Die Sonne über dem Herzland

Die EU wünscht einen besseren Zugang zu den Energievorräten Kasachstans. Grund genug, Präsident Nazarbajew bei seinem Besuch in Deutschland zu hofieren. von benjamin beutler

Bereits zum fünften Mal in seiner 16jährigen Amtszeit wurde für Kasachstans Präsidenten Nursultan Nazarbajew in Deutschland nun schon der rote Teppich ausgerollt. »Er ist bei uns ein herzlich willkommener Gast«, umschmeichelte Bundeskanzlerin Angela Merkel den »Herrscher der Sonne«, so die wörtliche Übersetzung seines Vornamens, bei seinem Besuch in der vergangenen Woche.

Die Art, wie der 67jährige Nazarbajew den neuntgrößten Flächenstaat der Welt regiert, erinnert tatsächlich ein wenig an den Sonnenkönig. Nach dem Zerfall der Sowjetunion übernahm er die Macht in Kasachstan, seitdem führt er den Staat als Familienunternehmen. Nazarbajew verzichtet auf den bizarren Personenkult, den der im Januar verstorbene turkmenische Despot Sapurmat Nijazow pflegte, und bislang kam es nicht zu Massakern an Oppositionellen wie in Usbekistan. Doch das kasachische Regime ist ebenso diktatorisch wie das der Nachbarstaaten.

Allzu scharfe Kritik müssen die Herrscher der mittelasiatischen Staaten jedoch nicht fürchten. Den westlichen Regierungen gelten sie als Garanten der Stabilität in einer Region mit gewaltigen Vorräten an lukrativen und strategisch wichtigen Rohstoffen. Kasachstan ist eines der rohstoffreichsten Länder der Welt: Gold, Eisen, Kohle und Uran liegen unter der Steppe, das Kaspische Meer birgt enorme Vorkommen an Erdgas und Öl.

Auch in geopolitischer Hinsicht gilt Mittelasien als einzigartige Region. Noch immer geistert die »Herzland-Theorie« des britischen Geographen Halford J. Mackinder durch die Hirne vieler Militärstrategen: Die Kontrolle über das »Herzland«, das Zentrum des »eurasischen« Kontinents, garantiere die Beherrschung der Welt.

Zur Zeit des Kolonialwissenschaftlers Mackinder wurde das »Great Game«, der Kampf der Großmächte um Mittelasien, vor allem zwischen dem Zarenreich und dem britischen Empire ausgetragen. In der zweiten Runde, die nach dem Zerfall der Sowjet­union begann, ist die Zahl der Spieler größer. China und Russland, die Europäische Union, die USA sowie das aufstrebende Indien konkurrieren um die Rohstoffvorräte.

Die Vergabe der Förderlizenzen ist ein lukratives Geschäft, allein Präsident Nazarbajew soll einen zweistelligen Milliardenbetrag auf seinen Schweizer Konten deponiert haben. Die Abgaben der transnationalen Konzerne dienen auch dem Unterhalt der Familien- und Klientelnetze, die Nazarbajews Herrschaft stützen. Die Lizenzen geschickt zu verteilen, ist überdies ein gutes Mittel, sich das Wohlwollen der Großmächte zu sichern.

Die EU bemüht sich unter der deutschen Ratspräsidentschaft verstärkt um engere Beziehungen zu den mittelasiatischen Staaten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier ließ eigens eine »Zentralasien-Strategie« ausarbeiten, die unter anderem verhindern soll, dass der Einfluss Russlands zu groß wird. Kasachstan arbeitet eng mit den russischen Energiekonzernen zusammen und steht zudem unter dem militärischen Schutz des mächtigen Nachbarn.

Die Präsidenten Wladimir Putin und Nazarbajew unterzeichneten im Oktober 2006 einen Kooperationsvertrag, der neben Uranförderung, Anreicherung und dem Bau neuer Reaktoren die gemeinsame Förderung, Aufbereitung und Vermarktung kasachischer Gasvorkommen vorsieht. 15 Milliarden Kubikmeter Gas aus dem Feld Karachaganak sollen in einer gemeinsam betriebenen Aufbereitungsanlage in Orenburg an der russisch-kasachischen Grenze verarbeitet werden, um dann teils auf den russischen, teils auf den europäischen Markt zu fließen.

