’91, ’92, ’93, 2006

In Potsdam hat der Prozess gegen die beiden Männer begonnen, die Ermyas M. angegriffen haben sollen. von peter korig

Das Potsdamer Landgericht glich einer belagerten Festung, als am 7. Februar der Prozess gegen Björn L. und Thomas M. eröffnet wurde. Bereits Stunden vor Beginn des Prozesses standen Journalisten an, um durch die strengen Sicherheitskontrollen in das Gebäude zu gelangen. Björn L. wird vorgeworfen, den Potsdamer Ermyas M. am Ostersonntag 2006 mit einem Hieb niedergeschlagen und lebensgefährlich verletzt zu haben. Thomas M. ist wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt.

Bis in den April hinein wird das Gericht versuchen festzustellen, ob die Angeklagten sich der gefährlichen Körperverletzung und der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht haben. Dazu sollen mehr als 60 Zeugen und Sachverständige gehört werden. Dass der Tatvorwurf, der juristisch auf dem Niveau einer Kneipenschlägerei rangiert, zu einem so komplizierten Indizienprozess führt, liegt daran, dass Augenzeugen für das Tatgeschehen fehlen und das Erinnerungsvermögen des Opfers wegen der erlittenen schweren Kopfverletzungen eingeschränkt ist. Wichtigstes Beweismittel ist die Aufnahme auf einem Anrufbeantworter. Ermyas M. hatte versucht, seine Frau anzurufen, als er den Tätern begegnete. Der aufgenommene Wortwechsel mit ihnen, in dem u.a. das Wortt »Scheißnigger« fiel, erlaubt teilweise eine Rekonstruktion des Geschehens.

Das Interesse der Medien ist ein Nachhall der politischen Debatte, die dieser Überfall im Frühjahr des vergangenen Jahres auslöste. Dabei handelte es sich eigentlich um einen Akt deutscher Alltagskriminalität. Ein Mensch wurde in rassistischer beschimpft, niedergeschlagen und schwer verletzt. Dass dieses Ereignis nicht im Polizeibericht eines Regionalblattes landete, sondern auf den Titelseiten deutscher und ausländischer Zeitungen, hatte vor allem zwei Gründe. Bei dem Wasserbauingenieur handelte es sich eben nicht um einen Asylbewerber, der in irgendeinem Heim im brandenburgischen Hinterland potenziellen Angreifern auf dem Silbertablett serviert wird, sondern um einen Akademiker mit deutscher Staatsbürgerschaft. Wichtiger aber noch waren die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft und die Sorge, rassistische Übergriffe könnten die nationale Inszenierung des Ereignisses stören.

Wie groß die Angst war, lässt sich an der Reaktion des damaligen Generalbundesanwalts Kay Nehm absehen. Er zog die Ermittlungen zeitweise an sich und ließ die Verdächtigen Aufsehen erregend mit dem Hubschrauber nach Karlsruhe transportieren, obwohl dafür keine sachliche Notwendigkeit bestand. Sein Ziel dürfte es in erster Linie gewesen sein, Bilder eines entschlossenen Handelns für die Weltpresse zu produzieren. Denn der Angriff auf Ermyas M. löste eine Debatte über rassistische Gewalt aus, die durchaus das Versagen des staatlichen Gewaltmonopols in dieser Frage mit einschloss.

Der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye (SPD) verwies wenig später auf die banale Tatsache, dass es Gegenden in Ostdeutschland gibt, von deren Besuch Menschen »anderer Hautfarbe« abzuraten sei. Mit dem Begriff der »No-Go-Areas« war das Schlagwort für die Debatte gefunden. Prompt stand die nationale Front der Verharmloser bereit. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), der der ostdeutschen Bevölkerung kurz zuvor angesichts der neunfachen Kindstötung in Frankfurt/Oder noch einen durch »Zwangsproletarisierung« in der DDR ansozialisierten Hang zum Kindermord attestiert hatte, warf sich für »seine Brandenburger« in die Bresche. Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Wolfgang Schäuble (CDU) versuchte es mit einer peinlichen Retourkutsche, indem er sagte: »Es werden auch blonde blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten, zum Teil sogar von Tätern, die möglicherweise nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das ist auch nicht besser.« Im Übrigen sei die DDR an allem schuld. Gregor Gysi (Linkspartei) war daraufhin so sehr mit der Verteidigung derselben beschäftigt, dass für eine Auseinandersetzung mit dem Rassismus zwischen Rostock und Chemnitz kaum Zeit blieb.

