Die erste Girl Group

»Dreamgirls« im Kino

»Dreamgirls« – das ist die Verfilmung eines Broadway-Musicals, bei dem es um den Aufstieg des Motown-Labels und die Entwicklung chartskompatibler schwarzer Musik in den USA zwischen 1960 und 1980 geht. Bei einer Talent-Show entdeckt der Freizeit-Musikmanager und hauptberufliche Cadillac-Verkäufer Curtis Taylor (Jamie Foxx) die Gruppe The Dreamettes. Sein Plan sieht so aus: Zehn Wochen gehen sie mit James Early (Eddie Murphy), dem Zugpferd von Taylors Feierabend-Label, auf Tour. Anschließend sollen die drei Grazien zur Supergroup gemacht werden. Wir hören mitreißende Soulnummern, erschüttern­de Bläsersätze, gnadenlosen Funk. Keine Frage: Das Publikum fliegt ab. Doch da unten sitzen nur schwarze Frauen und Männer.

Taylor hat Größeres im Sinn: die Geldbörsen der reichen Weißen. Draußen tobt der Kampf um schwarze Bürgerrechte, Martin Luther King hält seine berühmte Rede (»I have a Dream«). Taylor merkt sich vor allem den Satz: Schwarze, die Geld haben, sollen sich überall Häuser kaufen können. Der Labelchef will beides. Hier formiert sich die erste afro­amerikanische Ober­schicht.

Die fette, aber authentische Effie wird durch Deena als Leadsängerin ersetzt. Deena ist unschwer als Disco-Queen Diana Ross zu erkennen, die, unschwer zu erkennen, von Ex-Des­tiny’s Child-Chefin Beyonce Knowles gespielt wird. Die Band verliert ihr Teenie-Image, aus den Dreamettes werden die Dreams. Gleichzeitig schlagen Versuche, James Early in den Clubs der Weißen zu platzieren, fehl. Das arrivierte Publikum kann seine Songs nur in der weichgespülten Version weißer Sänger kon­sumieren. Copyright wird nicht gezahlt. »Es ist toll, dass wir einen schwarzen Künstler zu Gast haben«, sagt der Conferencier, »er kann nicht nur singen und tanzen, sondern anschließend auch den Boden wischen« – so wird Early sarkastisch vorgestellt von dem Moderator, der von sich selbst sagt, dass er Jude sei.

Diese Konfrontation darf offensichtlich nicht fehlen. Dass Juden und Schwarze in den USA ein Scheißverhältnis haben, wenn es um Respekt und Geld geht, betont auch schon Spike Lee in seinem Film »Get on the Bus« (1996). Dort wird die Geschichte einer Reisegruppe erzählt, die sich zum One-Million-Man-March des Nation-of-Islam-Führers Louis Farrakhan aufmacht und dafür den jüdischen Busfahrer loswerden muss.

In »Dreamgirls« umreißt diese kurze und befremdlich wirkende Passage ein sehr kompliziertes Verhältnis der beiden Bevölkerungsgruppen. Lange Zeit gingen Afroamerikaner und Juden im Kampf um Bürgerrechte den gleichen Weg. Das änderte sich in den sech­ziger Jahren. Als das Selbstbewusstsein der Afroamerikaner erstarkte, wurden Juden zuallererst als weiße Kapitalisten identifiziert. Farrakhans Reden in den neunziger Jahren markieren den bisherigen Höhepunkt anti­semitischer Invektiven. Es blieb dem schwarzen Bürgerrechtler Jesse Jackson angesichts der Präsidentenwahl im Jahr 2000 vorbehalten, ein Umdenken anzumahnen und an die jeweiligen Erfahrungen von Sklaverei und Holocaust zu erinnern, die die beiden Gruppen doch eigentlich zusammenführen müssten.

Abgesehen davon ist die zweite Hälfte des Films auch zum Heulen. Denn aus den Dreamgirls werden Screamgirls: Jede Gefühlsregung endet in einer mindestens zehnminütigen Heularie. Aber why not: Gesellschaftlicher Aufstieg ist mit Irrtum, Schmerzen, Blut und Tränen gepflastert.

jürgen kiontke

»Dreamgirls« (USA 2006), R: Bill Condon. Start: 1. Fe­bruar