Wenn der Hahn kräht auf dem Mist

Die Forscher haben das Klima ziemlich ähnlich interpretiert, es kommt aber darauf an, es zu verändern. von cord riechelmann

Die Fakten sind eindeutig: Der Klimawandel ist unbestreitbare Realität, er ist »menschengemacht« und lässt sich in den kommenden 40 Jahren nicht aufhalten. Die Erwärmung der Erde und Phänomene wie die Zunahme heftiger Wirbelstürme, schmelzender Gletscher oder ausbleibender Regenfälle sind keine Folgen natürlicher Schwankungen, sondern wissenschaftlich bestimmbare und durch menschliche Aktivitäten ausgelöste Erscheinungen.

Dass die Diktion des am Freitag veröffent­lich­ten Weltklimaberichts des UN-Klimaausschusses IPCC zwar frei von der Apokalyptik manch älterer Berichte ist, aber dennoch so ein­deutig ausfällt und die bei wissenschaftlichen Vorhersagen üblichen »Vielleichts« und »Eventuells« vermeidet, liegt an der Autorität seiner Verfasser. Nicht ein Institut da oder ein paar Forscher hier haben die Ergebnisse geliefert, vielmehr waren über 2 500 Wissenschaftler aus aller Welt beteiligt, deutlich mehr als bei den vorangegangenen Berichten des IPCC 1991, 1995 und 2001. Darum ist in der Öffentlichkeit auch nichts von der Skepsis zu spüren, die noch vor einigen Jahren gang und gäbe war, wenn es um den Klimawandel ging.

Es ist nicht mehr zu übersehen, dass eine globale Erwärmung stattgefunden hat, die mit großer Geschwindigkeit voranschreitet. Zu offensichtlich sind die Auswirkungen, und es bedarf keines klimatologisches Fachwissens, um einige davon zu sehen. So konnte man noch kurz vor Weihnachten in einem Berliner Stadtpark um Laternen Nachtfalter fliegen sehen, die jedem biologischen Bestimmungsbuch zufolge schon im August hätten verschwunden sein müssen. Im österreichischen Linz sah man in der ersten Januarwoche Wespen auf blühenden Löwenzahn sausen. Die Zeitungen berichteten von Kirschen im Kaukasus, und Jörg Kachelmann stand vor Wochen mit einem Spickzettel in der Hand vor seiner Wetterkarte und las mit der immer gleichen süffisanten Schamlosigkeit Pflanzennamen vor, die erst im März oder April hätten blühen sollen.

Diese Ereignisse wurden leicht irritiert kommentiert, aber auch amüsiert vorgetragen. Selbst als Claudia Kleinert und Jörg Kachelmann bei Reinhold Beckmann eine Art making of des Wetterberichts sprachen, konnte man es für eine mediale Katastrophe halten, wie sie in einer Weise über den Klimawandel sinnierten, die Günther Anders in seinem Buch »Die Antiquiertheit des Menschen« das »medial-konformistische Prinzip« nannte, das »aktiv-passiv-neutrale Mit-Tun in jedem Betrieb«. Damit taten sie allerdings wenig mehr, als die alte Bauernweisheit zu bestätigen, die da lautet: Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.

Vom Verschwinden des Sandaals

Tatsächlich gibt es in unseren Breitengraden fürs erste keine apokalyptischen Nachrichten zu melden. Denn für die erwähnten Falter wie für andere Schmetterlinge ist der Klimawandel hierzulande nach allem, was man bislang weiß, nicht schlimm. Die Erwärmung verlängert ihr Leben; anstatt nach zwei oder drei Wochen ihre Eier zu legen und zu sterben, fliegen sie doppelt oder dreimal so lang herum. Ähnliches gilt für hiesige Wespen, Hum­meln und Hornissen und für viele Pflanzen.

Durch ihre Verstädterung haben sich Pflanzen und Tiere längst auf höhere Temperaturen und mehr Licht eingestellt, und die Verlängerung der Lebenszeit stellt sie in der Regel nicht vor Probleme. Viele Lebewesen der mittleren Breitengrade können flexibel mit einer sich verändernden Umwelt umgehen. Ihre »ökologische Potenz«, wie der Fachbegriff dafür heißt, ist nach oben wie unten recht weit.

