Sorry, Sonny!

Schon früh erwarb er sich den Titel »Saxophone Colossus«. Nun gibt es eine neue Platte des Jazzmusikers Sonny Rollins. von uli krug
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Plattenfirmen sind nicht sonderlich verlegen, wenn es darum geht, ih­re Produkte anzupreisen. »Sonny, ­please!«, die neue Platte des Saxofonisten Sonny Rollins, als Jubiläumsalbum zum 75. Geburtstag des Künstlers anzukündigen, ist aber doch verwegen. Rollins erreichte dieses Alter bereits im September 2005. Kurze Zeit später hat er, gemeinsam mit seiner Band, »Sonny, please!« aufgenommen. An­dererseits ist es durchaus etwas Besonderes, wenn jemand wie Rollins nach fünf Jahren erneut ein Album veröffentlicht.

Denn der New Yorker Tenorsaxofonist gehört zu den letzten noch lebenden Größen des Jazz. Mit Charlie Parker und Thelo­nious Monk entwickelte er Ende der vierziger Jahre den Bebop. Mit Miles Davis und John Coltrane kultivierte er den Cool Jazz. Sie waren es, die den Swing in die musikgeschichtliche Frühpension schickten und damit einen Einschnitt in der Entwicklung der modernen Popmusik voll­zogen. Sie verwandelten den Jazz innerhalb eines Jahrzehnts von der trivialen Tanzmusik in einen akustischen Bürgerschreck, der nun auch die Intellektuellen in seinen Bann zog. Jazz stand nun nicht mehr für das Gesäusel Bing Crosbys oder die Einlagen Louis Armstrongs, sondern für den mehr als nur kongenialen, instrumentalen Soundtrack zu den Provokationen der Beat­niks.

Diese Zäsur war prägend. Die für den Bebop typische Kleinbesetzung entband die Musiker von den Zwängen, denen sie in den Orchestern der Swing-Ära unter­lagen. Noch dazu gaben die Trios, Quartette und Quintette der Jazzmusiker bereits das Modell für die Rockband vor.

Zudem schöpfte der Cool Jazz als erstes Genre die neuen Möglichkeiten der Langspielplatte voll aus. Stücke von epischer Länge und komplexem Aufbau wurden möglich. Sonny Rollins glänzte 1958 mit seiner fast 20minütigen »Freedom Suite«. Die gleichnamige LP war obendrein noch mit einem deutlichen und für die damaligen Verhältnisse unerhörten Statement gegen die Rassendiskriminierung versehen. Rollins deutete so auch die politische Radikalisierung der Szene an, die der Free-Jazz in den Sechzigern mit sich bringen sollte.

Auch der Lebensstil der Musiker lieferte über Jahrzehnte hinweg das Vorbild für den Underground. Sonny Rollins saß 1950 zehn Monate im Staatsgefängnis Rikers Island ein, nachdem er einen bewaffne­ten Raub­über­fall begangen hatte. 1952 wurde er wegen Besitzes von Heroin erneut festgesetzt. Er machte sich durch sein öffentliches Üben auf der Williams­burg Bridge Anfang der Sechziger zu einem musikalischen Wahrzeichen New Yorks und begab sich schließlich von 1968 bis 1972 in Asien auf die Suche nach einem Guru.

Diese vier Jahre, in denen Rollins der Legende nach von buddhistischen Mön­chen überzeugt werden musste, überhaupt weiter zu musizieren, waren bereits die zweite große Auszeit in seiner Karriere. Die erste hatte er sich zwischen 1959 und 1962 genommen, noch nicht 30jährig und schon angekommen auf dem Gipfelpunkt seines Ruhms. Man nannte ihn den »Saxophone Colossus«, und dennoch wurde er von musikalischen Selbstzweifeln geplagt.

Konzeptionell war er nämlich zuletzt nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit gewesen. Miles Davis, der 1957 zu gänz­lich neuen Ufern aufbrechen wollte, hat­te sich von John Coltrane getrennt und zunächst Rollins hinzugezogen. Doch zu seiner großen Enttäuschung wurde er selbst wiederum rasch durch Cannonball Adderley ersetzt.

