Mehr Licht!

Die 57. Berlinale. 100 Weltpremieren und ein Wiedersehen mit Franz Biberkopf in einer aufgehellten Version von »Berlin Alexanderplatz«. Ein Überblick. von jürgen kiontke

Nicht zuletzt hat Berlin die Phantasie zahlloser Filmemacher beschäftigt: Immer wieder diente die Stadt als Kulisse großer Leinwandszenarien – nicht selten avancierte sie zur heimlichen Protagonistin«, lassen die Berliner Filmfestspiele verlauten und Taten folgen. Das dicke Berlin-Ding in diesem Jahr ist die Wiederaufführung von Rainer Werner Fassbinders »Berlin, Alexanderplatz«, dem beliebten Fernsehmehrteiler, der bei seiner Uraufführung 1980 vor allem wegen des Mangels an Licht gerühmt oder vielmehr: verrissen wurde.

Genau diesen Mangel zu beheben haben sich die Restauratoren der Bavaria-Film zum Ziel gesetzt. »Er ist jetzt zwei Blenden heller«, meinte Berlinale-Leiter Dieter Kosslick auf der Pressekonferenz, »das ist interessant für die, die damals nichts gesehen haben.«

Bevor man fragen kann, was der Urheberschutz dazu sagt, gibt es auch schon eine Aufführung am Stück – 15 Stunden Franz Biberkopf in Anwesenheit der Darsteller.

Ein anderes Thema: die Frau im Stummfilm. Frauen hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Film oft genug die Hosen an, waren Regisseurinnen, Autorinnen und Darstellerinnen in Personalunion – bis das Studiosystem andere Saiten aufzog. Um dieses Genre plastisch werden zu lassen, gibt es neben vielen zeitgenössischen Beispielen die Europa-Premiere von Guy Maddins »Brand Upon the Brain!« mit dem Auftritt von Isabella Rossellini in der Deutschen Oper Berlin: ein experimenteller Stummfilm als Spektakel mit Orchester und Geräuschemachern, die den Film live vertonen. Rossellini wird als Kinoerzählerin fungieren.

Vom Stumm- zum Tonfilm, das ist auch der Schritt von der industriellen zur Angestelltenkultur. Eine Umbruchphase, und um solche Umbrüche will sich das Festival kümmern – und schlägt gleich den Bogen zur Digitalisierung. Viele Regisseure produzieren heute ihre Filme gleich für die Internetdistribution und können dank Digitalkamera billig drehen. Andere entscheiden sich bewusst für teures Old-School-Filmmaterial – ein Gegensatz ungefähr wie Laptop und Platte für DJs in der Diskothek.

Digital funktioniert allerdings auch das Raub­kopiergeschäft erheblich besser. Da mutet es befremdlich an, wenn die Telekom als Sponsor der Berlinale auftritt und damit wirbt, dass mit ihrem System T-Home Download-Geschwindig­keiten bis 50 Megabyte pro Sekunde möglich sind. Schließlich sind hohe Downloadzahlen wichtig fürs illegale Herunterladen der Filme aus dem Netz. »Digital« bildet ebenfalls einen Panel – u.a. wird der Erfinder der DVD, Warren Lieberfarb, zu sprechen sein.

Der Festivalbesucher kann sich auf die 350 Filme stürzen. Ein Schwerpunkt in der Sektion Panorama: Staats­paranoia. Wie gehen staatliche Systeme mit ihren Insassen um? Brandaktuelle Frage. In der nichtfilmischen Realität lässt derzeit der Fall Murnat Kurnaz grüßen, der auf Jahre in Guantánamo verschwand, und die Behörden bringen ein Gesetz auf den Weg, das die Überwachung des Privatcomputers erleichtert.

In der Panorama-Realität trägt die Überwachung Namen wie »Fay Grim«, ein Spionagethriller von Hal Hartley, oder auch »Surveillance« von Regisseur Paul Oremland. Der hat herausgefunden, dass die Überwachungs­kameras, private oder staatliche, nir­gendwo so dicht bei­einander stehen wie in Großbritannien. Die US-Filmbehörden nehmen derweil einen vermeintlichen Bioterroristen fest, und zwar in Lynn Hersh­man Leesons »Strange Culture«.

Angst und Staatssicherheit – das ist das Thema in vielen weiteren Filmen. Es ist noch nicht lange her, da hätte man Probleme mit der »Staatssicherheit« sicher eher in Dissidentenfilmen aus dem Ostblock verortet. Jetzt über­wacht die verbliebene »freie Welt« ihre Bürger, was das Zeug hält.

