Im Dienste Ihrer Majestät

Die katholische Sinn Féin hat die nordirische Polizei anerkannt. Enthüllungen über die Zusammenarbeit der nordirischen Polizei mit loyalistischen paramilitärischen Truppen erschweren jedoch die Bildung einer Regionalregierung. von petra tabeling

Nuala O’Loan ist eine kleine, unscheinbare Frau mit perfekt sitzender Frisur. Ihre Arbeit bringt ihr viel Respekt ein, ebenso löst sie Ehrfurcht bei anderen aus, denn das, was die 58jährige zierliche Frau macht, ist unbequem: Sie ist Sonderermittlerin und Ombudsfrau der nord­irischen Polizei, eine neu geschaffene Stelle im Zuge des Karfreitagsabkommens aus dem Jahr 1998. Der Job der Engländerin ist es, bislang ungeklärte Mord­fälle in Nord­irland zu untersuchen und für Aufklärung zu sorgen. Seit 1969 wurden über 3 600 Menschen in dem Konflikt zwischen Nationalisten und Loya­listen ermordet. Viele der Morde wurden bis heute nicht aufgeklärt.

Auch der 22jährige Protestant Raymond McCourt ist einer der Ermordeten, er wurde 1997 in Belfast von Angehörigen der englandtreuen Terrorgruppe UVF (Ulster Volunteer Force) zu Tode geprügelt. Sein Vater kämpfte seitdem für die Aufklärung. Er behauptete standhaft, er habe Beweise dafür, dass der damalige Chef der UVF von der Polizei geschützt worden sei, weil er als Informant für sie tätig war. Da die nordirischen Polizeibehörden nicht reagierten, wandte McCourt sich schließlich an O’Loan.

Über drei Jahre dauerten ihre Unter­suchungen, und sie brachten noch viel mehr zu Tage: »Wir hatten ursprünglich nur die Ermittlungen in diesem Mordfall, bis wir auf viele weitere gestoßen sind«, sagte O’Loan am Tag der Veröffentlichung des Berichts am Dienstag vergangener Woche in Belfast. Demnach haben Mitglieder der UVF in den neunziger Jahren alleine in Nordbelfast mindestens 15 Menschen ermordet und weitere Straftaten begangen, ohne dass ihnen ernsthaft eine Strafverfolgung drohte. »Sie hätten dies nicht ohne das Wissen und die Unterstützung der nordirischen Polizei, auch in den höchsten Rängen, tun können«, sagte O’Loan.

Die ehemalige Anwältin findet in dem Bericht deut­liche Worte. Sie spricht von Kollaboration, von Verfehlungen hoher Offiziere, von vertuschten Infor­ma­tionen und verschwundenen Akten.

Vor allem die Partei Sinn Féin hat sich bislang geweigert, in einer künftigen gemeinsamen Provinzregierung uneingeschränkt mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Sie begründete ihre Weigerung mit deren innigem Verhältnis zum ehemaligen protestantischen Untergrund. Das dürfte sich in Zukunft ändern: Am Sonntag stimmten die Delegierten von Sinn Féin für die Anerkennung der nordirischen Polizei und Justiz. Die Entscheidung sei »im nationalen Interesse« gefallen, sagte der Parteivorsitzende Gerry Adams, und gebe Sinn Féin politische Stärke. Der Schritt müsse jetzt vollzogen werden, betonten andere Redner, denn damit sei auch der letzte Vorwand beseitigt, Sinn Féin auszugrenzen.

Die Bildung einer nordirischen Regionalregierung bleibt dennoch schwer. Durch die Untersuchungen von O’Loan werde nun das öffentlich bekannt, was »nie Gehör fand und ignoriert wurde«, sagte Martin McGuinness, der stellvertretende Vorsitzende von Sinn Féin. Die Untersuchungen »zeigen nur die Spitze des Eisbergs und belegen, dass dies die institutionalisierte Praxis des Staates war, um Republikaner zu terrorisieren«.

