abgewartet werden.

Die Forderung nach »sauberer Man­datierung« entspringt dem Wunsch, weiterhin zwischen der vermeintlich friedlichen Wiederaufbauhilfe der Deutschen und der Drecksarbeit der Amerikaner, Briten und Kanadier unterscheiden zu können. Faktisch ist das bereits eine Illusion, wie die sich häufenden Anschläge auf die deut­schen Stellungen im Norden zeigen. Dass die Anschläge noch zunehmen könnten, mag für die Bundesregierung ein Grund sein, sich parlamentarische Unterstützung zu holen, man will ja nicht allein für etwaige Tote verantwortlich sein. Für lau gibt es die Abstimmung aber nicht. »Jeder, der ein neues Mandat haben will, muss wissen, dass damit auch eine Ausweitung verbunden ist«, kündigte Andreas Schockenhof an, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union.

Das bisher erlaubte Kontingent von 3 000 Mann ist nämlich so gut wie ausgeschöpft. Die sechs Tornados aber bringen einen weiteren Bedarf an Personal von mindestens 250 Mann mit sich. Anstatt an anderen Stellen die Truppenstärke zu verringern, könnte ein neues Mandat die Gesamtstärke erhöhen. Am Ende könnten sich die heutigen Kritiker noch ärgern, eine Abstimmung verlangt zu haben.

Die bisherigen Debatten, die Uneinigkeit in der Koalition und nicht zuletzt die un­übersehbare Zurückhaltung der Regierung deuten jedenfalls darauf hin, dass es mit der »Bündnissolidarität« nicht so weit her ist. Die SPD rechnet mit mindestens 30 Abweichlern in ihren Reihen. Die FDP hat bereits gezeigt, dass sie gegen Bundeswehrein­sätze stimmt, wenn es zu ihrem neuen Image passt. Heftige Widerworte kommen aus der CSU. Ihr Landesgruppenchef, Peter Ram­sauer, meinte schon vor Wochen, die Frage der Tornados sei »für uns überhaupt kein Thema«, und fügte hinzu: »Wo kommen wir da hin, wenn ein x-beliebiger Nato-General irgendeinen Brief losschickt und dies die ganze deutsche Politik in Aufruhr versetzen soll?«

Sein Parteifreund Peter Gauweiler be­rief sich gar auf den Warlord Gulbuddin Hekmatyar, der in der vorigen Woche im Interview mit dem Stern die Bundes­regierung aufforderte: »Ziehen Sie Ihre Soldaten aus Afghanistan ab!« Der ehemalige Mujahid, der für einen islamischen Staat in Afghanistan kämpft, sagte, er habe von der Bundeskanzlerin er­wartet, »dass sie deutsche Söhne nicht für amerikanische Interessen opfert«. Er verwies auch darauf, dass sich die Afghanen im Zweiten Weltkrieg freund­lich gegenüber den Deutschen verhalten hätten. »Ist das jetzt die Antwort, die die deutsche Regierung den Afghanen gibt?« Gauweiler hält wie die Links­partei den geplanten Einsatz für verfassungswidrig.

Am Ende werden mit den Tornados gleich zwei Probleme auf einmal gelöst. Truppenintern sind die Flugzeuge bereits im August vorigen Jahres angefordert worden, und zwar für die eigenen Verbände. Die Welt zitiert ein internes Papier des Verteidigungsministeriums, demzufolge das »latente Eskalationspotenzial auch in Teilen der Nordregion« den Einsatz der Tornados »nunmehr zweckmäßig erscheinen« ließe.

Mit einem Mandat, das es erlaubt, Flugzeuge im Süden einzusetzen, kann sich die Bundesregierung zugleich den beharrlichen Forderungen der Nato-Partner, sich stärker an der immer ver­lustreicheren Aufstandsbekämpfung zu beteiligen, entziehen. Dafür wird es im Bundestag eine große Mehrheit geben. Von Bodentruppen für den Süden Afghanistans ist ja keine Rede.