Morden und gesehen werden

Der Sammelband »Mythos Terrorismus« analysiert das Zusammenspiel von realer Tat und medialer Präsentation. von jesko bender

Terrorismus besteht aus mehr als nur seinen Taten. Ein Blick auf die popkulturelle, mediale, literarische und politische Rezeption beweist die enorme diskursive Anstrengung, die notwendig ist, um sich darüber zu verständigen, was und wer denn überhaupt Terrorismus und Terrorist seien. Gerade die Verklammerung von realen Taten und medialer wie popkultureller Inszenierung brachte die Rede vom Terrorismus als Mythos hervor. Vor allem konservative Politiker und Kulturkritiker sahen eine Verklärung und eine Verharmlosung von Terroristen zu Figuren der Popkultur. Augenfällig wurde dies in der zum Politikum gewordenen Ausstellung »Mythos RAF« im Jahr 2003.

Den »Mythos Terrorismus« zu analysieren, hat sich die erste Ausgabe des »Jahrbuchs Literatur und Politik« zur Aufgabe gemacht. Den Herausgebern geht es darum, den Terrorismus als ein Bedeutungsfeld von »Ereignissen, Diskursen und Medienpräsentationen« zu verstehen, das auszuhandeln zu einem der virulenten gesellschaftlichen Gespräche geworden sei. Tat und mediale Präsentation können demnach nicht zureichend verstanden werden, wenn man sie lediglich in ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis setzt. Vielmehr seien die gesellschaftlichen Auswirkungen des Terrorismus »ursächlich an die Repräsentationsform gebunden«. Ihre theoretische Maßgabe besteht darin, Mythos und Aufklärung nicht gegeneinanderzustellen, sondern »My­thos als das Unaufgearbeitete der Gesellschaft zu verstehen, nicht etwa als etwas Glorifiziertes oder auch nicht als das schlicht Unwahre, das durch Aufklärung ans Tageslicht gezerrt gehört«.

Heinz-Peter Preußer arbeitet in seinem Beitrag heraus, dass der Mythos in seiner kulturellen Funk­tion nur als eine dialektische Bewegung zwischen der Rationalisierung komplexer gesellschaftlicher Strukturen und der gleichzeitigen (Re-)Mythisierung ebendieser verständlich sei. Die Versuche, Aufklärung gegen den Mythos auszuspielen, könnten daher nur scheitern. Terroristen erschaffen dem­nach durch die von ihnen vorgeführte vereinfachen­de Zuspitzung komplexer Verhältnisse ein System von Sinnzuschreibungen, die in ihrer Einfachheit für Faszination sorgen. Der Mythos Terrorismus entfalte seine Wirkung, wenn also Zuspitzung und Reduktion im Bild des Terroristen zusammenfallen – daher auch sein Personenkult. »Dann wird dieses Bild wiederum Projektionsfläche der gesellschaftlichen Verhältnisse, ihrer widerstreitenden Interessen, ihrer unausgetragenen Widersprüche«, schreibt Preußer.

Ausgehend von diesen grundsätzlichen Überlegungen nähern sich die Autoren auf vier Ebenen dem Thema an. Drei Teile widmen sich explizit den medialen und künstlerischen Verarbeitungsformen des Terrorismus, während der erste Teil in drei Beiträgen die biografischen und psychologischen Dimensionen und Motive der Terroristen auslotet. Die Abschnitte »Popkultur und mediale Präsentation«, »Terroris­ten in der Literatur« und »Kunst-Terrorismus« liefern eine theoretisch fundierte und überzeugende Analyse der Verfahren der kulturellen Bedeutungsgebung, die in sich originär politisch verstehenden und damit handlungsfixierten Debatten nie erzielt wer­den kann.

