Tel Avivo

Die Weiße Stadt
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Bevor wir uns auf den Weg machen, zeigt mir Michal einen Aschen­becher, ein Schachbrett und einen Stuhl. Anhand dieser Gegenstände erklärt sie mir fachkundig das Prinzip Bauhaus: funktional, schön ohne Deko, industriell herstellbar – so ungefähr. Michal studiert Kunstgeschichte und jobbt nebenbei im Bauhaus Center in Tel Aviv. Das Zentrum auf dem Dizengoff-Boulevard beherbergt eine kleine Ausstellung und ein Lädchen. Vom Staat bekommt das Zentrum keinen Schekel. Auch die Rekonstruktion der 4 000 im Bauhaus-Stil gebauten und unter Denkmalschutz stehenden Häuser bleibt den Privatbesitzern überlassen, die oft an­dere Interessen oder schlicht kein Geld haben.

Dass die Unesco Israels »Weiße Stadt« 2003 zum Weltkulturerbe erklärt hat, konn­te daran auch nichts ändern. So sind nur rund 400 Gebäude rekonstruiert, am Rest nagt der Zahn der Zeit. Auf unserem Spaziergang zeigt mir Michal rekonstruierte sowie vor sich hin bröckelnde Häuser. Schön sind alle.

In Wirklichkeit, sagt Michal, heißt nur die Schule Bauhaus, der Stil nennt sich International Style – und das aus gutem Grund. Als in den zwanziger bis vierziger Jahren Einwanderer aus allen Ecken der Welt nach Tel Aviv strömten, in eine damals gerade erst im Entstehen begrif­fene Stadt, wollte man eine Architektur haben, die einerseits die Akzeptanz der verschiedenen Kulturen und Mentalitäten fand und die andererseits eine eigene jüdische, israelische Identität mitprägen sollte. Der funktional-schlichte, an den Interessen der Bewohner ausgerichtete, kosmopolitische Bauhaus-Stil mit Balkonen und Gärten war dazu bestens geeignet.

Ob denn in den letzten 40 Jahren auch noch Bauhaus-Gebäude entstanden seien, frage ich. Schließlich ist die gesamte moderne israelische Architektur stark von diesem Stil geprägt. Nein, sagt Michal, und macht mir freundlich lächelnd klar, dass ich keine Ahnung habe. Nur was zu einer bestimmten Zeit und von Architekten einer Schule erbaut wurde, könne als Bauhaus gelten. Schließlich könne man heute auch keine romanische Kirche bau­en, höchstens eine, deren Architektur­stil daran angelehnt ist.

Bevor wir auf eine Minz-Limonade in die Bar gehen, überqueren wir den Dizen­goff-Platz. Sämtliche Gebäude drumherum sind im International Style erbaut. Dies sei einmal der gesellschaftliche Mittelpunkt Tel Avivs gewesen, voller Cafés und Grünflächen, erklärt Michal. Doch dann habe man den Platz 1978 komplett umgestaltet und den immer dichter werdenden Verkehr drunterdurch geleitet; den Platz als eine Art Plattform darüber gesetzt. Schrecklich findet Michal das. Sie wird fast ein bisschen wütend, wenn sie darüber spricht. Der Platz sei völlig zerstört. Er funktioniere nicht mal als Treffpunkt. Sogar McDonald’s habe vorigen Monat schließen müssen, und das sage ja wohl alles.

Auch für die vielen unsanierten Bauhaus-Häuser sieht es nicht gut aus. Die meisten sind in Privatbesitz, oft gehört jede Wohnung einem anderen Eigen­tümer. Dass die sich einigen, und dass dann auch noch alle bereit und in der Lage sind, das nötige Kapital locker zu machen, sei eben die Ausnahme, meint Michal. Und ein bisschen wirkt es so, als nehme sie es persönlich.

ivo bozic