Anders sieht das in extremeren Regionen der Erde aus, in den Tropen und den Polarregionen. Oder schon im Atlantik: Vor zwei Jahren bildete die britische Tageszeitung The Independent einen Papageientaucher auf der Titelseite ab, der mehrere Sandaale im Schnabel hielt. Darüber stand die Schlagzeile: »Disaster at sea: global warming hits UK birds!«

Und es war tatsächlich ein Desaster, von dem es zu berichten galt. Auf den Orkney- und Shetland-Inseln im Norden Großbritanniens hatte in jenem Jahr kaum ein Seevogel Junge großgezogen. Kaum eines von 16 200 Paaren von Dreizehenmöwen, die in den Felsen auf Shetland brüten, hatte Nachwuchs gezeugt. Besonders schlimm sah es bei den 1 200 Paaren von Trottellummen aus, die im Süden der Insel bei den Klippen von Sumburgh Head ansässig sind. Kein einziges Küken hatten diese Vögel großgezogen, während die 6 800 Skua-Pärchen von Shetland immerhin zehn Küken zur Flugreife brachten. Für Gryllteisten, Küstenseeschwalben und Tordalke sahen die Zahlen nicht anders aus. Die Gründe dafür hängen direkt mit der Erderwärmung zusammen.

Denn diese Seevögel ernähren sich von kleinen Fischen, zu einem großen Teil von der bereits erwähnten Familie der Sandaale, die in den Ozeanen beheimatet sind. Die Larven der Sandaale benötigen bestimmte Wassertemperaturen, um leben zu können. Die Population dieser Fische ist infolge der langsamen, aber stetigen Erwärmung der Nordsee rund um die nord­britischen Inseln zurückgegangen. Im Jahr 2004 waren sie erstmals völlig weggeblieben.

Mit dem wärmer werdenden Wasser verändert sich die Zusammensetzung des Plank­tons und damit die Nahrung für die Folgekonsumenten in der Nahrungskette. So müssen Seevögel, die sich von Sandaalen ernähren, längere Wege zurücklegen, um Nahrung zu finden. Reicht es nur noch für die Erhaltung ihrer selbst, brüten sie gar nicht mehr oder lassen ihre Brut verhungern.

Dieses Beispiel zeigt, wie unterschiedlich sich die Temperaturverschiebungen in den verschiedenen Erdregionen auswirken. Bereits um die Jahrtausendwende legte das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven eine detaillierte Studie über die Reaktionen von Pflanzen in nördlichen Regionen vor. Die Forscher konnten nachweisen, dass es infolge des Ozonabbaus im Spät­winter und Frühsommer über den Polargebieten zu einer erhöhten UV-Strahlung am Boden kommt. Einige Algen wie der Fingertang reagieren auf diese Strahlung, die die Photosynthese beeinträchtigt, indem sie mehr Aminosäuren produzieren. Diese absorbieren die UV-Strahlung, so dass sich die Alge relativ schnell erholen kann. Allerdings ist nicht jede Algenart in der Lage, die aggressive Strahlung auszugleichen. Diese Arten werden durch das Ozonloch verdrängt.

Was auf den ersten Blick wie eine Detailstudie über Algen anmutet, nahm in seinen Konsequenzen den gerade veröffentlichten Klimabericht vorweg. Denn die Forscher aus Bremerhaven ließen keinen Zweifel daran, dass man die Ursachen der von ihnen beobachteten Entwicklungen nicht durch lokale Maßnahmen beheben kann.

Ein Naturschutzgebiet oder Nationalpark hilft nicht gegen die Ozonlöcher über den Polen. Dieses Problem verdeutlicht auch der Bericht des IPCC: Der Klimawandel ist global verursacht, es gibt aber keine Erfahrungen mit einer globalisierten politischen Ökologie. Das hat auch mit der Geschichte der Ökologie selbst zu tun.

Vom Haushalt der Natur und der Nation

Als Ernst Haeckel im Jahr 1866 den Begriff Ökologie einführte, definierte er sie als »die gesamte Wis­senschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt«. Erläuternd fügte er hinzu, die Ökologie sei »die Lehre von der Oeconomie, von dem Haushalt der thierischen Organismen«.

