Die Tanzguerilla

Das Festival »Club Transmediale« bietet aufregende musikalische Experimente. Doch ein politisch abgründiger Abend droht noch. von markus ströhlein

Es macht durchaus Spaß, vor diesem eher hippen und an Kunst interessierten Publikum zu spielen«, sagt Basto und grinst. Er ist der Bassist der Berliner Band Bolz’n. Für gewöhnlich tritt sie nicht unbedingt in großen Clubs wie der Maria am Ostbahnhof in Berlin auf. Auf einer Tour im vergangenen Jahr durch England, Frankreich, die Schweiz, Österreich und Deutschland standen Bolz’n häufig in besetzten Häusern auf der Bühne. Ein Veranstalter des Festivals Club Transmediale hat einen Gig des Quartetts dann auch im Supamolly, einer Location in einem ehemals besetzten Haus in Berlin, gesehen und die Band in das Programm aufgenommen.

»Viele Musiker, die hier spielen, stehen uns ebenso nahe wie die Grindcore-Szene, in der wir ansonsten verkehren«, urteilt Basto. Auf den ersten Blick mag das nur schwer nachvollziehbar erscheinen. Auf der großen Bühne, neben der der Bassist steht, legt ein DJ der Underground Resistance auf. Das Label hat den Detroit-Techno geprägt. Mit dieser Musikrichtung haben Bolz’n nicht sonderlich viel zu tun. Sie spielen eine einzigartige Form des Grindcore. Die Gitarre und der Bass sind äu­ßerst verzerrt und tief gestimmt. Das Schlagzeug liefert eine präzise Abfolge hektischer Wirbel. Die Sängerin schreit, röchelt keh­lig oder lässt ihre Stimme umkippen, bis sie sich überschlägt. Die Songs haben keinesfalls herköm­mliche Strukturen. Wer Wiederholungen finden möchte, muss lange suchen. Easy Listening klingt definitiv anders. Dafür geben Bolz’n den Leuten im Publikum den Eindruck, etwas zu hören, das ihnen vorher noch nicht untergekommen ist. Bolz’n sind tatsächlich abenteuerlich.

Deshalb sind sie beim Club Transmediale auch gut aufgehoben. Die Macher haben der Konzertwoche schließlich den Untertitel gegeben: »Festival for adventurous music.« Und wer die Abenteuerlichkeit als musikalische Kategorie gelten lässt, für den besteht kein Widerspruch in der Tatsache, dass Bolz’n und die Musiker von Underground Resistance am selben Abend auftreten. Zu­nächst legen ihre DJs Platten auf. Gegen halb vier Uhr morgens kommt dann die UR-Band Interstellar Fugi­tives auf die Bühne. Zu ihr gehört Mike Banks, der Gründer des Labels, weitere Mitglieder an den Synthesizern und Drum­computern und ein MC, der als Anheizer zwischen Band und Publikum vermittelt. Ihre Shows nennt die Underground Resistance »musikalische Angriffe«. Teilweise ver­mummt und mit schwarzen Armeestiefeln und ‑hosen bekleidet, gibt sich die Gruppe ein militantes Image, das sie sich bei der HipHop-Band Public Enemy abgeschaut hat.

Der Aufmarsch der Tanzguerilla mag wie bei ihrem Vorbild krude wirken. Das Abenteuerliche der seit 1989 bestehenden Underground Resistance liegt eher in der Musik. »Verneigt euch vor dem Funk!« weist der MC irgendwann das Publikum an. Die Gruppe hat die musikalische Geschichte ihrer Herkunftsstadt Detroit in ihren Sound einfließen lassen. Nicht nur der Funk, sondern auch der Motown-Soul der sechziger und siebziger Jahre ist für den Techno der Underground Resistance ebenso wichtig wie die elektronische Pionierarbeit von Kraftwerk.

Das große Interesse der Veranstalter des Festivals liegt vor allem darin, neue und aufregende Bands und Musiker aus dem experimentellen Bereich vorzustellen. Für das erste Wochenende haben sie sich deshalb mit den Machern der Konzertreihe »Wasted« zusammengetan. Schnell, laut und voller Enthusiasmus geht es dann auch wirklich zu. Eintönige Momente kommen von Zeit zu Zeit aber auf. Hauptsächlich gibt es Breakcore, Speedcore oder ähnliches elektro­nisches Gehämmer zu hören. Wie beschränkt diese Genres trotz ihrer hohen Energie sind, fällt auf, wenn man ihnen über mehrere Stun­den ausgesetzt ist.