Der Wettbewerb umfasst dieses Mal 26 Filme, darunter 19 Weltpremieren. Das Festival, früher mal so etwas wie ein internationales Education-Programm für deutsche Zuschauer, geriert sich nun seit Jahren schon als Förderinstitution für den deutschen Film – »die deutsche Filmindustrie kann zufrieden sein« (Kosslick). Die Regisseure hätten heutzutage aber auch mehr Talent. »Früher wurden die noch von der Filmhochschule abgelehnt«, meint Alfred Holighaus, der die Sparte German Cinema betreut.

Im Wettbewerb aber findet man nur zwei deutschsprachige Filme: Christian Petzolds »Yella« – man sieht Nina Hoss zu, wie sie, aus Brandenburg kommend, in den Westen zieht, um ihrer zerrütteten Ehe zu entkommen. Kann man sicher machen. Der österreichische Regisseur Stefan Ruzowitzky ist mit seinem Film »Die Fälscher« beteiligt. Das Thema ist die Geschichte einer Fälscherwerk­statt, die die Nazis im KZ Sachsenhausen einrichteten.

Kino aus Hollywood und Umgebung gibt es gleich sieben Mal, darunter auch Clint Eastwoods Kriegsdrama »Letters From Iwo Jima«, der schon Ende Februar im Kino läuft und in Berlin außer Konkurrenz gezeigt wird.

Mit einem Haufen Stars wie Jennifer Lopez, Sharon Stone oder Antonio Banderas warten die anderen Filme auf. Die Independent-Produktion »When A Man Falls In The Forest« von Ryan Eslinger, so teilt man dieser Tage mit, schildert das Leben einer Grup­pe von Menschen in einem Provinzdorf. Es spielen Sharon Stone und Timothy Hutton. Interessant dürfte auch Robert De Niros zweite Regiearbeit »The Good Shep­herd« sein, mit Angelina Jolie, Matt Damon und ihm selbst.

In »The Good German« von Steven Soderbergh spielen George Clooney, Tobey Maguire und Cate Blanchett die Hauptrollen. Ein amerikanischer Journalist reist nach dem Zweiten Weltkrieg nach Potsdam, um über die dortige Konferenz zu berichten. Eigentlich sucht er nach seiner abhanden gekommenen Geliebten. Aber: Kaum ist er da, wird er schon in einen Mordfall verwickelt.

Französische Filme gibt’s von An­dré Techiné (»Les témoins«), Jacques Rivette (»Ne touchez pas la hache«) und François Ozon (»Angel«) sowie Olivier Dahans Eröffnungsfilm »La vie en rose« über das Leben von Edith Piaf. Aus Großbritannien, China und Süd­korea kommen jeweils zwei Produktionen.

Und da ist natürlich der Wettbewerbs­beitrag aus Israel. »Beaufort«, der dritte Spielfilm von Joseph Cedar, erzählt die Geschichte der letzten Militär­ein­heit Israels, die vor dem Abzug aus dem Libanon im Süden des Landes stationiert war. Berlin wird ebenfalls reichlich von der Rolle sein. Wenigstens der Teil der Stadt, der sich dafür interessiert.

Brillant wie immer ist das Kinderfilmfest, für dessen Filme es so gut wie immer Karten gibt und das sich vom Rest des Festivals darin unterscheidet, dass die Handlung – Mord und Totschlag, Hass und Zerstückelung, boy meets girl – nicht von erwachsenen Schauspielern dargestellt wird, sondern von sehr jungen Schauspielern. Ein Beispiel: Ein Kriegsfilm ist ein Film über Soldaten. Ein Kriegsfilm im Kinderfilmfest ist ein Film über Kindersoldaten.

Aber Kinder bilden hier auch oft das Publikum – das macht die Auswahl für den Kurator Thomas Hailer etwas härter. Denn schnarchige Filme im Haupt­programm lassen sich immer noch als Arthouse-Kino verkaufen. Auf solche Tricks fallen Kinder nicht rein – die nör­geln, wenn ihnen langweilig ist.

Berliner Filmfestspiele. 8. bis 18. Februar 2007. Infos: www.berlinale.de. »Berlin Alexanderplatz«: Am 11. Februar von 10 bis 2.45 Uhr in der Volksbühne