Haeckels politische Ontologie, die ihn auch als Rassisten, Sozialdarwinisten und Nationalisten ausweisen lässt, hat das Denken vieler folgender ökologischer Bewegungen beeinflusst und war auch in den ersten Jahren der grünen Partei erkennbar. Seine Vorstellung vom »Haushalt der Natur«, in dem alles geregelt werde, in dem die Einnahmen nicht größer sein dürften als die Ausgaben und in dem Störungen verhindert werden müssten, wirkt bis heute fort, etwa in der Annahme, dass ein »ökologisches Gleichgewicht« bestehe.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts weckte die »Zurück-zur-Natur-Bewegung«, die sich gegen die zerstörerische Wirkung von Industrie und Technik wandte, das Interesse an der Ökologie. Die Nationalsozialisten, die Teile der »Naturfreunde«-Bewegung aufsogen, versuchten, ökologische Erkenntnisse für das Ziel eines autarken Deutschland nutzbar zu machen. Seit dieser Zeit ist die politische Ökologie – und die Grünen waren da nie anders – ein Problem der Nation.

Die Kommentare führender Politiker zum Klimabericht spiegeln dieses factum brutum ebenso wider, wie sie die Krise der Nationalstaaten offenbaren. Wenn Angela Merkel sagt, dass man sofort reagieren und durch gesetzliche Maßnahmen den Ausstoß von Kohlendioxid vermindern müsse, folgt umgehend eine Warnung der deutschen Industriemanager. Solche Gesetze, so lassen sie wissen, hätten Folgen für den »Standort Deutschland«, man werde die Produk­tion dorthin verlagern, wo weniger reguliert werde.

Die hilflose Konzeptlosigkeit der Politiker gegenüber den Verursachern des Klimaproblems brachte auf seine Art Jacques Chirac zum Ausdruck, als er eine »Revolution« forderte. Einmal davon abgesehen, dass Franzosen mit Blick auf ihre glorreiche, aber einige Zeit zurückliegende Geschichte selbst bei Miet­erhöhungen eine Revolution fordern, bleibt die Frage, wen Chirac in diesem Fall abzusetzen, zu guillotinieren oder zu ersetzen gedenkt.

Wenn schon nicht die Personen, so lassen sich doch die Orte recht einfach bestimmen, an denen die Stoffe produziert werden, die das Klima verändern – nämlich durch einen Blick auf Fotos, die die Erde bei Nacht zeigen. Solche vom Weltraum aufgenommene Fotos zeigen deutlich ein leuchtendes Europa, während Afrika fast völlig im Dunkeln liegt. Deutlich ist zu erkennen, wie unverhältnismäßig hoch der Energie­verbrauch der Industrienationen im Vergleich zu den so genannten Entwicklungsländern ist. Man sieht auch, wie die »Schwellenländer« aufholen. Wer aber ist verantwortlich für die Lichter auf dem Erdball? Begriffe wie »internationale Konzerne« oder »das Kapital« wirken in diesem Zusammenhang merkwürdig weit weg. Auch eine von Hugo Chávez verstaatlichte Ölraffinerie bleibt eine Ölraffinerie.

Kurz nach der Veröffentlichung des Klimaberichts wies Chiracs potenzieller Nachfolger, Nicolas Sarkozy, darauf hin, dass Frankreich mit seinen Atomkraftwerken eine für das Klima verträgliche Technologie besitze, die Wärme produziere, ohne Kohlendioxid auszustoßen. Hierzulande oder in den USA waren ebenfalls Stimmen zu hören, die den Bericht zum Anlass nahmen, um die Notwendigkeit der Atomenergie zu belegen. Die fossilen Brennstoffe könnten nicht durch erneuerbare Energien ersetzt werden, da es auf absehbare Zeit nicht möglich sein werde, mit diesen den Energiebedarf der Menschheit zu decken.

Aber selbst wenn dies stimmen sollte, wäre es noch kein Argument für die Atomenergie. Und vielleicht ist ja der Energiebedarf selbst ein Teil des Problems.

Jedenfalls sind es nicht alle Menschen, die einen solch großen Energiebedarf haben, wie fast alle Reaktionen auf den Klimabericht in den Medien nahe legen. Die Indianer Amazoniens und Mittel­amerikas oder die Pygmäen im Urwald des Kongo tragen keine Mitverantwortung für den Klimawandel, bekommen dessen Folgen aber mit voller Wucht zu spüren. Die Verwüstung der Wälder vernichtet ihre Lebensgrundlage.