Kasachstan ist auf russische Pipelines angewiesen, um sein Gas nach Europa exportieren zu können. Damit es aufgrund der nach Russland eingespeisten Mengen nicht zu Mängeln bei der Versorgung im eigenen Land kommt, wurde auch Usbekistan an dem Geschäft beteiligt. Die von dem Autokraten Islam Karimov regierte Republik soll bis 2009 jährlich 3,5 Milliarden Kubikmeter Gas nach Südkasach­stan liefern.

Kasachstan ist damit in eine Abhängigkeit von Russland geraten. Der Chef des staatlichen Unternehmens KazTransGas, Serik Sultangalijew, ist sich dessen bewusst: »Die Entwicklung der kasachischen Erdgasindustrie ist ohne Kooperation mit Russ­land unmöglich.« Er verweist aber auf andere Optionen: »Allerdings schauen wir gleichzeitig auch nach neuen Wegen, Energie auf den Weltmarkt zu exportieren.«

Auch in Kasachstan hat man mitbekommen, dass in Europa die Angst vor Russlands neuem »Rohstoff-Nationalismus« und dem »Einsatz der Energiewaffe« umgeht. Da liegt es nahe, sich gemeinsam über alternative Transportrouten Gedanken zu machen, die Russland umgehen. Beispielsweise könnte eine Pipelineroute über den Boden des Kaspischen Meeres von Aktau ins aserbaidschanische Baku und von dort über Tiflis in Georgien weiter ins türkische Ceyhan am Mittelmeer führen.

Der EU-Energiekommissar Andris Piebalgs hebt immer wieder hervor, dass man Kasachstan als unabhängigen Lieferanten betrachte. Doch Putin will dem Bau von Pipelines, die russisches Territorium umgehen, nicht tatenlos zusehen, denn das Exportmonopol ist eine allzu lukrative Devisenquelle. Die von der EU angestrebte Energie-Charta, deren Hauptziel eine Brechung des Monopols ist, werde man gewiss nicht ratifizieren, kündigte Sergej Jastrzhembski an, der Sonderbeauftragte der russischen Regierung für die EU.

Die EU hat noch weitere Konkurrenten. Anfang des Jahres kaufte die staatliche China International Trust and Investment Corp. Anteile an der kasachischen Ölfirma JSC Karazhanbasmunai und sicherte sich damit Förderrechte für 1,9 Milliarden US-Dollar. Eine neue Pipeline durch die Mongolei transportiert bereits Öl nach China. Indien ist ebenfalls vertreten. Das Tochterunternehmen Neftegaztruba Temirtau des Stahlkonzerns Mittal baut für 33 Milliarden Dollar eine Fabrik für Ölpipelines in Kasachstan.

Da wäre es geschäftsschädigend, Nazarbajew durch ungebührliche Ermahnungen über Demokratie und Menschenrechte zu verärgern. Die Bundesregierung unterstützt sogar Kasachstans Bestreben, den Vorsitz in der OSZE zu übernehmen. Diese Organisation ist unter anderem für die Überwachung von Wahlen zuständig. Doch wer in Kasachstan gegen den Präsidenten und seine Gefolgsleute antritt, riskiert sein Leben. Im Frühjahr 2006 wurde der prominente kasachische Oppositionspolitiker Altynbek Sarsenbajew mitsamt seinen Leibwächtern erschossen.

Die harmonische Stimmung bei Nazarbajews Besuch in Berlin sollte durch die Erwähnung solcher Zwischenfälle nicht getrübt werden. Vielmehr entdeckte Merkel ganz besondere, fast familiäre Bande: »Ein Abgeordneter der deutschen Minderheit ist heute dabei, der sogar den gleichen Nachnamen trägt wie ich. Man hat also durchaus vielerlei Verbindungen.«