Als herausragender Künstler bleibt nach den beiden Abenden zumindest Tim Exile in Erinnerung. Der Mann aus Brighton arbeitet mit einer selbst entwickelten Musiksoftware, die es ihm erlaubt, Samples, Live-Signale und vorgefertigte Beats in einer unglaublichen Geschwindigkeit zu vermengen. Noch dazu hat er sich einen Joystick, mit dem er weitere Klang­eigenschaften steuern kann, wie einen Phallus vor den Unterleib geschnallt. Und so stapft er dann über die Bühne.

Für Abwechslung in dem elektronischen Stampfen der »Wasted«-Konzerte sorgen nicht nur Bolz’n. Auch die österreichische Kapelle Fuckhead ist eingeladen. Aben­teuer­lich ist, wie die Bandmitglieder eine Wäsche­leine über die Bühne spannen. Die Enden der Schnur werden zwischen den Arschbacken der beiden Sänger befestigt, die auf Stühlen stehen. Ansonsten veranstalten die halbnackten Wiener noch ein grelles Kasperle­theater, bei dem sie sich gegen­seitig mit Nutella und Smarties füttern, ein­seifen und mit Kakaomilch bespucken. Wie die Musik eigentlich war, weiß man nach dem Auftritt allerdings nicht. Die visuelle Ablenkung war zu groß.

Das Festival wird aber nicht nur von Hek­tischem, Schnellem und Überdrehtem bestimmt. Der Sonntag gehört mit dem Burial Chamber Trio und Jazkamer dem Noise und den Drones, also den ganz tiefen, statischen und schwebenden Klängen. An den weiteren Tagen des Club Transmediale kann das Publikum selbst auf die Bühne und an elektronischen Jamsessions teilnehmen. Von eingeladenen Künstlern wie Pole und Adrian Sherwood wird das Neueste aus Ambient und Dub vorgestellt. Am kommenden Sams­tag, dem letzten Abend des Festivals, widmen sich verschiedene Musiker der von Klischees befreiten minimalistischen Elek­tronik.

Politisch abgründig könnte es hingegen am Mittwoch dieser Woche werden. Das deutsch-niederländische Staalplaat-Soundsystem und der libanesische Elek­tronikmusiker Tarek Atoui nehmen sich eines noch unveröffentlichten Tapes des 1999 verstorbenen Musikers Muslimgauze an. Die Veranstalter beschreiben den Künstler mit dem bürgerlichen Na­men Bryn Jones so: »Seine politische Hal­tung, die einseitig, aber konsequent und ohne Verstellung den palästinensischen Kampf um den eigenen Staat unter­stütz­te, wurde und wird kontrovers diskutiert.« Das ist eine recht milde Darstellung. Jones forderte in Interviews Waf­fen­lieferungen an die Hamas. Er bezeich­nete die palästinensischen Selbstmord­attentate als »direkte Aktionen« und war der Ansicht, dass man »die Siedler und Zionisten aus Palästina vertreiben« müsse. Seine Platten tragen Titel wie »Vote Hezbollah« oder »The Return of Black September«.

Jan Rohlf, ein Veranstalter des Club Transmediale, möchte jedoch unbedingt darauf hinweisen, dass sich das Festival keinesfalls die Ansichten von Muslimgauze zu eigen mache. »Der Abend ist nicht als politische Veranstaltung zum Nahost-Konflikt angelegt. Die eingeladenen Künstler sollen die Musik von Muslimgauze bearbeiten und interpretieren. Und zu der Frage, ob man Jones’ politische Ansichten ausblenden und nur seine Musik hören kann, müsste man vielleicht eine eigene Veranstaltung machen. Das ist freilich eine heikle Diskussion«, führt Rohlf aus. Was letztlich auf der Bühne geschehen wird, kann er aber nicht sagen: »Die Musiker haben die Carte blanche. Sie können mit dem Material von Muslimgauze tun, was sie wollen.«

Die Abteilung der Transmediale für Kunst und digitale Kultur beschäftigt sich unter dem Motto »Unfinish!« noch bis zum 4. Februar mit dem »Fluch der digitalen Arbeit, die keinen Abschluss, sondern nur aufeinanderfolgende Versionen kennt«.