Doch auch viele jener Gutmeinenden, denen zugestanden sei, dass ihnen nicht nur der Ruf des Standorts, sondern auch das Schicksal des Opfers am Herzen lag, sind nicht frei von einer merkwürdigen Terminologie. Bis heute wird der rassistische Übergriff auf einen schwarzen Deutschen von ihnen als Akt »fremdenfeindlicher Gewalt« dargestellt.

Mit dem Beginn der WM und dem Ausbleiben weiterer gravierender rechtsextremer Attacken versank die Debatte im nationalistischen Taumel. Die stetig wiederholten Beteuerungen, wie großartig doch der neue schwarz-rot-goldene Jubelnationalismus sei, kündeten von der Erleichterung darüber, dass die Landsleute es einmal schafften, Freude und Frust zu erleben, ohne dafür das Leben eines »ausländischen Mitbürgers« zu bedrohen.

Zur Relativierung der Empörung über die Tat hat aber auch die Rezeption der staatsanwaltlichen Versuche, das Geschehen in jener Nacht zu rekonstruieren, beigetragen. Ermyas M. soll demnach eine Auseinandersetzung mit den mutmaßlichen Tätern gehabt haben. Vermutlich weil er sich von ihnen bedrängt fühlte, schimpfte er »Schweinesau«. Auch soll er versucht haben, die Angreifer zu treten. Nicht nur in Medien der extremen Rechten wurde Ermyas M. daraufhin eine Mitschuld an seinen Verletzungen zur Last gelegt und der rassistische Gehalt der Tat angezweifelt.

Es entstand der Eindruck, für viele liege ein rassistischer Überfall nur dann vor, wenn die Täter währenddessen das Programm der NPD aufsagten. Dabei ist, so viel in dem Fall auch unklar bleibt, dank des Telefonmitschnittes eines offensichtlich: Ermyas M. wurde in rassistischer Weise beleidigt und anschließend niedergeschlagen. Genau so sehen rassistische Übergriffe aus.

Die Angeklagten streiten jede Tatbeteiligung ab. Ermyas M. erklärte zwar am Mittwoch voriger Woche in einem Interview bei Stern TV, er sei sich sicher, dass es sich bei den Angeklagten um die Täter handele. Wegen seines beschränkten Erinnerungsvermögens ist es jedoch zweifelhaft, ob seine Aussage vor Gericht für eine Verurteilung ausreicht. Sollte das Gericht den Angeklagten die vorgeworfene Tat nachweisen, dann würde die Frage des Motivs eine Rolle für die Höhe der zu verhängenden Strafe spielen. Diese Frage beantwortete Ermyas M.s Anwalt im Gespräch mit der Jungle World kurz und sachlich: »Nach Aktenlage ist dies eine rassistische Tat.«

Einfacher als die Frage nach der Schuld von Björn L. und Thomas M. ließe sich im Potsdamer Landgericht die Frage danach beantworten, was an der politischen Diskussion vom vorigen Frühjahr dran war und ob sich an den Umständen irgendetwas geändert hat. Dazu genügte ein Blick in einen anderen Saal. Dort wird gegen elf jugendliche Kameradschaftsmitglieder aus Rathenow wegen versuchter Brandstiftung verhandelt. Einige der Angeklagten haben ihre Autos mit einem Aufkleber geschmückt, der vor einer Blutlache die Aufschrift »No Go Area Zone« zeigt.