Nur der damalige Chef der nordirischen Polizei Royal Ulster Constabulary (RUC), Ronnie O’Fla­na­gan, mittlerweile zum »Sir« geadelt und Direktor der königlichen Polizeiinspektionsbehörde in London, wehrte sich gegen die Anschuldigungen, er sei an den Verfehlungen beteiligt gewesen. Einige Politiker fordern nun seinen Rück­tritt.

Was O’Loan aufdeckte, ist eine Folge des 30jährigen Bürgerkriegs, der troubles, wie dieser Krieg vereinfachend im Norden und Süden der grünen Insel genannt wird. Das, was sich hinter diesem simplen Wort verbirgt, zeichnet sich allerdings durch höchst komplexe und geheime Struk­turen innerhalb der Justizbehörden und der nordirischen Polizei aus.

Die RUC rekrutierte sich hauptsächlich aus Protestanten. Im Zuge des Karfreitags­abkommens änderte die Behörde nicht nur ihren Namen in »Police Service of Northern Ireland« (PSNI), sondern auch ihre Einstellungspolitik: Katholiken und Protestanten sollen in Zukunft gleich behandelt werden. Nach wie vor glauben allerdings viele Republikaner und Katholiken, der neue Name der Behörde sei nur ein anderer Name für dasselbe Problem. Das Vertrauen in die reformierte Polizei ist gering, denn seit Jahren schon war die Kollaboration zwischen Angehörigen des polizei­lichen Geheimdienstes, der Special Branch, und paramilitärischen Milizen ein offenes Geheimnis.

Auch einige nordirische Medien haben immer wieder über diese Netzwerke recherchiert. Im Jahr 2001 kostete dies einen Reporter der Sunday World das Leben. Der 51jährige Journalist Martin O’Hagen wurde von Angehörigen einer Untergruppe der UVF, den »Red Hand Defenders«, erschossen, nachdem er immer wieder über Polizeigewalt, die Drogengeschäfte von Polizeiangehörigen und die Beziehungen der Paramilitärs zur Polizei geschrieben hatte. Bis heute sind die Mörder nicht gefasst, obwohl die Namen bekannt sind. Freunde und Kollegen von O’Hagen vermuten, dass auch die Täter von Polizeikräften gedeckt werden, weil sie im Dienste Ihrer Majestät gestanden haben könnten.

Im Oktober 2002 wurde das nordirische Regionalparlament nach einem Spionage­skandal suspendiert, seitdem wird Nord­irland von der britischen Regierung verwaltet. Ein Jahr später gingen Sinn Féin und die radikale protestantische Partei Democratic Unionist Party (DUP) als Sieger aus den Regionalparlamentswahlen hervor. Sie schafften es bislang allerdings nicht, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Eigentlich sollte dies dem Zeitplan der irischen und britischen Regierung zufolge bis November vergangenen Jahres geschehen sein. Doch der Plan wurde nicht eingehalten, weil sich die Mitglieder von Sinn Féin nicht darüber einigen konnten, wie die Reform der Polizei zu bewerten sei.

Anfang März stehen erneut Wahlen zur nord­irischen Nationalversammlung an. Gerry Adams und sein Stellvertreter McGuinness fordern, dass der von der britischen Regierung kontrollierte Polizei- und Jus­tiz­apparat ab Mai 2008 von der Regionalregierung kontrolliert werden. Die DUP lehnt dies jedoch ab. Die pro-britischen Hardliner wollen, dass die britische Regierung und deren Geheimdienste auch künftig über die Sicherheitskräfte in Nord­irland verfügen.

Obwohl die große Mehrheit der Delegierten von Sinn Féin am Sonntag dem Antrag der Parteiführung zustimmte, war die Entscheidung unter den nordirischen Katholiken umstritten. Das Ergebnis der Untersuchung der Om­buds­frau O’Loan kam zu einem denkbar un­günstigen Zeitpunkt.