Der Berliner Literaturwissenschaftler Chris­tian Jäger begründet beispielsweise die Faszination der Popkultur für die RAF damit, dass beide von ähnlichen ästhetischen Grundannahmen ausgingen. Die RAF sei gekennzeichnet von »einer sich aus christ­lichen Werten speisenden nicht-exklusiven Ideologie«. Diese wolle den Gegner erst einmal wahrnehmbar machen, indem sie »das als liberal getarnte System als repressiv zu entlarven« versuche. »Wenn wir auf den etymologischen Sinn der Ästhetik rekurrieren, das griechische aisthesis – wahrnehmen –, dann kann der Terrorismus, der eine Wahrnehmbarkeit stiften will, durchaus als ästhetische Operation begriffen werden.« Da auch die Popkultur – Jäger nennt Jan Delay, DAF, Fehlfarben und Texte von Chris­tian Kracht, Leander Scholz und Kathrin Röggla – auf nicht-exklusiven Ideologien aufbaue und sich gleich­zeitig als ästhetische Intervention verstehe, könne man hier einen Grund für die gegenseitige Faszination von Popkultur und Terrorismus sehen.

Neben der Auseinandersetzung mit der RAF will »Mythos Terrorismus« auch die Korrespondenzen zwischen dem westdeutschen Terrorismus und dem islamistischen Terror untersuchen. »Vom Deutschen Herbst zum 11. September« sollen die Diskursivierungen des Terrorismus analysiert werden. Dabei verfangen sich die Texte aber nicht in einer platten Gleichsetzung von RAF und religiösem Terror. Den Herausgebern scheint die Bearbeitung dieser beiden Formen des Terrorismus vielmehr als legitim, weil sie vor allem nach dem 11. September eine Popularisierung der RAF im Kino und Literatur registrieren. Leider wird diese in der Einleitung gelegte Linie in den einzelnen Beiträgen nicht stringent weiterverfolgt. Die zentrale Auseinandersetzung bleibt die mit der RAF.

Dennoch lässt sich eine grundlegende Annahme zum Verhältnis von RAF und islamistischem Terror aus den Beiträgen herausarbeiten. Alle heben die Bedeutung der medialen Inszenierung der Taten hervor. War bereits das Funktionieren der RAF nur über die Bildproduktion der Staatsmacht auf der einen und der sich als Gegenmacht inszenierenden RAF auf der anderen Seite denkbar, so stellt 9/11 das Bedingungsverhältnis zwischen Tat und Bild noch drastischer aus. Jürgen Habermas stellte zu den Anschlägen in New York fest, dass sie gerade wegen ihrer medialen Inszenierung von einem lokalen zu einem globalen Ereignis geworden seien. Die »grausame Realität (…) vollzog sich buchstäblich vor den Augen der Weltöffentlichkeit«. Wie nahe jedoch die bloßen Bilder und die Inszenierung eben dieser beieinander liegen, zeigte sich an einer Art Videoclip des Senders CNN, der die Bilder der Anschläge bereits wenige Tage später mit dem Song »New York« von U2 untermalte.

»Terrorismus braucht Bilder«, schreibt der Kunst­historiker Martin Henatsch in seinem Beitrag über Gerhard Richters Bilderfolge »18. Oktober 1977«. Darin problematisiert er die der Fotografie zugeschriebene Evidenzproduktion, indem er die unscharfen Grautöne in Richters Bildern untersucht. Auf diesen sind zumeist nur schemen­haft und in Ausschnitten diejenigen Fotos zu erkennen, die von der Polizei nach dem Tod von Jan Carl Raspe, Gudrun Ensslin und Andreas Baader in deren Zellen aufgenommen wur­den. Durch Richters Maltechnik, so Henatsch, entziehen sich die Bilder den propagandistischen Kämpfen um die Ikonografie des Terrorismus. Wir werden mit der Flüchtigkeit des Dargestellten konfrontiert. Richter fordere somit die »Auseinandersetzung mit Geschichte als medial vermitteltem Bild, die Skepsis gegenüber der als unbedingt erscheinenden Aussage oder dem spektakulär Eindeutigen so manchen fotografischen Bildes«.

Indem der Band das Bedingungsverhältnis von realer Tat und Bildproduktion erarbeitet, legt er implizit auch eine theoretische Grundlage, um den Schnittpunkt von Antisemitismus und der Bildpolitik des islamistischen Terrors näher bestimmen zu können.

Matteo Galli/Heinz-Peter Preußer (Hg.): Mythos Terrorismus. Vom Deutschen Herbst zum 11. September. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2006. 219 S., 34 Euro