Von den Einsichten der Hippies

Wer das für ein Hippie-Argument hält, hat Recht. Es ist eins, und die Theoretiker dieser Weltsicht heißen Carlos Castaneda, Ken Kesey und gegenwärtig Carl von Siemens. Der Titel seines im vo­rigen Jahr in der Berliner Akademie der Wis­sen­schaften gehaltenen Vortrags beschreibt die Lage treffend: »Der Hippie als Antichrist – 2 000 Jahre Kulturkampf zwischen Wald und Kirche.«

Von Siemens’ Thesen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Es geht nicht darum, alternative Formen der Unternehmens­führung zu finden, sondern darum, die Unternehmensform des »automa­tischen Subjekts« zu beenden, als das Karl Marx das Kapital bestimmte. Geld kann man weder essen noch atmen oder trinken, dachten die Hippies und fragten, ob man auf Dauer gegen die Zirkulation des Waldes leben kann, die immer länger dauert als die Zirkulation des Geldes. Die Hippies haben die richtigen Fragen gestellt.

Auf eine merkwürdige Weise bietet der Klimabericht die Instrumentarien für eine planetarische politische Ökologie, wie sie die Hippies wollten. Es geht in dem Bericht um das Klima, nicht um das Wetter. »Klima ist das, was man erwartet, Wetter ist das, was man bekommt«, hat Larry Gates, einer der Pioniere der Klimaforschung, einmal gesagt. Die Wetterforschung analysiert einzelne, örtlich begrenzte Ereignisse wie Hochdrucklagen oder Wirbelstürme im Kaukasus oder Pazifik, während die Klimaforschung alle Wirbelstürme der Welt in den Blick nimmt und versucht, die Frage zu beantworten, ob die globale Erwärmung im kommenden Jahr dazu führt, dass Häufigkeit und Stärke von Wirbelstürmen zunehmen oder nicht.

Damit nimmt die Klimaforschung den ganzen Planeten in den Fokus. Sie ist nicht national, sondern universell.

Eine weitere Implikation des Klimaberichts liegt darin, die seit dem Sieg des Christentums geltende Trennung von Mensch, Natur und Materie aufzuheben. Den vorsokratischen Naturphilosophen galt die Einheit von Natur, Mensch und Materie als selbst­verständlich, und wem das zu weit weg von der Realität unserer Tage erscheint, möge das gerade wieder aufgelegte, erstmals im Jahr 1861 veröffentlichte Werk »Das Meer« des französischen Historikers Jules Michelet lesen, in dem sich dieser mit der Gefährdung des Meeres und der Meeresströme befasst. Für Michelet wird die industrielle, kapitalistische Produktionsform zur Bedrohung von Mensch und Natur, weil sie mit ihren immer besseren Instrumenten die Naturressourcen aus einem einzigen Interesse verwertet, nämlich, sie zu Geld zu machen. Wovon Michelet nur eine ungefähre Vorstellung hatte, nämlich vom »Sterben der Meere«, das zeigt der Klimabericht konkret. Darin wird, noch relativ zurückhaltend, prognostiziert, dass der Golfstrom, der eine wichtige Rolle bei Wärmezufuhr für Nordeuropa spielt, sich bis zum Jahr 2100 um etwa 30 Prozent abschwächen werde. Falls der Golfstrom infolge der Erderwärmung tatsächlich zum Versiegen kommt, würde dies für Europa einen drastischen Temperaturrückgang bedeuten.

Allerdings sind die meisten Klimaforscher zuversichtlich, dass die ärgsten Horrorszenarien noch verhindert werden können. Man kann etwas tun. Wie etwa ein schonender Umgang mit dem Wald aussehen könnte, lässt sich in den wissenschaftlichen Studien nachlesen, die das Smithsonian Tropical Research Institute in Panama-Stadt herausgegeben hat. Dort hat man die begründete Hoffnung, dass die Regenwälder noch gerettet werden könnten, wofür man nicht einmal völlig auf deren Nutzung verzichten müsste. Wohl aber müssten die Abholzungspraktiken internationaler Konsortien beendet werden.

Aber anders als in den Kampagnen zur Rettung des Regenwaldes früherer Tage kann eine solche Kritik sinnvollerweise nur mit einem Blick auf den ganzen Erdball formuliert werden. Die Klima­forscher haben mit ihrem Bericht das Ihrige dafür getan.