Adderley teilte Davis’ Wunsch, sich durch die Anlehnung an die Atonalität der modernen Kunstmusik aus dem Korsett der harmonischen Akkordkonventionen zu befreien, die auch den Bebop und den Cool Jazz beherrschten. Davis und Adderley kündigten so bereits den Free Jazz an. Sie wandten sich von den komplizierten Akkordfolgen und artistischen Phrasierungen des Bebop ab und pflegten fortan eine nahezu minimalistische Spielweise. Auf sie wollte sich der handwerklich unübertreffliche Sonny Rollins aber nicht einlassen.

Sein Verhältnis zur Avantgarde blieb auch nach seiner ersten Rückkehr ins Mu­sikgeschäft 1962 zwiespältig, und so wur­de nicht er, sondern John Coltrane zum tonangebenden Musiker am Saxofon. Rollins ging nach der sehr gelungenen Platte »Our Man in Jazz«, die er 1962 mit Musikern aus der Combo des Free-Jazz-Pioniers Ornette Coleman einspielte, wieder auf Distanz zum »new thing«, während Coltrane im Dezember 1964 mit »A Love Supreme« ein Jahrhundertwerk gelang.

Rollins hingegen verließ sich mehr und mehr auf seine unübertrefflichen solistischen Fähigkeiten, mit denen er gerne auch triviale Themen spielte. Ihm blieben die konzeptionellen Umwälzungen fremd, die im Jazz stattfanden. Eine gewisse Aus­nahme bleiben die musikalischen Einflüsse der Psychedelic-Metropole London auf Rollins, die sich im von ihm komponierten Soundtrack zum Film »Alfie« von 1966 niederschlugen.

Rollins’ damalige Innovationsunlust stellte spätestens in den Achtzigern keinen Makel mehr dar, sondern vertrug sich gut mit der allgemeinen Vorliebe für die relativ schlichte Funk- und Soulrhythmik. Der Saxofonist erschien als Gastmusiker bei den Rolling Stones und brachte ansonsten seit 1972 auf die bewährte Weise 29 Alben heraus.

Nun hat er das 30. veröffentlicht. Es ist ziemlich sentimental ausgefallen. Das müsste nun nichts notwendig Schlechtes heißen. Sonny Rollins besitzt herausragen­des Material in großer Fülle. Doch auf die­ses bezieht er sich viel zu selten. Er kehrt sogar zum Radio-Jazz der Swing-Ära zurück, also zu den Klängen seiner Kind­heit. Leider wählt er auch noch die Stücke aus, denen man nur allzu genau anhört, warum Rollins und seine Mitstreiter einst die Bebop-Revolution gegen den Swing anzettelten. Nicht einmal seine bekannte Interpretationsgabe kann grausige Herzschmerz-Balladen wie »Stairway To The Stars« oder zurecht vergessene Radio-Titelmelodien wie »Serenade« retten. Das gilt auch für die unglaublich schlechte Calypso-Nummer »Park Palace Parade«, mit der Rollins sowohl an die großen Tanz­paläste der Dreißiger als auch an die Einschlaflieder, die seine Mutter ihm sang, erinnern möchte.

Zwei Stücke heben sich dann aber doch gegen diese berieselnde Jazz-Mu­zak ab. Das Titelstück »Sonny, please!« wartet mit elegantem Cool Jazz und dem schönen Zu­sammenspiel von Rollins und dem Posau­nisten Clifton Anderson auf. In dem inte­ressanten, lautmalerischen Thema, dem leicht genervten Ton und der Phrasierung werden tatsächlich die Worte angedeutet: »Sonny, please!« Und »Nishi« ruft wenigs­tens stellenweise die typischen Stücke des Rollins-Trios ins Gedächtnis.

Und dennoch würde man dem Koloss am Saxofon nach dem Hören dieser Platte wohl eher sagen: »Sorry, Sonny!« Denn er hat zweifellos viel bessere Platten aufgenommen. Für die Klassiker »Freedom Suite«, »Our Man in Jazz« oder »Alfie« muss man sich nach wie vor bei dem amerikanischen Saxofonisten bedanken.

Sonny Rollins: Sonny, please. Doxy Records/Universal Music Group